300 Jahre Musik in Karlsruhe – Teil 15

Emmy Seiberlich – von der Diva zur Gesangspädagogin

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AUTOR/IN
Georg Waßmuth
ONLINEFASSUNG
Julia Wieland

Sie hatte Weltstars wie die Tenöre Jess Thomas und Peter Hofmann unter ihren Fittichen. Und sie selbst pflegte das Auftreten einer richtigen Operndiva; viele ältere Karlsruher erinnern sich sicher noch daran, dass Emmy Seiberlich selbst einen Caféhaus-Besuch zu einer kleinen Inszenierung mit großem Hut, Pelzstola und feinen Handschuhen machte.

Bild: Stimmgewaltige Karlsruherin: Emmy Seiberlich, im Jahrbuch 1929 des Badischen Staatstheaters (Badisches Staatstheater)

Über ihre Heimatstadt Karlsruhe hat die Autorin Doris Lott schon viele Bücher geschrieben. Als lokale Geschichtsschreiberin richtet sie dabei ihren Fokus immer auf Schicksale in ihrer nächsten Umgebung. Bei Emmy Seiberlich, einer legendären Gesangspädagogin, ging Doris Lott als junges Mädchen sogar ein und aus, denn Seiberlich war eine gute Freundin von Lotts Mutter.

Ihr Umgang mit Juden kostete sie die Gesangskarriere

Emmy Seiberlich wurde in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg schnell zum Publikumsliebling der Karlsruher Theaterbesucher. Ihre Ausbildung hatte sie am privaten Munz'schen Konservatorium bei sehr guten Lehrern absolviert. Die Stimme der gerade einmal 23-jährigen muss lyrisch und enorm flexibel gewesen sein, zudem hatte Emmy Seiberlich wohl auch schauspielerisches Talent und konnte Rollen auf der Bühne mit Leben füllen. Für die attraktive Sängerin kam aber mit der Machtergreifung der Nazis das Karriereende. Nicht nur ihre Freundschaft mit dem jüdischen Generalmusikdirektor Josef Krips wurde diskreditiert.

Neuanfang als Souffleuse am Badischen Staatstheater

Durch die Kriegsjahre schlug sich Emmy Seiberlich mehr schlecht als recht in Berlin durch. Sie war "aktenkundig" und das große Engagement somit in weite Ferne gerückt. 1945 kam die Sängerin wieder in ihre Heimatstadt und versuchte, Anschluss an alte Erfolge zu knüpfen.

Im Souffleurkasten begann quasi die zweite, wesentlich bedeutendere Karriere der Emmy Seiberlich. Das Badische Staatstheater engagierte in der Nachkriegszeit wieder internationale Künstler. Auf der Bühne stand plötzlich ein jugendlicher Heldentenor aus Hot Springs in South Dakota, der leicht an Überforderung litt. So erinnerte sich jedenfalls Jess Thomas in einem Interview an sein erstes Engagement in Europa.

Erst Sprachlehrerin, dann Gesangspädagogin

Die Interpretation des "Lohengrin" machte Jess Thomas zum Weltstar. Was Emmy Seiberlich aus der Stimme formte, war frappierend. Ein Heldentenor, der nicht brüllt, sondern mit fast schon italienischer Grandezza jede Partie erfüllt. Dabei ist auch die Tiefe der Interpretation eine Überraschung, die Textauslegung und die gewisse "Musik zwischen den Noten" machen diese Deutung zeitlos.

Der Tenor Peter Hofmann am Mikrofon (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - Erwin Elsner dpa/lby)
Multitalent Peter Hofmann sang Opernarien ebenso wie Rockmusik.

Die Wohnung in der Klosestraße wird zum Studio

Dass eine Souffleuse aus Karlsruhe mit Geduld und großem pädagogischen Geschick eine Stimme so formen konnte, sprach sich natürlich in der Szene wie Lauffeuer herum und die Wohnung von Emmy Seiberlich in der Klosestraße wurde zum Gesangsstudio. Dort klopfte auch ein muskelbepackter Zehnkämpfer an, der lange Jahre brauchte, um zum Tenor zu reifen. Es war Peter Hofmann, der später im Jahrhundertring von Patrice Chéreau in Bayreuth seinen unvergesslichen Siegmund gab. Emmy Seiberlich, erinnert sich Doris Lott, hatte mit dieser Aufgabe ihre Erfüllung gefunden. Dass man ihr selbst einst die Karriere verbaut hatte, war für die Pädagogin nie Thema.

Und am Ende – steht bittere Armut...

Öffentliche Anerkennung ihrer ganz außergewöhnlichen gesangspädagogischen Erfolge hat Emmy Seiberlich zu Lebzeiten nie erfahren. Dafür wurde sie von ihren mittlerweile berühmten Schülern eingeladen, in der ersten Reihe der Metropolitan Opera in New York Platz zu nehmen oder mit auf den Grünen Hügel in Bayreuth zu reisen, um "ihre" Helden zu erleben. Den Lebensabend verbrachte Emmy Seiberlich in allerdings bitterer Armut in einem Heim für Sozialfälle. Nach ihrem Grab muss man heute auf dem Karlsruher Hauptfriedhof lange suchen.

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