Musikgespräch

Maria Callas – verschwindet die Sängerin hinter dem Mythos?

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Katharina Eickhoff
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Teodora Mebus

Bis heute wird die Welt nicht fertig mit Maria Callas, die wie sonst nur Enrico Caruso für alles steht, was mit Gesang und Oper zu tun hat. Der Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen sieht die Mythosbildung in seinem Buch „Maria Callas –Kunst und Mythos“ kritisch. So würden heute allerlei Legenden verbreitet, während zum Beispiel kaum bekannt sei, dass Maria Callas in ihrer frühen Karriere von den Nazis profitiert habe.

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K. Eickhoff: Was für eine Frau, lernen wir da in ihrem Buch kennen?

A. Jacobshagen: Die Mythen sind natürlich so stark und so mächtig, dass Maria Callas hinter diesen Mythen eigentlich fast schon verschwunden ist. John F. Kennedy hat mal gesagt der Mythos ist der größte Feind der Wahrheit, nicht etwa die Lüge. Lügen haben kurze Beine, aber Mythen sind unglaublich nachhaltig.

Aber Maria Callas ist der große Superstar der Opernszene bis heute und wird es auch immer bleiben. Und insofern ist allein diese mythische Größe der auch medialen Erscheinung Maria Callas eine Tatsache, an der wir nicht vorbeikommen.

Aber die künstlerische Größe ist in ihrem Buch auch ein wichtiger Punkt. Also was macht die Leistung der Callas aus, vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen?

Sie hat in ihrer Zeit unvorstellbares geleistet. Dafür habe ich den Begriff des „Belcanto Turn“ eingeführt. Sie hat gewissermaßen einer Repertoire-Wende eingeleitet durch ihrem Gesang, weil sie in der Lage war, Werke wieder zu singen, die anderen Sängerinnen in ihrer Generation nicht mehr beherrschen konnten und zugleich ein sehr heterogenes Repertoire gepflegt.

Sie hatte eine Stimme von einem enormen Stimmumfang von drei Oktaven und sie konnte im Grunde Sopran, Mezzo- und Altpartien singen. Sie konnte hochdramatisch singen, sie konnte aber auch Koloraturen in größter Virtuosität singen. Sie konnte im Grunde alles singen, was man ihr vorsetzte. Zugleich hatte ihre Stimme eben auch diese Unverwechselbarkeit durch die Fülle an Ausdrucksnuancen, die sie eben einzigartig machten.

Was finden sich denn in ihrem Buch für biografische Aspekte, die sonst in der bekannten Callas Literatur eher keine Rolle spielen?

Ich habe versucht, auch ihre frühe Karriere etwas stärker zu beleuchten. Ihre Karriere beginnt nicht erst in Italien, sondern in Griechenland. Da muss man natürlich sehen, dass sie durchaus von der deutschen Besatzungsherrschaft, sprich von den Nazis profitiert hat.

Sie war 18-jährig, als Tosca auf der Bühne, wurde aber von ihren Mitsängerinnen ziemlich angefeindet, weil sie ihnen die Rollen wegzunehmen schien. Nachdem die deutschen Besatzer kamen, erfuhr sie eine Protektion von der NS-Propagandamaschinerie.

Der damalige Kulturjournalist Herzog in Athen, hat offenbar einen Narren an ihr gefressen. Er hat Kritiken geschrieben und sie hat auch im deutschen Repertoire in Fidelio, im Tiefland der Lieblingsoper des Führers, einige ihrer ersten großen Erfolge gefeiert.

Letztlich hat das dazu geführt, dass sie auch 1945 von der griechischen Nationaloper entlassen wurde und dann erst mal zwei Jahre sehen musste, wo sie blieb. Das sind Punkte, die man durchaus noch mal in Erinnerung rufen darf.

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Nun wird sich ja in unserer Zeit auch eben immer wieder mit Maria Callas auseinandergesetzt. Präsentieren diese Beschäftigungen der Gegenwart ein neues, ein realistischeres Bild der Callas?

Sie haben da am Ende ihres Buches einiges zusammengetragen, also vom aktuellen Callas-Film mit Angelina Jolie über die Performance des von Marina Abramovic und Lesungen mit Monica Bellucci.

Also den Film mit Angelina Jolie kennen wir ja noch nicht. Darauf darf man gespannt sein. Ich würde mir nicht zuviel davon versprechen.

Marina Abramovic ist eine sehr bedeutende Künstlerin, die sich sehr stark mit Maria Callas identifiziert. Allerdings ist sie leider sehr vielen Legenden aufgesessen. In diesen „Sieben Toden der Maria Callas“ sind zum Beispiel zwei Opern, die Maria Callas niemals auf der Bühne gesungen hat.

Monica Bellucci hat die Callas-Briefe in einer Art Theater-Show vorgetragen. Eigentlich sind diese Briefe zum Teil schwer für ein unvorbereitetes Theaterpublikum zu verstehen. Aber man sieht an diesen problematischen Versuchen, wie sehr einfach die Vorstellung, Maria Callas auf der Bühne zu erleben, ausreicht, damit man ein Publikum gewinnt. Und das alleine scheint ja zu belegen, wie lebendig der Mythos weiterhin ist.

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