Als wunderliche, einsame Stadt am Meer erscheint Los Angeles, die in der Ferne unter der düsteren Glut versinkt. Viele Namen hat man ihr schon gegeben: Tinseltown und La-La-Land, die City of Angels als Ort, an dem es sich glänzend und voller Illusionen lebt.
Nun brennt diese Stadt, seit Tagen versuchen Feuerwehrleute die Flammen einzuhegen, die bereits 12.000 Gebäude zerstört haben. Das Palisades-Feuer frisst sich über den Pacific Coast Highway nach Malibu; Calabasas, Brentwood und Encino müssen evakuiert werden. Es sind die Viertel der Reichen, was in dieser Stadt auch immer die Viertel der Berühmten sind.

Die andere Seite der Stadt
Auf der anderen Seite am Mount Wilson lodert das Eaton-Feuer in Altadena und Pasadena, wo die wohnen, die weder reich noch berühmt sind. Es sind viele Schwarze und Latinos, die dort leben und die Bewohner klagten bereits an, dass die Feuerwehr mehr an der reichen Küste beschäftigt sei als im Hinterland.
17 der 25 Toten stammen von dort. Mehrere Dutzend Menschen werden noch gesucht. Die Santa-Ana-Winde peitschen derweil auch Feuer namens Hurst, Lidia und Sunset weiter an.
Kalifornien kennt Naturkatastrophen: Erst letztes Jahr versank Los Angeles im Regenschlamm und alle paar Jahre gibt es Flächenbrände. Hierzulande unvergessen: Als 2018 ein originales Rilke-Gedicht gemeinsam mit der Malibu-Villa eines berühmten deutschen Moderatoren verbrannte.
Doch brennt diese Stadt nun zu einem bestimmten Zeitpunkt: Es ist ein neues Vierteljahrhundert angebrochen. Mit ihm wurde die gefürchtete 1,5-Grad-Grenze überschritten, die den Kipppunkt der Erderwärmung in Aussicht stellt. Und wieder wird mit Donald Trump ein Klimaleugner die größte Wirtschaftsmacht der Welt anführen.

Projektionsfläche für die Welt
Es ist die berühmteste Stadt im Westen dieser Wirtschaftsmacht, die in Flammen steht. Los Angeles, die Stadt des Kinos, der Popkultur, der Demokraten, der modernen Architektur.
Los Angeles ist Projektionsfläche des 20. Jahrhunderts, auf der uns tendenziell alles mehr interessiert als woanders auf der Welt: vom gefeierten Hedonismus der Hippiekultur und ihren Auswüchsen in den Manson-Morden – bis hin zum träumerischen Prominentenkult und deren sexistischen Abhängigkeitsverhältnisse bei MeToo.
Fallen nun die Fassaden verblendeten Konsums durch die Brände in sich zusammen? Wie sehr kann die Stadt, in der man ein Auto braucht, in der man nur im Stau steht, in der alles etwas groß geraten ist, die Condos und die Cabrios, und die ihre Bewohner anleitet, sich durch Konsum Selbstwert zu geben, die Ursachen für die Brände ignorieren?
Bilder wie schlechte Metaphern
Wären sie nicht echt, die Bilder der brennenden „Smogville“ würden wie platte Metaphern einer Künstlichen Intelligenz wirken: Ein McDonalds zwischen glühenden, vom Wind gepeitschten Palmen. Ein Bank-of-America-Gebäude, das als lodernde Ruine zurückbleibt. Ein verkohlter Porsche, mit Blick aufs Meer geparkt. Der Vollmond, der nachts riesig über der glühenden Stadt wacht.
Eine Oscar-Trophäe, die in der Asche liegt. Moment. „Das Bild ist KI-generiert“, macht jemand die Schauspielerin Isabella Rossellini aufmerksam, die es geteilt hat.
Weder Paris Hilton, noch Anthony Hopkins sind vor Katastrophen gefeit
Es sind die Bilder einer postkapitalistischen Apokalypse, eine der vielen Weltuntergänge, die Hollywood selbst mitgeformt hat.
Diese Bilder legen nahe: Wenn ihr schon die Waldbrände und Taifune und Überschwemmungen afrikanischer und asiatischer Länder ignoriert, bei denen Jahr für Jahr zig Menschen sterben; ja selbst die der europäischen Urlaubsorte, für die ihr so schwärmt, dann werdet ihr eben heimgesucht.
Und sie sagen: Niemand ist vor den Auswirkungen der Klimakrise gefeit, keine Paris Hilton, kein Anthony Hopkins.

