Es gibt keine Pauschalrezept für "guten Sex". Ob jemand mit seinem Sexualleben unzufrieden ist, und wie sehr er darunter leidet, könne nur er allein beurteilen. Für "guten Sex" und wie oft er stattfinden sollte, gibt es nach Ansicht von Experten keinen Masterplan.
Ein Paar kann einmal im Monat miteinander schlafen und ist glücklich, ein anderes Paar braucht es fast täglich. Es geht darum zu fragen: Ist dieser Mensch glücklich, so wie er seine Sexualität erlebt, oder ist er unglücklich, sehnt er sich nach einer anderen Form der Sexualität. Es muss ein Leidensdruck vorhanden sein. Erst dann macht eine z.B. eine Sexualtherapie auch wirklich Sinn.
Starthilfe - Die Chemie macht´s
Lange Zeit galten sexuelle Erregung und sinnlicher Genuss als abstrakte, eher subjektive Empfindungen. Erst vor etwa zwei Jahrzehnten wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass sexuelles Begehren von biochemischen Vorgängen gesteuert ist. Die Forschung konzentrierte sich zunächst auf die sexuellen Probleme von Männern, vor allem Potenzstörungen. 1998 kam eine kleine blaue Pille auf den Markt und erzielte sensationelle Erfolge: Viagra verstärkt die Blutzufuhr in die Schwellkörper des Penis, was zur Erektion führt und sie aufrechterhält. Damit scheint für Männer fortan störungsfreier Sex gesichert.
Inzwischen widmet sich die Forschung auch der weiblichen Lust: Verheißungsvolle Experimente machte der kanadische Neurowissenschaftler Jim Pfaus, der lustlosen Rattenweibchen eine Substanz spritzte, die ihr Begehren ankurbelte. Seither sucht die Pharmaindustrie nach einem Pendant für Frauen:
Lust-Pflaster - mit Nebenwirkungen
Zum Beispiel gibt es ein Hormonpflaster, ein Testosteronpflaster, das in Einzelfällen eingesetzt sehr hilfreich ist. Gynäkologen verschreiben dieses Pflaster Patientinnen, wenn sie in den Wechseljahren über Libidomangel klagen. Doch Testosteronersatz ist nicht immer gut verträglich, es kann das Herz-Kreislaufsystem beeinflussen. Ein Testosteron-Nasenspray wurde bereits vom Markt genommen, weil es zu Bluthochdruck führte. Dass weibliche Sexualität nicht so einfach zu steuern ist wie männliche Potenz, hat der amerikanische Konzern Pfizer, der Hersteller von "Viagra" erfahren, als er eine Sexpille für Frauen entwickeln wollte: Die bessere Durchblutung der weiblichen Geschlechtsorgane brachte keine stärkere sexuelle Erregung. "Pink Viagra" war ein Flop. Das zeigt: das wichtigste Sexualorgan des Menschen ist immer noch: das Gehirn.
Pharmazeutische Libido-Nachhilfen
Um Frauen zu helfen, die unabhängig von Krankheiten und Wechseljahrs-Beschwerden an sexueller Unlust leiden, entwickelte der Pharmakonzern Boehringer in Ingelheim 2009 "Flibanserin". Das Präparat wurde erfolgsversprechend getestet, aber nicht freigegeben. Die Ergebnisse waren der Zulassungsbehörde zu vage, die Herstellung des Medikaments wurde eingestellt. Ganz im Sinne von Gegnern pharmazeutischer Libido-Nachhilfen, die sich darauf berufen, dass vor allem Zeitmangel und Stress Hauptgründe sind, wenn Sex unter den Tisch fällt.
Liebe als Vorbedingung für guten Sex
Das Wissen über Sexualität war zu keiner Zeit größer als jetzt. Dank Talkshows, Ratgebern, Zeitschriften, Internetforen, Interessensvertretungen und Selbsthilfegruppen ist sexuelle Aufklärung flächendeckend gesichert. Über die körperlichen Vorgänge in Sachen Sex wissen Heranwachsende umfassend Bescheid. Was junge Paare oder Jugendliche jedoch unbedingt lernen sollten ist nach der Meinung von Paartherapeuten, die Liebe:
"Wir haben eigentliche eine sexualisierte Kultur, aber keine Liebeskultur, und das heißt, im Grunde genommen scheitern die meisten Paare nicht daran, dass sie zu wenig über Sex wüssten, sondern sie wissen zu wenig über die Liebe. Sie wissen zu wenig darüber, wieviel Behutsamkeit es erfordert, erotische Begegnungen zu gestalten, dass sie überhaupt gestaltet werden müssen, nach einer gewissen Zeit der Verliebtheit. Dass Sprache dazu gehört, dass Zeit dazu gehört, dass Sexualität nichts ist, was man auf Dauer zwischen Tatort und Spätfilm noch reinquetschen sollte, sondern dass das auch eine Vorbereitung braucht."
