GKN Neckarwestheim Archivbild Juni 2017 (Foto: SWR)

Zweifel an Energiewende

Wegen Russland-Ukraine-Krieg: Ist der deutsche Atomausstieg noch angesagt?

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Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt: Wir hängen von Energie aus dem Ausland ab. Die Erneuerbaren allein können unseren Energiebedarf nicht decken. Sollten AKW nun länger laufen?

Die Entscheidung ist gefallen: Ende dieses Jahres werden die letzten drei Reaktoren in Deutschland vom Netz gehen. Abgeschaltet werden dann Isar 2, Emsland und auch Neckarwestheim II. Reaktoren, die nach Einschätzung von Expertinnen und Experten zu den sichersten in Europa gehören. Das Kernkraftwerk Neckarwestheim (Landkreis Heilbronn) ist seit 1988 in Betrieb. Ab 2023 wird in Deutschland keine Atomenergie mehr produziert. Eine politische Entscheidung. Aber auch die richtige?

Fachleute haben Zweifel

Der Nuklearexperte Walter Tromm vom Karlsruher Institut für Technologie forscht bereits seit Jahrzehnten im Bereich der Reaktor-Sicherheit und Strahlenforschung und steht in regem Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der ganzen Welt. Und gerade in den Gremien der EU, in denen er in Brüssel arbeitet, wird er von europäischen Kolleginnen und Kollegen immer wieder gefragt, wie es denn in Deutschland sei, ob tatsächlich abgeschaltet - oder ob nochmal darüber nachgedacht werde.

"Alleine Neckarwestheim II als einer der drei Blöcke, die noch in Betrieb sind, hat 2021 11 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. Das entspricht etwa einer Milliarde Kubikmeter Gas. Das ist schon eine Menge, das muss man abwägen."

Weiterbetrieb von AKW logisch

Mit Blick auf die deutsche Abhängigkeit von Energie aus dem Ausland und angesichts der weltpolitischen Lage müsse abgewogen werden, ob der politisch beschlossenen Atomausstieg derzeit Sinne mache. Für Walter Tromm und sein Team wäre der Weiterbetrieb der drei noch laufenden AKW - und sei es nur für ein paar Jahre - eine logische Konsequenz.

"Wenn man es gesamteuropäisch betrachtet, ist es durchaus sinnvoll, auch die Kernenergie mit in den Energiemix einzubeziehen."

Auf drei bis fünf Jahre schätzt der Experte die noch mögliche Laufzeit, danach werde es mit dem Personal schwierig. Dafür könne man dann auf russische Gaslieferungen verzichten. Walter Tromm weiß auch, dass der deutsche Weg ein Sonderweg ist. Belgien hat eben erst angekündigt, seinen Atomausstieg um zehn Jahre zu verschieben. In Frankreich bleiben die AKW am Netz. Und Finnland baut gerade ein neues Atomkraftwerk der neuesten Generation.

Habeck bekräftigt Ausstieg

Erst vor wenigen Wochen noch hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekräftigt, ein möglicher Weiterbetrieb einiger AKW sei geprüft - und wieder verworfen worden. Unter anderem auch, weil der Rückbau zu weit fortgeschritten, das notwendige Personal schlicht nicht mehr vorhanden sei. Dem widerspricht man am KIT entschieden für die kommenden Jahre. Und forscht im übrigen weiter im Bereich der Atomkraftnutzung, damit Reaktorkatastrophen wie 2011 in Fukushima - der Anlass für den deutschen Atomausstieg - künftig nicht mehr passieren.

EnBW erhält Milliarden-Entschädigung

Die Bundesregierung hat sich nach jahrelangem Rechtsstreit mit den Energiekonzernen auf eine Entschädigungssumme für den beschleunigten Atomausstieg geeinigt. Der Karlsruher Energiekonzern EnBW soll rund 80 Millionen Euro bekommen. Der baden-württembergische Energiekonzern hatte 2011 noch vier seiner fünf Kernkraftwerke in Betrieb, darunter die beiden Blöcke des Kernkraftwerks Philippsburg. Dessen Kühltürme wurden am 14. Mai 2020 gesprengt. Inzwischen erzeugt nur noch der Block Neckarwestheim II Strom. Mit seinen rund elf Milliarden Kilowattstunden deckt das letzte verbliebene EnBW-Atomkraftwerk etwa ein Sechstel des Strombedarfs in Baden-Württemberg. 

Studierende in Karlsruhe machen weiter

Ein Teil des ehemaligen Kernforschungszentrums auf dem Campus Nord in Karlsruhe ist inzwischen ein Museum. Eine Erinnerung an frühere Zeiten. Ein Ausflug in die Vergangenheit. Heute ist eine neue Generation Kernreaktoren auf dem Markt. Kleiner, sicherer. Und am Karlsruher Institut für Technologie werden auch in Zukunft Studierende in Fragen der Reaktortechnik ausgebildet werden. Denn auch wenn Deutschland seinen Atomausstieg wie geplant vollzieht - international werden ihre Fachkenntnisse weiterhin gefragt sein.

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SWR