Arztbesuch erstmal ohne Arzt: Was taugt das Modell „Hybrid-Praxis“?

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Bernhard Seiler
Bernhard Seiler steht im Gang eines SWR-Gebäudes.

Kranke Menschen gehen zum Arzt bzw. zur Ärztin - so ist das seit Jahrhunderten. Das funktioniert aber an vielen Orten nicht mehr so einfach, denn es gibt zu wenige Ärzte. In einer Praxis in Neuerburg in der Eifel wird ein neues Modell ausprobiert: die „Hybrid-Praxis“. Dort werden Patienten erstmal von einer besonders geschulten Arzthelferin untersucht - und wenn dann klar ist: Es ist mehr als ein Unwohlsein, das muss sich der Arzt ansehen, dann wird der per Video-Anruf zugeschaltet. Das Mannheimer StartUp, das die Praxis eröffnet hat, sieht darin die Zukunft der Medizin, gerade auf dem Land. Kann das stimmen? Die Einschätzung von David Matusiewicz, Professor für Gesundheitsmanagement an der FOM-Hochschule in Essen, im SWR-Aktuell-Interview bei Bernhard Seiler.

SWR Aktuell: Langes Warten auf einen Termin, überfüllte Wartezimmer oder auch lange Anfahrtszeiten, weil es in meinem Ort keinen Arzt mehr gibt – ist das ist alles dann Vergangenheit, wenn es erst mal genug hybride Praxen gibt?

David Matusiewicz: Das durchaus ein Teil der Lösung. Wir haben jetzt schon sehr viele Hausärzte, die über 60 sind, die verrentet werden. Und gerade in ländlichen Regionen gibt es heute schon eine Situation, wo ich sehr weit fahren muss. Und deswegen ist tatsächlich die hybride Versorgung ein Teil der Zukunft. Auch Krankenhäuser überlegen, dass sie mobilen Containern ohne Arzt aufstellen, wo telemedizinisch der Arzt zugeschaltet ist. Dort ist eine andere Person, eine medizinische Fachkraft vor Ort, die vielleicht einen Ultraschall-Kopf an den Patienten liegt und der Arzt konsultiert. Tatsächlich kenne ich viele solcher Start-ups und Lösungen. Das ist eine Möglichkeit, diesem Bedarf zu begegnen.

SWR Aktuell: Der Hausärzteverband gibt bei dem Thema zu bedenken, dass eine hybride Praxis spätestens bei Notfällen oder auch bei komplizierten oder chronischen Erkrankungen an ihre Grenzen kommt. Wo sehen Sie die Grenze?

Matusiewicz: Wir arbeiten auch mit dem Hausärzt*innenverband zusammen. Gestern hat Herr Lauterbach das Gleiche bei Apotheken vorgestellt, also die „Ohne-Apotheker-Apotheke“, wo eben der Apotheker telepharmazeutisch zuschaltet wird. Wir sehen jetzt schon die politische Richtung, in die das geht. Und natürlich ist es bei Notfällen etwas anderes. Aber wir haben erst mal 80 Millionen Bürger, die täglich versorgt werden müssen, chronisch Kranke, die versorgt werden müssen. Wir müssen ja überlegen, wie wir das Gros versorgen. Und vielleicht bleibt er noch mehr Zeit für Notfälle in den ganz normalen Arztpraxen, wenn die andere mit ihrem Schnupfen da erst mal telemedizinisch versorgt werden.

SWR Aktuell: Die Idee hinter dem Konzept ist unter anderem, dass eben bei weniger schweren Fällen, bei einfachen Sachen, erstmal medizinische Fachangestellte sich dem Thema widmen und dann den Arzt eben nur bei speziellen Fragen konsultieren. Ist das generell im Trend, dass weniger komplizierte Aufgaben von den Ärzten, von denen es nicht mehr so viele gibt, auf Fachpersonal verlagert werden?

Matusiewicz: Ja, genau. Dafür haben wir zum Beispiel einen Studiengang mit dem Hausärzt*innenverband, wo wir schon 200 Menschen ausgebildet haben, der heißt „Primärmedizinisches Versorgungsmanagement“. Das sind sogenannte MFA, medizinische Fachangestellte – früher wurden sie despektierlich „Sprechstundenhilfe“ genannt. Die lernen bei uns, wie sie die Praxis managen und auch Delegationsleistungen vom Arzt übernehmen: Blutabnehmen, Labor, sie werden in Zukunft impfen. Da sind wir schon mittendrin.

SWR Aktuell: Das klingt ja jetzt, wie Sie das schildern, danach, dass das ziemlich viele Vorteile hat. Sehen Sie denn auch irgendwo Nachteile, wo man aufpassen muss?

Matusiewicz: Ich sehe erst einmal Vorteile. Nachteile sind, weil heute noch politisch nicht klar ist, was die wirklich dürfen. Es ist ein Hin-und- Her-Gerangel ähnlich wie bei Apotheken auch bei Ärzten, was wer machen darf. Keine Berufsgruppe gibt, so meine Erfahrung, gerne Aufgaben ab, weil es so ein bisschen Machtverlust ist. Ich sehe eher politische Probleme, gerade dass die Leute auch motiviert werden, sowohl beim Apotheker als auch beim Arzt, diese Berufe zu ergreifen, dass diese Nachqualifikation auch zu mehr Vergütung führt und wir eben auch junge Leute erst mal überreden müssen, von Berlin, Hamburg, München-Innenstadt irgendwo in den Osten, Westen, wo auch immer, in ländliche Regionen zu gehen. Auch die müssen erst einmal nach dorthin kommen. Das ist die Herausforderung, dass wir das gemeinschaftlich hinbekommen.