Ein Haus ist nach dem Hochwasser vollkommen aufgerissen. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Thomas Frey)

Auch Sachsen unterstützt Vorschlag

Bei Unwetterkatastrophen: Politik will Häuser pflichtversichern lassen

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Nicht einmal die Hälfte aller Gebäude in Deutschland ist gegen Starkregen, Hochwasser oder Erdrutsche ausreichend versichert. Das möchte Ministerpräsident Kretschmann nun ändern.

Die Bundesländer haben sich für die Wiedereinführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden für alle Gebäudebesitzer ausgesprochen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Teilnehmerkreisen der Ministerpräsidentenkonferenz erfuhr, soll der Bund nun bis Jahresende einen Vorschlag für eine Regelung erarbeiten.

Die Regierungschefs stimmten dem Antrag von Baden-Württemberg, der von Sachsen unterstützt wurde, demnach ohne Aussprache zu. Zuvor hatten die Justizminister bei ihrer Konferenz in Schwangau im Allgäu festgestellt, dass eine solche Pflichtversicherung verfassungsrechtlich durchaus möglich ist.

Erfahrung aus Unwetterkatastrophen

"Das Thema war schon mehrfach Thema in Bund-Länder-Runden. Es wird Zeit, dass da ein Knopf drangemacht wird nach den großen Unwetterkatastrophen, die wir in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hatten. Mit über Hundert Toten und riesigen Summen, die das kostet", sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zuvor dem SWR.

Etwa 30 Milliarden Euro Kosten seien durch die Flutkatastrophe entstanden. Davon hat die Versicherungswirtschaft laut Kretschmann nur etwa ein Drittel übernommen, so könne das nicht weitergehen.

Kretschmann rechnet mit mehr Schadensfällen in der Zukunft

Man werde in Zukunft als Folge des Klimawandels immer häufiger solche "Schadensereignisse" haben. Der Grünen-Politiker warb auch angesichts vermehrter Tornados in Europa für eine Pflichtversicherung. Das funktioniere nur mit Hilfe einer solidarischen Pflichtversicherung aller Immobilienbesitzer - ganz unabhängig ob es sich dabei um Gewerbeimmobilien oder Privathäuser handele, führte Kretschmann weiter aus.

Baden-Württemberg

Acht mal so viele Schäden durch Starkregen und Überschwemmungen BW stark betroffen: 2021 höchste Unwetterschäden in der Geschichte

Die Naturkatastrophen im Jahr 2021 haben vor allem vier Bundesländer getroffen, darunter auch Baden-Württemberg. Die Versicherungen geben den Schaden im Land mit 1,4 Milliarden Euro an.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte der Deutschen Presse-Agentur in Dresden: "Es ist klar, dass Eigenvorsorge in jedem Fall weiter eine große Bedeutung haben muss." Die Länder sollten sich dafür einsetzen, dass der Bund bis Ende 2022 einen Regelungsvorschlag erarbeitet.

Die Justizminister der Länder hatten zuletzt die Frage geprüft, ob eine Pflichtversicherung gegen die Verfassung verstößt. Am Mittwoch machte die Justizministerkonferenz den Weg dann frei, wie die baden-württembergische Ressortchefin Marion Gentges (CDU) den "Stuttgarter Nachrichten" bestätigte.

Nur knapp die Hälfte aller Gebäude in Deutschland umfassend versichert

Nach den Sturzfluten und Überschwemmungen in mehreren Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 war eine Debatte darüber entbrannt, wie Schäden durch Flutkatastrophen besser abgesichert werden können. Nach jüngsten Angaben des Versicherungsverbandes GDV sind derzeit nur rund 46 Prozent der Gebäude in der Bundesrepublik über eine Elementarschadenversicherung versichert, die bei Starkregen, Hochwasser oder Erdrutschen einspringen würde.

Dabei ist Baden-Württemberg in Sachen Absicherung Vorreiter: Im Land sind laut Versicherungsverband GDV 94 Prozent der Gebäude gegen Elementarschäden versichert. In allen übrigen Ländern liegt die Quote zwischen 28 Prozent (Bremen) und 53 Prozent (Nordrhein-Westfalen).

In Baden-Württemberg sind deutlich mehr Gebäude entsprechend versichert als im Bundesvergleich, wie der SWR-Beitrag aus dem Sommer 2021 zeigt:

Umweltökonom warnt: Nicht auf Staat verlassen

Passend zu Kretschmanns Vorstoß warnt das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer davor, sich bei Elementarschäden auf den Staat zu verlassen. "Im akuten Katastrophenfall sind staatliche Hilfen für nichtversicherte Geschädigte unabdingbar, langfristig setzen sie jedoch falsche Anreize und führen so zu einer schlechteren Vorsorge", unterstrich der ZEW-Umweltökonom Daniel Osberghaus in einer Studie von Mittwoch.

Bezeichnend sei, dass der Anteil der Haushalte, die im Schadenfall mit finanzieller Hilfe vom Staat rechnen, nach der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr deutlich gewachsen sei: Von über 5.000 befragten Haushalten stieg der Wert von 12 Prozent im Jahr 2020 auf 22 Prozent im Jahr 2022. Die im Juli 2021 von den Sturzfluten im Westen Deutschlands heimgesuchten Haushalte waren laut dem Mannheimer Hochwasserexperten überwiegend nicht versichert.

Vorschlag zur doppelten Versicherungspflicht

Zwischen 2002 und 2019 habe rund die Hälfte der Hochwasseropfer keine staatliche Unterstützung erhalten. Osberghaus schlägt eine zweifache Versicherungspflicht vor: Jede privat genutzte Wohnimmobilie müsse dann gegen Hochwasserschäden versichert sein. Überdies müssten Versicherer jedem Haushalt ein Angebot unterbreiten. Außerdem sei die Versicherungspflicht auf eine existenzsichernde Höhe zu begrenzen. Darüber hinaus gehende Immobilienwerte könnten die Haushalte dann freiwillig versichern.

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