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Chantal Mouffe – Eine grüne demokratische Revolution. Linkspopulismus und die Macht der Affekte

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AUTOR/IN
Gerhard Klas

Die provokante These der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe: Wir brauchen auch einen Linkspopulismus, um Werte wie soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Ökologie mehrheitsfähig zu machen.

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Wie kann man die Gesellschaft für soziale Gerechtigkeit und ökologische Ziele mobilisieren? Faktisches Wissen alleine reicht da nicht, benötigt wird vielmehr ein linker Populismus, meint Chantal Mouffe, Professorin für politische Theorie an der Westminster University in London. Vernunft werde als Triebkraft für kollektives Handeln völlig überschätzt.

Vernunft als Triebkraft überschätzt

Diese These ist nicht neu. Ähnlich hatte Mouffe sie bereits 2018 in ihrem Buch über die Notwendigkeit eines „linken Populismus“ vertreten. Dann aber musste sie ernüchtert feststellen, dass rechte Parteien den Populismus viel erfolgreicher genutzt haben als linke. Den Grund sieht Mouffe darin, dass Rechtspopulisten und autoritäre Neoliberale geschickt Gefühle manipulieren und das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ausbeuten.

Der für eine populistische Strategie charakteristische Gegensatz von „Volk“ und „Establishment“ lasse sich auf sehr unterschiedliche Weisen konstruieren. Nicht nur Chantal Mouffe macht eine deutliche Differenz zwischen linkem und rechtem Populismus aus. Der von Politikern und Medien gern bemühten, wissenschaftlich aber höchst umstrittenen Hufeisentheorie, die rechts und links mehr oder weniger gleichsetzt, kann Chantal Mouffe gar nichts abgewinnen.

Denn linker Populismus tritt für egalitäre, universalistische Werte ein, rechter Populismus hingegen gründet auf Ressentiments, teilt mit seinem ethnonationalistischen Ansatz Menschen in wertvollere und weniger wertvolle ein, rechtfertigt so Ausgrenzung, soziale Ungleichheit, Ausbeutung und Rassismus.

Gerechtes, ökologisches Wachstum ist eine Illusion

Der neoliberale politische Mainstream, das steht für Chantal Mouffe fest, steckt heute in einer Sackgasse: Der Kapitalismus könne nicht einmal mehr die Illusion eines gerechten, geschweige denn eines ökologischen Wachstums hervorbringen.

Eine Zäsur stellt für Chantal Mouffe die Corona-Pandemie dar, der sie viele Zeilen widmet. Und sie ist eher pessimistisch gestimmt, was ihre politischen Auswirkungen angeht. Denn die Pandemie habe ein allgemeines Gefühl der Verletzlichkeit hervorgebracht und damit ein Gefühl, auf das Rechtspopulisten gerne mit exklusivem Nationalismus reagieren, um eine Illusion der Sicherheit zu erzeugen.

Aber nicht nur Rechtspopulisten nutzen die Gelegenheit in ihrem Sinne: Auch der Neoliberalismus und die großen Technologie-Konzerne verbuchen seitdem im Verbund mit vielen Regierungen immer mehr Erfolge bei ihren Versuchen, einen autoritären digitalen Neoliberalismus voranzubringen.

Ihr Rezept: Kontrolle, Überwachung und technologische Lösungen gegen jegliche Art von Unsicherheiten, egal ob Pandemie, Klimawandel oder wirtschaftlicher Niedergang. Nicht zu vergessen der Krieg, dem Chantal Mouffe ein Postskriptum widmet.

Keine greifbare Strategie für einen linken Populismus

Anders als der Buchtitel suggeriert, wird die ökologische Frage nur im letzten Teil des Buches behandelt. Entgegen ihrem eigenen Anspruch beschreibt Chantal Mouffe hier zwar die objektive Faktenlage und erteilt einem unendlichen Wirtschaftswachstum eine klare Absage, spricht von der notwenigen Begrenzung des fossilen Kapitalismus durch staatliche Maßnahmen.

Das ist alles richtig, aber nicht mitreißend. Eine Strategie für einen linken Populismus wird bei ihr nicht wirklich greifbar, auch bei ihr dominiert der Ansatz, mit der Kraft des besseren Arguments zu überzeugen. Und sie betont auch zu Recht, die Rationalität an sich nicht in Frage stellen zu wollen.

Die Politikwissenschaftlerin erwähnt allerdings Massenbewegungen, die als Beispiele für ihren Ansatz eines linken Populismus dienen könnten: Die Black Lifes Matter Bewegung in den USA und die der Gelbwesten in Frankreich.

Um ihre Ausgangsfrage mit dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu zu beantworten, den sie in ihrem Buch zitiert: Menschen kämpfen gegen verschiedene Formen der Unterdrückung, die sie in ihrem Alltag erfahren – nicht für die Verwirklichung abstrakter Ideen.

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Gerhard Klas