Wer arm ist, stirbt früher

Stand

Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes zeigt deutlich: Armut macht nicht nur krank. Wer arm ist, stirbt auch früher. Das hat in dieser Deutlichkeit erstmals der Gesundheitsbericht aus dem Jahr 2014 offengelegt. Einkommen, Bildung und Beruf beeinflussen danach die Lebenserwartung eines Menschen.

Einkommen gerechnet in Lebensjahren

Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens hat, der hat ein fast dreifach erhöhtes Sterbensrisiko. Konkret entscheidet ein Einkommensunterschied von monatlich 1300 Euro netto über zehn Lebensjahre. Die Chance, das 65. Lebensjahr zu erreichen, steigt mit wachsendem Einkommen. Wer eine geringere Schulbildung hat und wenig Geld verdient, der ist gesundheitlich in Gefahr. Das gilt für Männer noch stärker als für Frauen. Das Robert-Koch-Institut erklärt das unter anderem damit, dass die betroffenen Männer oft in Berufen arbeiten, die hohe Belastungen mit sich bringen. Das geht einher mit häufigeren psychischen Erkrankungen - und anderen Stressfolgen, die zur Stressbewältigung dienen. Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht, fehlende körperliche Bewegung - Soziologen nennen das ein "riskantes Gesundheitsverhalten". Die Statistiken zeigen, dass Menschen mit geringer Bildung eher dazu neigen.

Übergewichtigte Person (Foto: Colourbox, Foto: Colourbox.de -)
Menschen mit geringem Einkommen neigen häufiger zu Übergewicht.

Im Durchschnitt fünf Jahre länger leben

Und auch der Umkehrschluss gilt: Bildung schützt vor Krankheit und vor einem frühem Tod. Das hat das Max-Planck-Institut für demografische Forschung im vergangenen Jahr nachgewiesen. Die Forscher schauten sich die Bevölkerungsentwicklung in Skandinavien an. Und sahen: Finnen, Norweger und Schweden, die zur gesellschaftlichen Elite gehören, also gut gebildet und verheiratet sind, leben im Schnitt fünf Jahre länger.

Ein zu hoher Bluthochdruck kann im Herzinfarkt enden. Oder im Schlaganfall. Sozial benachteiligte Menschen haben ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko dafür, schreibt das Robert-Koch-Institut Anfang 2015. Auch nehmen sie seltener Präventionsangebote der Krankenkassen wahr oder Vorsorgeuntersuchungen, so zum Beispiel U-Untersuchungen bei Kinderärzten oder regelmäßige Kontrollen beim Zahnarzt. Menschen mit Geldsorgen schaffen es oft nicht, sich um ihre Gesundheit und die ihrer Kinder zu kümmern. Und auch nicht um ihre Krankheit. Das ist aber gerade bei chronischen Erkrankungen besonders wichtig.

Person trinkt und raucht (Foto: Colourbox, Foto: Colourbox.de -)
Wer eine niedrigere Bildung hat und wenig verdient, neigt dazu, ungesünder zu leben.

Essen und Gesellschaft

Viele chronische Krankheiten beginnen mit einer falschen Ernährung, mit Übergewicht und Bewegungsmangel. Auch an den Kochtöpfen spaltet sich die Gesellschaft. Essen und soziale Schichtzugehörigkeit hängen eng zusammen. Das hat in den 80er Jahren schon der französische Soziologe Pierre Bourdieu gezeigt.

Essensgewohnheiten zu ändern ist gar nicht so leicht. Denn Essen schafft ein Gemeinschaftsgefühl und Identität. Bestimmte Ernährungsweisen und -vorlieben werden schon im Kindesalter gelernt. Wenn die Eltern Tiefkühlpizza und Dosenravioli auftischen, prägt das das Ernährungsverhalten der Kinder. Umgekehrt konnte die große Nationale Verzehrstudie des Max-Rubner-Instituts belegen: Je höher die Sozialschicht, desto mehr Obst, Gemüse und Fisch kommt auf den Teller. Und desto weniger Fleisch und Wurst. Das macht deutlich: Menschen mit wenig Geld und wenig Bildung essen ungesünder.

