JetztMusik - Glossar

Politische Musik

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„Noten sind weder katholisch noch kommunistisch.“ Dieses Aperçu des Musiktheoretikers Heinz-Klaus Metzger benennt das Problem der Verbindung von Musik und Politik. Ohne vertonten Text, ohne programmatischen Werkkommentar, ohne unmissverständlichen Werktitel oder Widmung, ohne entsprechende musikalische Zitate kann Musik keine eindeutigen Botschaften transportieren. Deshalb verwenden Komponisten, die mit ihrer Musik (kritisch) Stellung zu politischen Aspekten beziehen und mit ihren Werken aktiv in gesellschaftliche Prozesse eingreifen wollen, diese Mittel, damit die Intention nicht fehlgedeutet wird.

In Deutschland spielte die politische Musik (auch engagierte Musik genannt) vor allem in der Zeit zwischen 1920 und 1933 eine große Rolle. Überzeugte kommunistische Komponisten wie Hanns Eisler wollten mit ihrer agitatorisch-propagandistischen Musik in den Klassenkampf eingreifen und vor den Nationalsozialisten warnen. Sie schrieben zahlreiche Arbeiterlieder und -chöre, was auch faschistische Komponisten taten. Als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, entstanden – zumeist aus dem Exil heraus – Werke gegen die faschistische Diktatur. So komponierte Arnold Schönberg 1942 die Ode To Napoleon op. 42, deren Verweise auf Lord Byron und Beethovens Fünfte sie als Bekenntnismusik ausweisen, als Musik gegen alle Tyrannen. Seit den 1950er Jahren sind etliche Kompositionen mit den Themen Holocaust und antifaschistische Widerstandsbewegung entstanden, später bildeten u. a. das atomare Wettrüsten, die Kriege in Vietnam, Algerien, auf dem Balkan, im Nahen Osten, in der Golfregion, Einwandererproblematik, Imperialismus, Kapitalismus, Exploitation und Hegemonialansprüche der westlichen Nationen Sujets politischer Musik (z. B. von Schönberg, Luigi Nono, Nicolaus A. Huber, Hans Werner Henze, Karl Amadeus Hartmann, Luigi Dallapiccola, Krzysztof Penderecki, Mathias Spahlinger, Alan Hilario, Chaya Czernowin, Vinko Globokar, Dror Feiler, Samir Odeh-Tamimi).

Gehört und goutiert wird politische Musik gleich welcher Richtung nahezu immer von demjenigen Publikum, das die im Musikstück anklingende Position ohnehin teilt. Überhaupt scheint das Engagement, gegen die politischen Missstände oder gegen die Profitgesetze der Kulturindustrie mit den Mitteln des Musikers ankämpfen zu wollen, genauso aussichtslos zu sein wie der Versuch, mit purem Klang soziale Klarsichten erzielen zu wollen. Dennoch versuch(t)en etliche Komponisten, eine
politische Musik zu schreiben, die sich weder dem Publikumsgeschmack anbiedert noch den Kulturkommerz hofiert. Natürlich wissen sie, dass Konzertsäle kaum die entscheidenden Austragungsorte real-politischer Veränderungen sind. Die innere
Notwendigkeit, mit der eigenen Kunst Einspruch zu erheben, wiegt indes schwerer.

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AUTOR/IN
SWR