Kita Lingua (Foto: SWR)

70 Stellen in städtischen Kitas unbesetzt

Fachkräftemangel: Können Migranten in Tübingen das Problem lösen?

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Anna Priese
Anna Priese ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen. (Foto: SWR, Jochen Krumpe)

Zu wenige Plätze und kurze Öffnungszeiten: Den Tübinger Kitas fehlt Personal. Ein Kurs soll Migranten schnell in die Ausbildung für Kita-Berufe bringen. Doch reicht das? 

Das Personal in den Tübinger Kitas ist knapp. Etwa 70 Stellen fehlen allein in den städtischen Einrichtungen. Der Gemeinderat hatte im Februar 2023 deswegen sogar verkürzte Öffnungszeiten der Kitas beschlossen. Viele Eltern stellt das vor Probleme. Jetzt soll ein neues Projekt Abhilfe schaffen: 24 Migrantinnen und Migranten aus 14 Ländern besuchen seit November den Kurs "Kita Lingua". In etwa einem halben Jahr sollen sie damit fit für die Ausbildung zur Erzieherin oder zum pädagogischen Assistenten gemacht werden. Organisiert wird der Kurs von der Tübinger Uni und der Stadt.

Berufserfahrung als Lehrerin in Syrien

Für Aya Omary scheint der Kurs wirklich ein Gewinn zu sein. Sie strahlt, wenn sie darüber spricht. Die 33-Jährige ist vor fünfeinhalb Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Die Corona-Zeit sei einsam gewesen, allein zu Hause mit zwei Kindern und immer mit der schwierigen Situation im Heimatland Syrien im Hinterkopf. Schon lange habe sie andere Menschen kennenlernen wollen und eine Möglichkeit, ihr Deutsch zu verbessern.

Aya Omary im Kursraum des "Kita Lingua"-Programms. (Foto: SWR)
Durch den Kurs hat Aya Omary mehr Kontakte, eine Ausbildungsperspektive und sie kann ihre Sprachkenntnisse verbessern.

In Syrien hat Omary als Mathelehrerin an einer Mittelschule gearbeitet. Doch weil Lehrer in Deutschland immer zwei Fächer unterrichten müssen und ihr die nötige Sprachkenntnis fehlt, sei die Ausbildung zur Erzieherin eine gute Option. Die Kursteilnehmerinnen seien sehr nett und hätten alle selbst Kinder. Einmal hätten sie sich schon mit den Kindern auf dem Spielplatz getroffen. Aber natürlich sei der Kurs auch herausfordernd. Vor allem das Fachvokabular – da seien die Wörter lang und kompliziert.

Die deutsche Sprache gemeinsam lernen

Auch die 40-jährige Yasemin Akgün, die vor zwei Jahren aus der Türkei nach Tübingen gekommen ist, hat in ihrem Heimatland als Lehrerin gearbeitet. Der Kurs sei eine große Chance für sie – beruflich, aber auch, weil sie viel Unterstützung bei unterschiedlichen Fragen bekomme.

Akgün ist ambitioniert. Sie hofft, dass sie für die Ausbildung zur Erzieherin nicht drei Jahre braucht. Schließlich bringe sie ja Erfahrung mit Kindern durch den Job als Grundschullehrerin mit. Und wenn sie irgendwann gut genug Deutsch spricht, dann möchte sie am liebsten wieder in ihren alten Beruf zurück. Vor dem Kurs habe sie Deutsch hauptsächlich allein gelernt. Aber das sei schwierig, denn dann habe sie ja niemanden, um das Sprechen zu üben.   

Yasemin Akgün (rechts) ist sehr dankbar für den Kurs. Der Initiatorin des Projekts, Christine Rubas und Organisatorin Ute Cieslinski, überreicht sie deswegen ein kleines Geschenk.  (Foto: SWR)
Yasemin Akgün (rechts) ist sehr dankbar für den Kurs. Der Initiatorin des Projekts, Christine Rubas (links) und Organisatorin Ute Cieslinski (Mitte), überreicht sie deswegen ein kleines Geschenk der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Ziel ist ein B2-Niveau

Die Sprache sei aber ganz entscheidend, meint Ute Cieslinski von der Stadt. Denn die Ausbildungen zur Erzieherin oder zur pädagogischen Assistenz seien anspruchsvoll und sehr sprachlastig. Mindestens ein B2-Niveau sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des "Kita-Lingua"-Kurses erreichen. Aber auch Workshops zu interkultureller Kommunikation und Pädagogik stehen auf dem Programm. Alle, die noch nicht in einer deutschen Kita mitgearbeitet haben, machen im kommenden Jahr außerdem ein kurzes Schnupperpraktikum.

Mütter wegen fehlender Kinderbetreuung verzweifelt

Christine Rubas, Leiterin des International Office an der Tübinger Uni hat das Projekt initiiert. Dabei habe sie an zwei Gruppen gedacht. Zum einen an geflüchtete Frauen: Sie habe gemerkt, dass sie einsam sind, wegen Corona und kleiner Kinder zu Hause. Zum anderen habe sie an der Uni Professorinnen getroffen, die in ihrer Verzweiflung geweint haben. Denn durch die mangelnde Kinderbetreuung könnten sie ihrem Beruf nicht richtig nachgehen. "Und da war eben die Idee, diese beiden in eine Win-Win-Situation zu bringen", so Rubas.

Weiterer Kurs soll starten

Aber selbst, wenn alle 24 Kursmitglieder, die Erzieher-Ausbildung beginnen können: Um die Tübinger Kitas mit ausreichend Personal zu versorgen, reicht das natürlich nicht aus. Denn zu den 70 offenen Stellen der städtischen Kitas, kommen in etwa noch einmal so viele der freien Träger dazu, schätzt ein Mitarbeiter der Stadt. Die Drastik wird allein am Kursort von "Kita Lingua" deutlich: Räume eines freien Trägers, in denen seit einigen Monaten gar keine Kinderbetreuung mehr stattfindet. Deswegen soll 2024 ein weiterer Kurs starten. Die Kosten von 40.000 Euro seien bereits im Haushalt eingeplant.

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