Pop-Legende Neil Diamond zum 84. Geburtstag: Der wahre "Solitary Man"

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Von Autor/in Hans-Jürgen Finger

Der Musiker Neil Diamond hat Popgeschichte geschrieben. Nun wird er 84 Jahre alt. Mit der Bühne hat er abgeschlossen, aber nicht mit der Musik. Das Leben eines Ausnahmekünstlers.

San Francisco, 1966: Ein junger Mann tritt an den Schalter einer Autovermietung. Einen Leihwagen? Die Frau am Schalter lässt ihn abblitzen – keine Kreditkarte, kein Auto. Im Hintergrund läuft im Radio "Solitary Man" von einem gewissen Neil Diamond. Was sie da höre, das sei sein Song, erklärte der junge Mann. Tatsächlich: "Ich konnte sie davon überzeugen, dass ich der Sänger bin", erzählt Diamond. "Ich sang ihr einige Takte vor – und bekam das Auto."

Plattencover der ersten Single: Unter den ersten Aufnahmen von Neil Diamond 1966 waren gleich drei Songs, die zu Hits wurden – darunter "Solitary Man".
Unter den ersten Aufnahmen von Neil Diamond 1966 waren gleich drei Songs, die zu Hits wurden – darunter "Solitary Man".

Musik und Texten statt Medizinstudium

Noch muss sich Diamond selbst sein Auto und Hotel, selbst seine Begleit-Musiker buchen. Die Karriere geht gerade erst los – und bislang hatte auch nichts für diesen Lebensweg gesprochen. Diamond, geboren am 24. Januar 1941, wächst als Kind einer polnisch-russischer Einwanderer-Familie mit jüdischen Wurzeln im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Der Vater, ein Lebensmittelhändler, ist dauernd pleite, die Familie zieht ständig um. Dem Schuljungen hilft die Musik, die Realität für einen Augenblick zu vergessen. Er schreibt Songs, auch die ganze Nacht hindurch.

Ich schrieb meine Einfälle auf die verschiedensten Papierschnipsel.

Selbst an der Universität während der Vorlesung textet er heimlich. "Die Lehrer dachten, ich machte mir Notizen." Zusammen mit Highschool-Kumpel Jack Parker bildet er das Gesangs-Duo "Neil & Jack". Nach zwei erfolglosen Platten trennen sie sich, Diamond macht solo weiter – als "Solitary Man" sozusagen. Das Studium der Medizin an der New York University bricht er ab, sein Entschluss steht fest: Musik machen, das soll nun sein einziger Fokus sein.

Neil Diamond noch zu Beginn seiner Karriere: In wenigen Jahren wurde aus dem Jungen aus Brooklyn ein internationaler Star.
Neil Diamond noch zu Beginn seiner Karriere: In wenigen Jahren wurde aus dem Jungen aus Brooklyn ein internationaler Star.

"I'm a believer" – sein erster Hit als Song-Schreiber

Das Künstlerviertel Greenwich Village fasziniert Diamond. Für 50 Dollar pro Woche beginnt er, Songs zu schreiben. Doch dieser und ähnliche Jobs sind nicht von Dauer: Die Musikverleger heuern ihn – und feuern ihn wieder. Trotzdem stellen sich erste kleine Erfolge als Songwriter ein. Dann schreibt er für die Monkees den Millionenseller "I'm a believer". Es ist die erste Band von einer ganzen Reihe, die mit Neil-Diamond-Songs Hits landen: Elvis Presley, Cliff Richard und Frank Sinatra interpretierten seine Songs – und das ist nur eine kleine Auswahl.

Ich kann unmöglich alle meine Songs selbst bringen. Deshalb gebe ich sie Leuten, die das Beste daraus machen.

