Affenversuche in Tübingen (Foto: SWR, Kay-Uwe Hennig)

Tierleid war Behörden bekannt

Neue Beweise: Affen bei Tierversuchen in Tübingen gequält

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Luisa Sophie Klink

Im Zusammenhang mit der umstrittenen Hirnforschung bei Affen in Tübingen gibt es neue Vorwürfe: Die zuständigen Behörden sollen über erhebliches Affenleid informiert gewesen sein.

Der Verein "Ärzte gegen Tierversuche" (ÄgT) erhebt erneut schwere Vorwürfe. Kürzlich bekannt gewordene Unterlagen aus dem Jahr 2009 beweisen nach Ansicht der Tierschützer, dass die Affen bei Hirnversuchen schwer gequält wurden und die Behörden trotz dieser Kenntnis nichts dagegen unternommen hätten.

Obduktion der Affen zeigt schweres Leid

2009 untersuchte Tierärztin Christine Süß-Dombrowski des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Stuttgart tote Affen, die aus Versuchen am Tübinger Max-Planck-Institut stammten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen seien den ÄgT erst jetzt zugespielt worden, heißt es vom Verein. Das baden-württembergische Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR), das Veterinäramt Tübingen und das Regierungspräsidium Tübingen hätten allerdings bereits zwischen 2009 und 2010 detailliert Kenntnis von den Obduktionsberichten der toten Affen gehabt. Laut ÄgT hätten die Behörden den lebensverachtenden Torturen Einhalt gebieten können und müssen.

Aus den Obduktionsberichten geht hervor, dass die Schädel der Tübinger Affen unter anderem Bohrlöcher und eine Fraktur aufweisen. Die damalige Veterinärpathologin Süß-Dombrowski plagen noch heute die Obduktionsbefunde der Affen. Insgesamt wurden sechs Affenkadaver aus Tübingen angeliefert, drei mit und drei ohne Kopf. An einem Schädel wurden keine Versuche vorgenommen, an zweien schon. Genau diese sind nun der Stein des Anstoßes, da sie erhebliche Verletzungen aufweisen. Weshalb drei Affen ohne Kopf abgeliefert wurden, darüber könne nur spekuliert werden, so die "Ärzte gegen Tierversuche". Die mittlerweile pensionierte Stuttgarter Veterinärpathologin zweifelt stark am medizinischen Nutzen:

"An jedem Bohrloch bildet sich eine schwere Hirnhautentzündung. Diese ist medizinisch nachgewiesen und immer sehr schmerzhaft."

Hirnforschung mit gequälten Tieren gar nicht möglich

Sie könne sich nicht vorstellen, dass mit Tieren, die Angst haben, unter Durst und unter schweren Entzündungen am Gehirn leiden, da Nervenbahnen durchtrennt wurden und Glianarben die Erregungsleitung behindern, ernsthaft Denk- und Sinnesprozesse erforscht werden könnten. Es werde an kranken entzündeten Gehirnen geforscht, was nicht aussagekräftig für ein normales gesundes Gehirn sei, so Süß-Dombrwoski.

Die Schädelmanipulationen hätten für die Tiere wesentlich stärkeres Leid bedeutet, als in den Tierversuchen genehmigt war. Das Ministerium ländlicher Raum sagte dem SWR auf Nachfrage, man sei den Vorwürfen damals nachgegangen und habe sie aufgearbeitet.

Behörden war und ist Affenleid bekannt

2019 gab das MLR bei einer kleinen Anfrage im Landtag von Baden-Württemberg die Entzündungen der Gehirne der Affen zu und kam zu dem Ergebnis, dass die dadurch "eingetretenen Belastungen retrospektiv als schwer belastend zu bewerten" sind. Auch verlas das Ministerium abschließend eine Erklärung des Regierungspräsidiums, dass aufgrund dieser Erkenntnisse empfohlen werde, die Affenversuche als schwer belastend einzustufen und dies künftig bei Genehmigungsanfragen zu berücksichtigen.

Affenversuche laufen weiter

Das Regierungspräsidium Tübingen habe trotz Kenntnis von den Obduktionsberichten und dem Leid der Tiere weiterhin Affenversuche an Tübinger Instituten genehmigt, so "Ärzte gegen Tierversuche".

Bei den umstrittenen Hirnversuchen werden Affen Löcher in die Schädeldecke gebohrt und Elektroden ins Hirn eingeführt, um die Nervenaktivität zu messen. Die Versuche am Tübinger Max-Planck-Institut wurden einige Jahre später nach Vorwürfen von Tierschützern zwar eingestellt, an anderen Forschungseinrichtungen in Tübingen und bundesweit laufen solche Versuche aber weiter.