Irrwitzige Immobilien
Gerade noch wurde der Überkonsum der Überreichen in unzähligen Reality-Serien selbstvergessen zur Schau gestellt, in denen Scharen an irrwitzig gekleideten, spindeldürren Maklerinnen durch kantig-kalte Villen mit winzigen künstlichen Gärten führen, für die sich Kunden in absurden Preisen überbieten.
Spätestens jetzt können diese Sendungen nur noch als Groteske wirken. Doch die Mieten werden durch die Brände noch teurer, und bisher hatte keine Naturkatastrophe die Bewohner dieser Stadt davon abgehalten, ihre Häuser in gleicher Weise wieder aufzubauen.
Wer zahlt die Schäden?
150 Milliarden Dollar, so hoch wird der Schaden geschätzt, von denen etwa 20 Milliarden Dollar durch Versicherungen abgedeckt sein sollen. Es wird eine neue Finanzkrise befürchtet, da Versicherer sich aus dem risikoreichen Bundesstaat zurückgezogen haben; die Schadenssummen könnten von den kleinen Versicherern nicht getragen werden.
Auch der staatliche Versicherer ist nicht ausreichend gedeckt. Wenn die Steuerzahler wirklich dafür aufkommen müssen, bieten die Bilder verkohlter Strandvillen eine greifbare Metapher, wer die Klimakrise befeuert und wer dafür zahlt
Kulturell bedeutende Häuser zerstört
Manches wird sich freilich nicht wieder aufbauen lassen. Noch nie sind so viele bedeutende Architektenbauten der Stadt zerstört worden, bisher werden gut 50 Gebäude gezählt.
Die Ranch von Will Rogers, einer der ersten großen Entertainer der Geschichte, ist abgebrannt. Das Haus des Dichters und Kritikers Robert Bridges, der einst Scott F. Fitzgerald lektorierte. Das Anwesen von Zane Grey, der Autor, der die Idee vom abenteuerlichen Frontier mitprägte. Das Topanga Rach Motel, das William Randolph Hearst vor fast 100 Jahren erbaut hatte.
Entwürfe von Frank Lloyd Wright, Richard Neutra, John Lautner, Rudolph Schindler, Frederick L. Roehrig sind verbrannt. Auch ist das Archiv des Werks von Arnold Schönberg zerstört.
Zumindest sei das berühmte „Case Study Haus Nr. 8 “ nun sicher, in dem das Eames-Ehepaar lebte. Das Thomas Mann-Haus und die Villa Aurora mit der Bibliothek des Schriftstellers Lionel Feuchtwanger sind bisher unbeschadet, wenn auch noch nicht sicher.
Zu wenig kleine Brände
Dass das Getty-Haus gerettet werden konnte, liegt auch daran, dass man das umliegende Gelände gezielt gerodet hatte. Denn es ist ein Problem für Los Angeles geworden, dass die Stadt vertrocknete Flora nicht verbrennt.
Nordamerikas Städte wurden historisch aus Holz gebaut, denn Wald gab es genug. Von Chicago bis San Francisco erlitt das Land seine großen Brände. Die Erderwärmung hat Kalifornien jedoch trockener als je zuvor gemacht, und statt Biomasse gezielt abbrennen zu lassen, hat man Brände unterdrückt. Nun kann ein Funke einen Flächenbrand auslösen.
Ein Marshallplan für Kalifornien?
Es hat etwas Ironisches, dass der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom die Vorhaben zum Wiederaufbau Los Angeles’ einen „Marshallplan“ nannte; als gäbe es die alliierten Kräfte nicht eigentlich schon im Land selbst – auch wenn sie von innen bekämpft werden.
Es überrascht nicht, dass Verschwörungserzähler wie Alex Jones die Brände als Klimapropaganda abtun, und der neue Präsident Donald Trump die Schuld für die Feuer der „liberalen Politik“ gibt.
Stadt der Obdachlosen
Die Brände sind keine Rache der Natur an den Reichen, denn sie trifft sie eigentlich nicht. Diese Stadt der Engel beherbergt immer auch die gefallenen. Kalifornien wird nicht nur von Schauspielerinnen und Sängern bevölkert, sondern von so vielen Obdachlosen wie in keinem anderen Bundesstaat.

Eine große, weiße, feuerfeste Villa steht allein zwischen dem Schutt. Ihr Besitzer sei froh, dass sie die Feuer überstanden habe. Er lebe da aber gar nicht, es sei nur ein Ferienhaus. Er bedauere diejenigen, die ihre Wohnhäuser verloren haben.
Los Angeles hat noch einen weiteren Namen: Lotusland. Die Lotusesser vergaßen in der Odyssee alles, was sie je wussten, woher sie kamen, wohin es gehen sollte. Man kann nur ahnen, wie schnell sich Los Angeles wieder aufbauen wird. Und ob der Brand die Lebensweise seiner Bewohner etwas verändern wird.