Georg Büchner: "Dantons Tod"

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Michael Reitz
Michael Reitz (Foto: Michael Reitz)
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Candy Sauer

Ein Lehrstück für die Gegenwart

Georg Büchners Drama "Dantons Tod" aus dem Jahr 1835 gilt als Beschreibung einer grausamen Revolution, die ihre eigenen Kämpfer ermordet. Büchner sprach vom "grausamen Fatalismus der Geschichte": Von Umstürzen ist kein sozialer Fortschritt zu erwarten, sie enden immer in einem Blutbad.

Das Moderne an Büchners Drama: Illusionslos beschreibt er die Geburt des Massenmenschen, der unbarmherzigen technokratischen Herrschaft in Wirtschaft und Gesellschaft, soziale Kälte - und vor allem die Manipulierbarkeit gerade der untersten Schichten durch populistische Versprechungen, die Schaffung von Sündenböcken und gezielte Desinformation: "Wir sind nur die Instrumente, die Musik spielt ein anderer."

Das Stück und sein historischer Hintergrund

Im Sommer 1792 geht in Frankreich die bis dahin gemäßigte Revolution von 1789 in eine blutige Phase über. Ein Koalitionsheer aus Preußen und Österreichern will den abgesetzten französischen König, der in der jungen Republik lediglich als Repräsentationsfigur vorgesehen ist, vollständig wieder einsetzen und steht zum Einmarsch bereit. Das Volk verlangt Waffen, um sich gegen die ausländischen Truppen zu verteidigen. Sie werden ihm vom Justizminister Georges Danton gegeben. Der damit allerdings gleichzeitig die Sansculotten – den ärmsten Teil der Pariser Bevölkerung und radikalsten Flügel der Revolution - bewaffnet. Das Volk stürmt die Tuilerien, die Residenz der Königsfamilie. Sowohl die Königsfamilie als auch Hunderte von Adligen werden verhaftet.

Bei den darauffolgenden Neuwahlen sitzen neben den maßvollen Girondisten die Jakobiner Robespierre, Danton und Saint Just im Parlament – Vertreter einer kompromisslosen Linie gegen den Adel. Im September des Jahres 1792 kocht die Stimmung unter der hungernden Pariser Bevölkerung hoch, zumal das feindliche Heer bedrohlich nahe an Paris herankommt. Georges Danton, vom einfachen Volk verehrt, hetzt im September die Sansculotten dazu auf, Gefängnisse zu stürmen und die Adligen zu erschlagen. Seine Hasstiraden führen zum dunkelsten Kapitel der Französischen Revolution. In einer tagelangen Orgie der Gewalt werden über 1.200 Menschen massakriert. Mit Dantons Namen ist fortan ein Schlagwort verbunden: die Septembermorde. In Georg Büchners Drama versucht Danton, die Morde zu rechtfertigen – doch zugleich kommen ihm Zweifel.

Büchners Stück beginnt im März 1794, mit der Hinrichtung der Hébertisten, dem sozialrevolutionären und antiklerikalen Flügel der Jakobiner, und endet mit dem Tod Dantons (April 1794) und seiner engsten Weggefährten durch die Guillotine.

Figuren

DantonRobespierreSaint-Just
individuelle Freiheit und persönliches Lebensglückprinzipientreukalter Machtmensch
hat Schuldgefühle und will staatliches Morden beendensetzt übergeordnete Ideale mit Gewalt durchsieht Gräueltaten als Notwendigkeit
"Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?""Das Laster muss bestraft werden, die Tugend muss durch den Schrecken herrschen.""... dass wir nicht grausamer sind als die Natur."
Georg Büchner, Porträt (Foto: SWR, picture-alliance / dpa - dpa)
Georg Büchner (1813 - 1837)

Georg Büchner und seine Zeit

Als Büchner das Werk schreibt, herrschen in ganz Deutschland Pressezensur, Versammlungsverbot, Rechtlosigkeit der Bürger und Vetternwirtschaft unter der herrschenden Klasse, den Adligen. Das Großherzogtum Hessen ist ein brutaler Polizeistaat, willkürliche Verhaftungen von Oppositionellen sind an der Tagesordnung. Ein unbedachtes Wort gegen die Machthaber kann lebenslange Festungshaft oder sogar den Tod bedeuten.

