Medizin

Warum die jüngere Generation kränker ist als ihre Eltern

Stand
INTERVIEW
mit Prof. Siegfried Geyer

Es klingt paradox: Ältere Menschen sind oft gesünder als jüngere. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der Medizinischen Hochschule Hannover. Viele Jüngere erkranken häufiger und früher z. B. an Diabetes oder Übergewicht. Woran liegt das?

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Medizinsoziologen der Medizinischen Hochschule Hannover haben erforscht, wer gesünder ist: Die jungen Leute oder eher die Älteren? In ihrer Studie haben sie die Generationen anhand von Krankenkassen-Daten miteinander verglichen. Ralf Caspary im Gespräch mit Prof. Siegfried Geyer, Medizinische Hochschule Hannover.

Jüngere Generationen erkranken häufiger an Lungenkrebs und COPD 

SWR2 Impuls: Was haben Sie herausgefunden, welche Generation ist gesünder? 

Siegfried Geyer: Ja, wie Sie wahrscheinlich ahnen, ist das nicht ganz so einfach festzustellen. Wir haben dafür Generationen miteinander verglichen. Das heißt, wir betrachten beispielsweise die Älteren, also sagen wir die 65- bis 70-Jährigen von heute und vergleichen sie mit den 65- bis 70-Jährigen von vor 20 Jahren. Und bei den Jüngeren machen wir es genauso.  

Es ist so, dass die Menschen, die heute jenseits der 65 Jahre sind - die Babyboomer, die schon einige Zeit raus sind aus ihrem Beruf und die etwas älteren Menschen - in der Tat gesünder sind als die Menschen gleichen Alters vor einer Generation. Ganz spezifisch bezieht sich das zum Beispiel auf Herzinfarkte und Schlaganfälle, aber auch auf Lungenkrebs und beispielsweise die chronisch obstruktive Lungenerkrankung COPD. Das ist eine Erkrankung, die die Lungenwege verengt und zu schweren Beschwerden führt. 

 

Das Bild zeigt eine ältere Frau und einen älteren Mann beim Sport. (Foto: IMAGO, imagebroker)
Die älteren Generationen sind laut der Studie der Medizinischen Hochschule Hannover gesünder.

SWR2 Impuls: Und wie sieht das jetzt bei den Jüngeren aus? 

Siegfried Geyer: Wir haben eigentlich zunächst angenommen, dass der Gesundheitszustand in allen Altersgruppen (Jüngere und Ältere) gleichbleibt. Als wir dann aber zwischen den Jahrgängen getrennt haben, hat sich gezeigt, dass es eine Grenze zwischen den Geburtsjahren vor 1960 bis 1962 und denen danach gibt. Und da haben wir herausgefunden, dass diejenigen, die danach geboren wurden, höhere Herzinfarkt-Raten haben. Das hatten wir überhaupt nicht erwartet. Auch das Alter beim Auftreten von Diabetes Typ 2 hat sich “nach unten” verschoben. Immer mehr junge Menschen erkranken daran. Wer früher erkrankt, hat dann auch ein Risiko für weitere, sich daraus ergebende Erkrankungen. 

Ungesünderer Lebensstil als mögliche Ursache 

SWR2 Impuls: Warum ist das so? 

Siegfried Geyer: Vereinfacht gesagt, vermuten wir zwei Dinge: Zum einen Veränderungen der Lebensweise. Das heißt also, dass die Menschen heute ungesünder leben, weil sich ihre Ernährungsgewohnheiten in eine ungesündere Richtung verändern und weil sie sich weniger bewegen. Das wäre die eine Seite, die direkt im Alltagsleben wirksam wird. Zweitens haben sich auch die Strukturen beruflicher Tätigkeiten verändert. 

Für eine ganze Zeit war ja Industriearbeit zum Teil 'schmutzig'. Sie war körperlich schwer und ist dann über die Zeit verbessert worden. Die Digitalisierung und Mechanisierung kam, wodurch sich die Tätigkeitsstrukturen immer mehr in Richtung sitzender Tätigkeiten verändert haben. Das heißt, dass Menschen, die beispielsweise im Büro tätig sind, früher mehr herumgelaufen sind, weil sie etwa mal irgendwo einen Aktenordner oder eine Unterlage geholt haben. Mit der Einführung des papierlosen Büros brauchen sie jetzt den Arbeitsplatz nicht mehr zu verlassen. Das ist zwar auch ein Vorteil, aber auf der anderen Seite führt es zu weniger Bewegung. Das gilt auch für andere Bereiche. 

SWR2 Impuls: Diese Veränderung in der Arbeitswelt hat also eine starke Wirkung auf die Gesundheit, gibt es noch andere Faktoren? 

Siegfried Geyer: Ja, es geht auch darum, dass diese Veränderung einhergeht mit insgesamt weniger Bewegung und auch einer ungesunderen Lebensweise und Ernährung. Der Einkauf von Convenience-Produkten, also Fertigprodukten, die verzehrt werden, hat in den letzten Jahren nämlich zugenommen. Weil der Beruf oftmals keine Zeit mehr lässt zum aufwändigen Kochen. 

 

Das Bild zeigt drei Personen, die im Wald wandern. (Foto: IMAGO, Herrmann Agenturfotografie)
Zu Fuß gehen hat viele gesundheitliche Vorteile.

Soziale Unterschiede haben Einfluss auf Gesundheit 

SWR2 Impuls: Meine Erfahrung ist eher die, dass viele Praktikanten und Praktikantinnen, die wir beim SWR haben, sehr gesundheitsbewusst sind. Wie ordnen Sie das ein? 

Siegfried Geyer: Das sind vergleichsweise junge, gut gebildete Menschen, die gerade am Anfang ihrer Berufskarriere stehen. Sie bringen natürlich auch eine bestimmte Einstellung mit. Sie sind gut gebildet, aber es gibt außerdem auch Menschen, die in belastenden Berufen arbeiten und einen eher stressigen Job haben. Und da sieht das anders aus. Das heißt, wir haben soziale Unterschiede im Hinblick auf das Bewegungs- und Ernährungsverhalten sowie auch hinsichtlich des Freizeitverhaltens. 

SWR2 Impuls: Wenn ihre Studie zutrifft, dann heißt das doch auch, dass wir uns wieder mehr mit Prävention auseinandersetzen und zum Beispiel am Arbeitsplatz Dinge brauchen, um die Menschen in Bewegung zu bringen? 

Siegfried Geyer: Ja, auf jeden Fall. Es gibt zum Beispiel eine Empfehlung von der OECD, dass man nach einer halben Stunde im Sitzen mal aufstehen und etwas herumlaufen soll, um diesem ständigen Sitzen etwas entgegenzusetzen. Das könnte man am Arbeitsplatz umsetzen. Es wäre natürlich auch ganz gut, im Betrieb etwa Sportprogramme anzubieten, allerdings man müsste man die Bewegung prinzipiell in den Arbeitsalltag einführen und integrieren.

Und in der Kantine wäre es sinnvoll, gesundes Essen anzubieten. Da ist natürlich dann die Frage, wonach die Beschäftigten greifen 

Das Bild zeigt eine Frau am Schreibtisch, die sich schmerzverzerrt den Rücken hält. (Foto: IMAGO, Panthermedia)
Langes Arbeiten im Sitzen ist ungesund. Die OECD empfiehlt, zwischendurch aufzustehen und sich zu bewegen.

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