Der erste Plattenvertrag 1966. Gleich bei der ersten Aufnahme singt Neil Diamond drei Hits ein: "Cherry Cherry", "I got the feeling" und vor allem "Solitary Man". Über Nacht ist er ein Star: Die "neue Stimme Amerikas" zählt rasch zu den Top-Verdienenden der US-Musikbranche. Seine Lieder sind keine Saison-Ware, wie mancher raunen mag. Es werden Evergreens mit teils persönlicher Note. So verarbeitet er in "I Am … I Said" in wenigen, prägnanten Worten seine Heimatlosigkeit zwischen New York und San Francisco.

Neil Diamond singt 1971 in der ZDF-Show "Disco 71": Mit seinen Pop-Songs feiert der Musiker internationale Erfolge.
Neil Diamond singt 1971 in der ZDF-Show "Disco 71": Mit seinen Pop-Songs feiert der Musiker internationale Erfolge.

Erfolgreich mit Musik zum Film "Die Möwe Jonathan"

Und Diamond bricht mit Konventionen. Nach den engen Dreiminuten-Grenzen der Singles wendet er sich thematischen Langspielplatten zu, die alle Edelmetall erhalten. So schreibt er 1974 die Musik zu dem Film "Die Möwe Jonathan" nach der Kult-Erzählung "Jonathan Livingston Seagull" von Richard Bach. Der Film floppt, das Album bricht alle Rekorde. 1973 erhält Diamond dafür einen Grammy. Nochmal erfolgreicher ist er zwei Jahre später mit seinem wohl bekanntesten Album "Beautiful Noise".

Plattencover von "Jonathan Livingston Seagull": Mit dem Soundtrack zum Film  "Die Möwe Jonathan" holte Neil Diamond einen Gramm
Mit dem Soundtrack zum Film "Die Möwe Jonathan" holte Neil Diamond einen Grammy.

Gesundheitlicher Rückschlag für Neil Diamond

Dann folgt der erste gesundheitliche Rückschlag: 1979 stürzt Neil Diamond in San Francisco beim Konzert und kommt nicht mehr hoch. Der Grund: ein Tumor an der Wirbelsäule. Fast wäre er im Rollstuhl gelandet, erinnert er sich später. Aber er kommt wieder. Auch wenn seine absolute Hochzeit vorbei ist, Kritiker seine Musik als zu glatt und sauber bemäkeln: In den 80ern und 90ern bleibt er mit seinen Alben und Konzerten präsent. Die "Songwriters Hall of Fame" ehrt ihn 2000 für sein Lebenswerk, viele weitere Preise folgen – inklusive eines Sterns auf dem Hollywood Walk of Fame.

Neil Diamond – für immer Musiker und Songwriter

Dann der nächste gesundheitliche Rückschlag: Im Januar 2018 macht Neil Diamond seine Parkinson-Erkrankung publik. Er bricht seine Tour ab und erklärt, dass er keine Konzerte mehr geben wird. Aber das Ende ist es nicht. Denn auf Studioaufnahmen hat diese Entscheidung keinen Einfluss. Nach wie vor ist die Musik sein Lebensinhalt, sein Leben.

Ich werde immer ein Songwriter sein. Ich bin es mit Haut und Haaren.

Singen im Chor: "Sweet Caroline" im Stadion

Der Sänger und Songtexter Neil Diamond steht 2013 bei einem Profi-Baseballspiel mitten im Stadion und singt mit den Fans "Sweet Caroline".
Der Sänger und Songtexter Neil Diamond steht 2013 bei einem Profi-Baseballspiel mitten im Stadion und singt mit den Fans "Sweet Caroline".

Neil Diamond bleibt so auch mit nun 84 Jahren präsent. Ganze Baseball-, Football- und Fußball-Stadien stimmen sein "Sweet Caroline" an. Junge Interpreten entdecken sein Repertoire neu – und nicht nur die: Sein Produzent Rick Rubin, der Diamond noch in den 2010ern zu einem späten Revival verholfen hatte, lässt auch eine andere Musiklegende sich neu erfinden: Johnny Cash. Auf dessen legendären American Recordings singt er eigene Lieder und die anderer. Der Titelsong des dritten Albums – tief, brüchig, imposant: "Solitary Man".

Hans-Jürgen Finger

Hans-Jürgen Finger