Georg Büchner sieht sich als Revolutionär. Doch durch sein privates Geschichtsstudium erkennt er, dass Revolutionen eine Gewaltspirale auslösen, die niemand mehr kontrollieren kann. Er will stattdessen das Volk aufklären und verfasst mit einigen Gesinnungsgenossen den "Hessischen Landboten", eine Flugschrift, die heimlich an die Bauern Hessens verteilt wird. Darin wird beschrieben, dass die hohen Abgaben der Bauern hauptsächlich für den aufwendigen Lebensstil des Adels verbraucht werden. So soll eine Opposition gegen die Obrigkeit gefördert werden. Doch das Volk ist daran nicht interessiert.

Im Herbst 1834 hat die Polizei Georg Büchner im Visier. Er wird zweimal verhört, und obwohl er beide Male wieder entlassen wird, weiß er, dass seine Verhaftung nur noch eine Frage der Zeit ist. Aufforderung zum Umsturz bedeutet im Großherzogtum die Todesstrafe. Um seine Spuren zu verwischen, zieht Georg Büchner von Gießen in das elterliche Haus nach Darmstadt. Doch schon bald patrouillieren Tag und Nacht Polizisten in seiner Straße, die offenbar nur auf den Haftbefehl warten. In dieser von Furcht bestimmten Situation bereitet Georg Büchner seine Flucht nach Straßburg vor. Und schreibt innerhalb weniger Wochen sein Drama "Dantons Tod."

Erstausgabe von "Dantons Tod" (1835) (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Erstausgabe von "Dantons Tod" (1835)

Aktualität des Werks

Die Akteure Danton, Robespierre und Saint-Just wollen nach der Französischen Revolution die ehemals vom Adel dominierte Gesellschaft verändern - doch welches sind die richtigen Mittel und wie weit darf man gehen? Das Verhältnis von Politik und Moral, die Selbstrechtfertigung von Macht, persönliche Schuld und ethische Zweifel, die Gewaltdynamik politischer und sozialer Umbrüche – das sind einige der Themen, die Büchners "Danton" bis heute aktuell machen.

Auch die politische Rolle des Volkes wird beleuchtet. Zwar hatte die Französische Revolution erstmals in der Geschichte die Massen zu einer eigenständigen Größe, zum tätigen politischen Subjekt erklärt. Doch Büchner und seine Zeitgenossen stellten schnell fest, dass dieses Experiment gescheitert war - und zwar wegen der Manipulierbarkeit des Volkes: Es ist leicht zu beeinflussen, läuft heute dem und morgen einem anderen hinterher, lässt sich für fremde Ziele missbrauchen, die es für seine eigenen hält. Damit nimmt Büchner vorweg, was wir heute Populismus nennen: ein Politiker nimmt Allerweltsgedanken und Stammtischparolen potentieller Wähler auf und macht sie sich in seinem Sinne zunutze.

Literatur

  • Hermann Kurzke: Georg Büchner: Geschichte eines Genies; Verlag C.H. Beck 2013
  • Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner; Rowohlt-Verlag 2004
  • Ders.: Georg Büchners Frauen: 20 Porträts; dtv 2013
  • Michael Hofmann, Julian Kanning: Georg Büchner – Epoche, Werk, Wirkung; Verlag C.H. Beck 2013
  • Udo Weinbörner: Das Herz so rot (Roman); Horlemann-Verlag 2013
  • Christian Milz: Georg Büchner – Dichter, Spötter, Rätselsteller. Entschlüsselungen; Passagen-Verlag 2012
  • Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit; Suhrkamp 1972