Hartz IV reicht nicht für gesunde Ernährung

Geschmackliche Vorlieben sind aber nicht allein entscheidend. Das Geld spielt natürlich auch eine Rolle. Gutes Essen kostet etwas. Zwei Dortmunder Ernährungswissenschaftlerinnen haben vor einigen Jahren einmal ausgerechnet, was es kostet, ein Kind, das älter ist als vier Jahre, nach allgemeinen ernährungswissenschaftlichen Standards gesund zu ernähren. 347 Euro im Monat betrug der Hartz IV-Satz zur Zeit der Untersuchung. Und selbst, wenn man im Discounter einkaufe, so das Fazit der Autorinnen, reiche das nicht für eine gesunde Mischkost. Darum belegt die sogenannte Schuleingangsuntersuchung von Kindern mit jedem neuen Schuljahr immer größere Gesundheitsunterschiede zwischen Arm und Reich. Das Fatale ist: Mangelnde Bildung und Krankheit bedingen sich gegenseitig. Wer krank ist, hat von Anfang an schlechtere Chancen, durch die Schule zu kommen und Bildung zu erwerben.

Ungesunde Nahrungsmittel (Foto: Colourbox, Foto: Colourbox.de -)
Eltern prägen die Essgewohnheiten ihrer Kinder ganz entscheidend.

Gesundheit kann nicht verordnet werden

Man muss den Menschen die Möglichkeit, das Wissen und die Fähigkeit geben, gesund zu leben. Deswegen gibt es in Trier-Nord seit einigen Jahren die Gesundheitsteams vor Ort. Trier-Nord hat ein ganz schlechtes Image: Heruntergekommene Wohnungen, Menschen ohne Ausbildung, Familien an der Armutsgrenze. Das ist das Bild, das viele Trierer von diesem Stadtteil im Kopf haben. Die Stadt nahm das Viertel vor 15 Jahren in das Städtebauprogramm Soziale Stadt auf. Die zuständige Wohnungsgenossenschaft Am Beutelweg begann, die Gebäude nach und nach zu sanieren. Und sie setzte Maria Ohlig als Quartiersmanagerin ein - mit eigenem Büro mitten im Viertel. Maria Ohlig koordiniert sozusagen die sozialen Aktivitäten in Trier-Nord, um so das Leben der Menschen zu verbessern.

Kleine Teams vor Ort

Die Quartiersmanagerin ist ständig in Kontakt mit der Stadt, den Schulen, Kitas und Horten am Ort, mit Vereinen, den Ärzten und Sozialarbeitern im Viertel. Keiner weiß es besser als sie: Die Fassaden sind jetzt schön - aber die Lebensumstände der Menschen dahinter sind schwierig geblieben.
Die Gesundheitsteams vor Ort sind kleine Teams aus Ärzten, Psychologen, Hebammen, Physiotherapeuten und Sozialarbeitern, die im Viertel präsent sind, zum Beispiel mit mobilen Sprechstunden. Zuschüsse dafür gibt es vom Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz und den Gesetzlichen Krankenkassen.
Hier hat die Politik verstanden, dass Menschen in Not sich Informationen nicht holen. Soziologen nennen das: Arbeit im Setting. Settings sind die Lebensräume, in denen die Menschen sich aufhalten.

Keine guten Aussichten

Die Prognosen für Deutschland sind dennoch düster. Zwar ist der allgemeine Wohlstand gewachsen. Aber die soziale Schere öffnet sich immer weiter. In keinem anderen Euro-Land, ist das Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Das zeigte 2014 eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Die reichsten Deutschen haben je mindestens 800.000 Euro auf der hohen Kante. Sie machen ein Prozent der Bevölkerung aus. Auf der anderen Seite haben 20 Prozent gar nichts gespart, und sieben Prozent haben Schulden. Die gesundheitliche Ungleichheit in der Lebenserwartung wird somit voraussichtlich noch lange ein wichtiges Thema für die Gesellschaft darstellen.

Stand
AUTOR/IN
SWR