Liebe kann man lernen
Liebe lässt sich weder fabrizieren noch konsumieren, und darin besteht die Chance für den Sex: als Ausdruck einer innigen Liebesbeziehung. Das müssen junge Paare erst lernen und ältere wieder lernen - deshalb werden praktische Übungen für zu Hause aufgegeben. Das sind einfache aber einfühlsame Formen der körperlichen Annäherung, die nichts zu tun haben mit plumper oder ungeschickter "Anmache":
Monika Bertsche: "Also da geht es ganz viel um Werbung, um Behutsamkeit, um das Ausloten all dessen was mir zur Verfügung steht: Ich kann meine Frau umfassen, ich kann mich an ihren Rücken lege, kann sie wärmen, ich kann sie sanft streicheln, ich kann aber auch durch eine kräftige Massage versuchen, sie anzuregen. Ich komme weg von diesem genital fixierten Vorgehen - hin zu einer viel umfassenderen Begegnung, und diese Übungen werden in der Therapie vorbesprochen."
Sexuelles Problem - ein Kommunikationsproblem?
Weshalb sie gerade lustlos sind, wissen die Betroffenen meist selbst genau – berufliche Belastung oder familiäre Veränderungen, wie Nachwuchs, spielen eine Rolle. Doch wichtig scheint primär nicht, wie oft es zum Sex kommt, sondern wie damit umgegangen wird. Frauen sind sexuell gesehen zufriedener, wenn ihre Partner zu einfühlsamen Gesprächen fähig sind, so das Ergebnis einer amerikanischen Untersuchung mit 70 Paaren. Probleme mit Sex sind oftmals kein körperliches, sondern ein Kommunikations- Problem, so die Meinung auch von Paartherapeuten.
Das "Drumherum" ist entscheidend
Besonders Männer suchen oft Nähe, fordern aber aber Sexualität ein. Da gibt es bei den Männern ein Missverständnis zwischen gefühlsmäßiger emotionaler Nähe und Sexualität im Sinne von Geschlechtsverkehr. Und dann stoßen sie bei Frauen auf Widerstand. Frauen möchten anders umworben werden, sie möchten emotionale Nähe haben. Sie möchten, dass der Mann sich auch mal hinsetzt und sie fragt, wie ihr Alltag aussieht - dann fühlt sich aber der Mann wieder nicht verstanden. Im Grunde möchten Mann und Frau dasselbe, aber streiten um die Form.
Sexualität im Alter ändert sich
Glücklicher Sex hat mit dem "wie oft" und mit dem Alter an sich nichts zu tun: Ältere Menschen sind mit ihrem Sexualleben durchaus zufrieden. So das Ergebnis einer aktuellen Langzeitstudie der Universitäten Rostock, Heidelberg und Leipzig, bei der 170 Probanden über ihre Sexualität befragt wurden – seit 1993 jeweils im Abstand von 5 Jahren. Obwohl sie wenig Geschlechtsverkehr hatten - meist aus körperlichen Gründen, weil Hormone fehlen, die Schleimhäute austrocknen, Spannkraft und Erektionsfähigkeit nachlassen und Krankheiten auftreten - gaben 57 Prozent der Studienteilnehmer, als sie 63 Jahre alt waren, an, sie seien glücklich mit ihrem Sexualleben; zehn Jahre später waren es sogar 70 Prozent. Ganz offensichtlich, so die Erkenntnis der Wissenschaftler, verändert sich Sexualität im Alter: Zärtlichkeit steht im Vordergrund. Probanden, die zärtlich mit ihrem Partner umgingen, waren glücklicher in der Beziehung als jene, die angaben, dass Zärtlichkeit für sie nicht wichtig sei.
Sagen, was man will
Wer mit seiner Sexualität hadert und unzufrieden ist, dem legt Sexualforscher Michael Berner ans Herz, Eigenverantwortung zu übernehmen und Initiative zu ergreifen- das kann zunächst ein offenes Gespräch sein. Wünsche klar zu äußern, das rät er vor allem den Frauen. Michael Berner: "Wenn ich mit Frauen spreche, frage ich immer: bekommen Sie gerne Blumen? - Na klar bekomme ich gerne Blumen. - Und wann haben Sie zum letzten mal Ihrem Mann gesagt, dass Sie gerne Blumen bekommen ?! Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Blumen bekommen ist deutlich stärker, wenn Sie den Wunsch anmelden, das auch zu bekommen. - Dann geht das, was wir vielleicht hinter Sexualität vermuten, dass es unglaublich viel mit Spontaneität zu tun haben muss, ganz sicher verloren. Aber Sexualität, die immer auf Spontaneität wartet, findet meistens eben gar nicht mehr statt. "
Produktion 2012