Szenenbild aus der Theaterinszenierung "Faust" (Foto: SWR, Salzburger Landestheater - Anna-Maria Löffelberger)

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Johann Wolfgang von Goethe: "Faust" auf der Bühne

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Modern, werkgetreu und frech: Die „Faust 1“- Inszenierung von Carl Philip von Maldeghem am Salzburger Landestheater begeistert seit zehn Jahren die Kritik – und stellt aktuelle Fragen.

Roadtrip durch das pralle Leben

"Eine gute Theateraufführung muss spätestens nach 20 Minuten das Publikum erreicht haben und ihm zeigen: Das hat etwas mit mir zu tun, hier und heute", sagt Carl Philip von Maldeghem. In seiner Inszenierung ist der Gelehrte Faust ein Biogenetiker, der in seinem Labor mit Mäusen und Ratten arbeitet. Sein Ziel ist, sich selbst zu klonen. Wollen wir das, dürfen wir das? Wo liegen die moralischen Grenzen der Wissenschaft? Das ist eine der Fragen, die dieser "Roadtrip auf der Bühne" aufwirft.

Verführt von Mephisto macht sich Faust auf, das pralle Leben zu erkunden – und zieht eine Spur der Verwüstung hinter sich her. Gretchen endet schließlich wie ein Versuchstier in seinem Labor.   

Faust ist ein Getriebener, der nach dem Sinn des Lebens sucht und sich nicht scheut, über die Grenzen dessen hinwegzugehen, was wir für moralisch halten. Und auch wir müssen uns fragen: Auf wessen Rücken tragen wir unsere Sinnsuche aus?

Parallelen zu Herrmann Hesses Roman "Steppenwolf"

Faust und Harry Haller – der Protagonist im "Steppenwolf" - sind beide Suchende. Sie wollen über das hinaus, was sie schon kennengelernt haben, wollen mehr vom Leben wissen und in unbekannte Bereiche dringen. Beide sind etwas selbstmitleidige Männerfiguren, die man jedoch aus der Entstehungszeit heraus verstehen muss, meint Carl Philip von Maldeghem. Die zentrale Parallele ist die Sinnsuche und die Frage der Protagonisten nach dem Umfeld, mit dem man sich umgibt.  

Wie gehen wir mit der Natur um?

Eine zentrale Szene in "Faust 1" ist für Carl Philip von Maldeghem "Wald und Höhle": Hier erzählt Goethe von seiner Idee der Naturreligion; sie spiegelt seinen großen Respekt vor der Schöpfung.

Faust "meditiert" im Wald, verschafft sich neue Lebenskraft in der Natur, bis Mephisto ihn aufscheucht. Hier lässt sich ein Bogen in die Gegenwart schlagen: Wie sehr leben wir heute im Einklang mit der Natur? Wie sehr sind wir bereit, die Schöpfung zu zerstören, um immer mobil zu sein? Oder alles bequem in Plastik einzuwickeln?

Mephisto als "Life-Coach"

Mephisto ist alles, was Faust nicht ist: Gewandt, lebenslustig und ein Verführer. Er verführt Faust dazu, zu sich selbst zu kommen – und ist zugleich ein Persönlichkeitsteil dieser Figur. Beide gehören zusammen, kennen und erkennen sich schon sehr früh. Seit ihrem Pakt zieht Faust unersättlich durch die Welt, Mephisto ist dabei sein "Life Coach". Faust freilich will alles, will das Unmögliche – so wie wir heute mit unserer Selbstoptimierung versuchen, immer perfekter zu werden und noch mehr "rauszuholen". 

Auerbachs Keller als Karaoke-Bar

Die Inszenierung ist in unserer Gegenwart angesiedelt: Mephisto tritt im Glitzermantel auf, Auerbachs Keller ist eine Karaoke-Bar, in der heutige Zecher Schlager ins Mikro singen: von "Marmor, Stein und Eisen bricht" bis "Palma, Palma de Mallorca". Faust und Gretchen spielen Federball auf der Bühne, während sie über Religion diskutieren. Das Thema ist Gretchen wichtig – schließlich, erklärt Carl Philip von Maldeghem, will jedes frischverliebte Paar herausfinden, welche Werte der andere hat. Und dass Gretchen Fausts Kumpel Mephisto gar nicht schätzt, ist auch ein typischer Paarkonflikt, bei dem man sich manchmal zwischen der neuen Liebe und den alten Freunden entscheiden muss.

Das weibliche Prinzip

Gretchen ist in dieser Inszenierung eine selbstbewusste und neugierige junge Frau unserer Zeit.

Und der Gott, den wir am Anfang des Stücks erleben, ist eine Göttin und wird von einer jungen Schauspielerin verkörpert. Sie hält die Fäden in der Hand. Es war Carl Philip von Maldeghem wichtig, dass alle Themen, die in Goethes Tragödie angesprochen werden, Frauen ebenso betreffen wie Männer. Wissenschaftlerinnen schlagen sich mit den gleichen Fragen herum wie Wissenschaftler, junge Frauen fragen sich genauso wie junge Männer, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen - wohin ihr persönlicher "Roadtrip" geht.

Zur Person:

Carl Philip von Maldeghem (Jahrgang 1969) hat Jura, Philosophie und Psychologie studiert, anschließend Schauspiel und Regie. Bis 2009 leitete er die Schauspielbühnen Stuttgart. Seither ist er Intendant des Landestheaters Salzburg.

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