Polizeiseelsorger Hubertus Kesselheim betreut in erster Linie Polizisten in schwierigen Situationen. Bei größeren Einsätzen kümmert er sich auch um Angehörige in Extremsituationen. So nach der Amokfahrt in Trier und beim Hoteleinsturz in Kröv. Auch bei einigen Vermisstenfällen hat ihn die Polizei als Ansprechpartner für die Angehörigen bereits hinzugezogen.

SWR Aktuell: Im Vermisstenfall Marco Bombarding (48) aus Piesport sind in den letzten Tagen mehrere Spuren gesichert worden. Eine Blutspur und Kleidung. Was macht das mit den Angehörigen, wenn sie damit konfrontiert werden?
Kesselheim: Das sind für die Menschen Situationen, in denen Hoffen und Bangen auf eine riesige Probe gestellt wird. Es wird etwas gefunden, es gibt eine Spur. Und dann geht das los bei den Angehörigen: Da ist er also gewesen. Wo ist er jetzt? Oh Gott, das ist eine Spur, die eigentlich nicht gut ist. Blut an der Leitplanke zum Beispiel oder Kleidungsstücke.

Das sind Extremsituationen, wenn solche Dinge gefunden werden. Und die sind mit starken Emotionen verbunden. Das triggert die Angehörigen jedes Mal neu.
SWR Aktuell: Was kann Betroffenen in der Situation helfen?
Kesselheim: Freunde oder Nachbarn können zum Beispiel gut helfen. Indem sie da sind, zuhören und die Emotionen auffangen. Das hilft schon viel. Die Betroffenen selber sollten sich öffnen, sich nicht ins Schneckenhaus zurückziehen. Sich öffnen mit ihrer Hoffnung, die sie nicht aufgeben wollen, selbst wenn ein Mensch schon lange vermisst wird. Oder wenn sie in Krisen hineinkommen, weil sie die Hoffnung plötzlich verlieren und verzweifeln.
Menschen in Ausnahmesituation reagieren nicht normal, sie reagieren extrem.
Wichtig ist, dass man mit diesen Emotionen nicht alleine ist, sie mit anderen teilt. Mit Menschen, denen ich vertraue, die standhaft sind und Geduld haben. Die sich auch tausend Mal dasselbe anhören. Und dann darf ich nicht sagen. Das hast du mir aber gestern schon erzählt. Nein, ich höre zu und nehme es genauso ernst wie gestern. Menschen in Ausnahmesituation reagieren nicht normal, sie reagieren extrem. Das muss ich aushalten können.
SWR Aktuell: Irgendwann kommen aber auch Freunde an ihre Grenzen. Wenn sich ein Mensch völlig abkapselt aus Trauer und Verzweiflung.
Kesselheim: Das wird dann ganz schwierig. Ich selber versuche Betroffenen die Möglichkeit zu geben, in Worte zu fassen, was sie empfinden. Das braucht viel Geduld und Zeit.
Und manchmal gehe ich dann auch die Rituale mit, die sich ein Mensch für die Situation geschaffen hat. Zum Beispiel, wenn er sich eine Kerze ins Fenster stellt, damit die vermisste Person zurückfindet im Dunkeln und ähnliche Dinge. Da bin ich dann dabei. Wenn das nicht funktioniert und der Mensch in eine Depression fällt und sprachlos wird, dann muss eine professionelle psychotherapeutische Begleitung her.
SWR Aktuell: Gerade wenn Kinder vermisst werden, ist die Betroffenheit sehr groß. Ist das auch für sie eine besondere Herausforderung?
Kesselheim: Ich habe es mal erlebt, dass bei einem Ehepaar der eine Partner total aktiv war und permanent geschaut hat, was er noch tun kann, um das Kind zu finden. Und der andere ist eigentlich in eine Stille, in eine Ruhe hinein gekommen, hat Rituale entwickelt, so wie ich das eben beschrieben habe. Oder einer zieht sich ins Gebet zurück. Der aktive Ehepartner hat dann gleichzeitig teilweise Wutausbrüche gehabt, weil nichts vorangeht. Und dann wird es schwierig.
SWR Aktuell: Wie können sie da noch helfen?
Kesselheim: Das ist ein Problem, wenn man plötzlich entdeckt, mein Partner, den ich eigentlich geglaubt habe zu kennen, der ist ja ganz anders. Und der trauert ja anders als ich. Das kann zu riesigen Konflikten führen. Bis hin zur Trennung.
Trauerabende für betroffene Eltern Sternenkinder: Wie eine Mutter aus Karlsruhe mit dem Verlust ihres Kindes umgeht
Für Eltern gibt es nichts Schlimmeres als den Tod des eigenen Kindes. Eine Mutter aus Karlsruhe erzählt, wie sie mit dem schmerzlichen Verlust umgeht und wo sie sich Hilfe geholt hat.
Statistiken besagen, dass Paare, die ein Kind verloren haben, in der Regel nicht zusammenbleiben. In Vermisstenfällen sehe ich dann meine Aufgabe darin, dem Ehepaar zu zeigen, das jeder unterschiedlich ist. Jeder ist einzigartig und geht mit Emotionen in Extremsituationen anders um. Das zu verstehen, ist der erste Schritt, um damit klarzukommen. Das Paar sollte merken, dass die Unterschiedlichkeit helfen kann, sich zu ergänzen. Das, was der eine tut, kann helfen das Kind zu finden. Das, was der andere tut, kann helfen, dass wir es als Paar aushalten. Das aufzuzeigen, dabei kann ich helfen.