Unstimmigkeiten bei Behörden

Der Ärzteverein wirft den beteiligten Behörden Unstimmigkeiten bei der Beurteilung des Affenleids vor. Auch der damalige Stellvertreter der Tierschutzbeauftragten des Landes, Christoph Maisack, spricht gegenüber dem SWR von unterschiedlichen Beurteilungen innerhalb des RP Tübingens. Teilweise sollen Mitarbeiter das Leid der Tiere als sehr schwer eingestuft haben, dann plötzlich tauchte im Bericht wieder nur "mittelschweres Leid" auf, so Maisack. Nur wenige Monate nach der Landtagsanfrage 2019 sei ein gleichartiger Tierversuch an Primaten mit der Einstufung als "mittelgradig belastend" genehmigt worden. Wegen dieser Genehmigung und der widersprüchlichen Einstufung ist zur Zeit eine Feststellungsklage des Bundes gegen den Missbrauch der Tiere e. V. beim Verwaltungsgericht Sigmaringen anhängig.

Obduktion an Deutschem Primatenzentrum in Göttingen umstritten

Auch dass tote Affen laut Süß-Dombrowski eigentlich zur Obduktion an das Deutsche Primatenzentrum nach Göttingen gegeben werden, hält Maisack für skandalös. Denn dort finden ebenfalls Affenversuche statt. Weshalb die sechs Affen 2009 nach Stuttgart gelangten, kann nicht abschließend geklärt werden, da die damalige Tierärztin am Max-Planck-Institut mittlerweile verstorben ist. Laut dem Ärzteverein soll sie die Affen zur Obduktion nach Stuttgart weitergeleitet haben.

Ebenso bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einstellung zweier Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. 2012 stellte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren mangels hinreichendem Tatverdacht ein. Die damalige Anzeigenerstatterin sagte nun dem SWR, dass nur der Beschuldigte angehört wurde, nicht aber sie. Begründet worden sei dies damals von einem Staatsanwalt in etwa mit den Worten: "Wenn wir gewusst hätten, dass man mit Ihnen hätte vernünftig reden können."

Zweifel an rechtlichem Vorgehen

Tatsächlich wäre allerdings eine Anhörung erforderlich gewesen, da sich der Verdacht der Affenqual förmlich aufgedrängt hatte, meint der ehemalige stellvertretende Landestierschutzbeauftragte und Jurist Maisack. Auf Anfrage des SWR weist die Staatsanwaltschaft Tübingen auf ihren Beurteilungsspielraum hin. Außerdem dürfe es keinen vernünftigen Zweifel an der Tat geben, sonst müsse das Verfahren eingestellt werden, heißt es weiter. Laut Maisack muss aber zunächst der Tatvorwurf umfassend aufgeklärt werden. Dazu gehöre auch die Konfrontation des Anzeigenerstatters mit der abweichenden Erklärung des Beschuldigten.

Auch die endgültige Einstellung einer weiteren Anzeige durch das Amtsgericht Tübingen im Jahr 2019 wirft Fragen auf. Damals wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt. Auf SWR-Anfrage heißt es von einem Sprecher des Amtsgerichts Tübingen, dass sich Staatsanwaltschaft, Gericht und Beschuldigter sehr früh einig wurden. Das heißt: Eine abschließende Prüfung der Schuld fand nicht statt.

Neues Tierschutzgesetz weiterhin schwammig

Auch das 2021 aktualisierte Tierschutzgesetz bleibt weiterhin schwammig. Laut Maisack besteht kein Interesse daran, es wasserfest zu formulieren. Zig mal hätten sein Verein "Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht" (DJGT) und er Vorschläge gemacht, wie man das Gesetz fassen müsse, um unnötiges Tierleid bei Tierversuchen künftig zu verringern oder zu unterbinden. Nur dem Anschein nach wolle Deutschland den EU-Vorschriften genügen. Das sehe man daran, dass in der Tierschutz-Verordnung in sämtlichen Vorschriften sogar noch die ganz alte Formulierung zu finden sei, nach der im schlimmsten Fall nur der wissenschaftliche Nutzen beurteilt werde, nicht das Tierleid. Das ist laut Maisack ein fortgesetzter, schwerer Verstoß gegen die EU-Tierversuchsrichtlinie.

Brandbrief an Behörden und Unterschriftenaktion

Um das Affenleid deutschlandweit zu beenden, haben sich die "Ärzte gegen Tierversuche" nun aufgrund der bekannt gewordenen Obduktionsberichte an das MLR und das Bundeslandwirtschaftsministerium gewandt. Sie bitten um eine Stellungnahme, warum solche Akten über die Obduktionsergebnisse unter Verschluss bleiben, und fordern erneut ein Ende der Affenhirnforschung. Weil der Nutzen fehle und der Schaden den Nutzen bei weitem überwiege, wurde auch eine Online-Petition gestartet: So sollen Unterschriften gegen die Affenforschung deutschlandweit gesammelt werden.

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Luisa Sophie Klink