Die Nachricht kam einem Wendepunkt gleich: „Greta Thunberg vor Gericht angeklagt“ – das dazugehörige Bild, wie Thunberg von Polizisten weggetragen wird, ging mit der Schlagzeile um die Welt.
Die indirekte Botschaft dahinter, so könnte man interpretieren: Nur friedlich auf der Straße zu demonstrieren, das reicht uns jungen Menschen nicht mehr. Die Empörung über die Schulschwänzer scheint verbraucht.
Ziviler Ungehorsam hart an der Grenze zum Verbrechen?
Und auch die mediale Aufmerksamkeit verlagert sich auf die Protestarten, die in ihrer Form mehr anecken: Es wird mehr über die Letzte Generation als über Fridays For Future berichtet, das hat der SPIEGEL (Ausgabe Nr. 34 „Gegen die Wand“) herausgefunden.
Beiden Bewegungen liegt in der Wahl ihrer Aktionen der zivile Ungehorsam zugrunde – Schule schwänzen und Verkehr blockieren. „Protest ist immer ungemütlich“, sagt der Protestforscher Simon Teune im SPIEGEL-Interview, „Die großen Errungenschaften der Arbeiterbewegung wie gerechtere Löhne sind durch illegale Streiks entstanden, das Frauenwahlrecht ist auch mit militanten Mitteln erstritten worden.“
Weltweit sind junge Menschen deshalb auf der Suche nach neuen Protestformen. Drei Fälle aus der Türkei, Montana und Zürich zeigen: Die jungen Menschen äußern ihre Wut auf vielfältige Art.
Ziviler Ungehorsam würde in der Türkei Gefängnis bedeuten
In der Türkei können Aktivisten, etwa der LGBTQ+-Bewegung, von solchen Freiheiten, wie sie in Deutschland herrschen, nur träumen.
Hier sind schon einfache Demos zum Christopher Street Day rigoros verboten und werden im Zweifel von der Polizei mit brutaler Gewalt aufgelöst. Transmenschen hätten in der Türkei leider oft keinen Zugang zu grundlegenden Menschenrechten und würden diskriminiert, meint Iris Mozalar, eine der Aktivistinnen aus Istanbul.
Benjamin Weber über die Demonstrationen in Istanbul:
Gesicht zeigen ja – aber nur als Überraschungsaktion
Gemeinsam mit ihren Kamerad*innen sucht Iris nach alternativen Formen des Protestes. Den Pride-Month begingen sie in diesem Jahr mit einer Art Flashmob im Viertel Nisantasi in Istanbul.
Dort wird eine große Regenbogenflagge von einem Hochhaus entrollt, hunderte Menschen tauchen auf wie aus dem Nichts, eine Erklärung wird verlesen: Queere Menschen seien immer schon da gewesen, heißt es, und sie ließen sich auch nicht vertreiben.
Die Kundgebung ist nur wenige Augenblicke lang. Sie endet, kurz bevor die Polizei kommt, Straßen sperrt und durchs Viertel hetzt, auf der Suche nach Teilnehmenden. Am Ende des Tages werden über 100 Festnahmen gemeldet.
Aktivist*innen riskieren mit solchen Aktionen immer noch sehr viel, vielleicht sogar noch mehr als mit einer gewöhnlichen, angemeldeten Demo.
Auch der juristische Weg ist eine Form des Protestes
Im US-amerikanischen Montana haben Klimaaktivisten auf ganz andere Art einen großen Erfolg erzielt, ganz ohne zivilen Ungehorsam. Dort haben 16 junge Menschen im Alter zwischen 5 und 22 Jahren auf ihr Recht auf eine saubere Umwelt geklagt – und Recht bekommen.
Die Bezirksrichterin Kathy Seely urteilte, dass es verfassungswidrig sei, wenn Behörden bei der Entscheidung über Erdöl- oder Erdgasprojekte die Folgen für das Klima nicht berücksichtigen müssen.
Claudia Sarre zum Urteil in Montana:
Gesetzestext war eine juristische Steilvorlage
„Ich liebe Montana unter anderem deswegen, weil es in unserer Verfassung heißt: Jeder Mensch hat ein Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt!“, sagt Claire Vlasas, eine der Klägerinnen.
Auch die Hausbesetzung macht ein Comeback
Während es für Aktivisten also auch juristisch mitunter gut läuft, ist im schweizerischen Zürich die Verzweiflung groß: Dort haben sich die Mieten seit 2010 mehr als vervierfacht, insgesamt sind sie in der Schweiz seit 2017 um 28 Prozent angestiegen.
Um auf die Missstände aufmerksam zu machen, haben Aktivist*innen das alte Postgebäude am Wikingerplatz in Zürich besetzt. Bis zur Besetzung am 26. Juni stand die alte Post fünf Jahre lang leer. Jetzt sollen hier Partys, Konzerte, politische Veranstaltungen steigen – das für besetzte Häuser typische alternative Kulturprogramm.
Kathrin Hondl zu den Häuserkämpfen in Zürich:
Die Wut vereint die Aktivisten
Aber dem Zürcher Kollektiv geht es um mehr als Punk und Party. „Wir protestieren mit unserer Besetzung natürlich auch dagegen, was aktuell auf dem Immobilienmarkt passiert“, sagt Miriam vom Kollektiv, „dass die Mieten steigen wie blöd. Dass so viele Wohnungen abgerissen werden, was total unökologisch ist, statt dass umgebaut wird.“
„Also ich würd mich freuen, wenn mehr Leute wütend darüber wären“, ergänzt Stefan, „aber wir sind ganz bestimmt wütend.“