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Part of your World: Musical-Genie Howard Ashman und sein erster Disney-Erfolg „The Little Mermaid“

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Nick-Martin Sternitzke
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Sebastian Kiefl

Nach 33 Jahren kehrt „The Little Mermaid“ „Arielle, die Meerjungfrau“ zurück in die Kinos. Der Disney-Animationsklassiker bekommt ein Realfilm-Update. Das Recycling könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Disney-Konzern tief in der Krise der Ideenlosigkeit steckt.

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Weichen für Filmmusicals durch Ashman gestellt

Erfolgsproduktionen wie „The Little Mermaid“ waren Ende der 1980er Jahre bahnbrechend – auch in der Ausgestaltung ihrer Songs. Die Weichen für alle nachfolgenden animierten Filmmusicals hat vor allem Howard Ashman gestellt.

Schon seit Jahren arbeiten er und Alan Menken am Broadway zusammen. Alan erfindet die Musik und Howard den Text. Wenn Ashman aufspringt und sein „no, no, no“ über die Lippen feuert, ist er unzufrieden mit dem Ergebnis. Seine Vorstellung davon, was die Musik im Song leisten soll, ist klar.

Arielle-Motiv

„Under the sea“ bereitet Kopfweh. Mit diesem Song versucht eine Krabbe Arielle, die Meerjungfrau, davon abzuhalten, Mensch zu werden und an Land zu leben. Denn unten im Meer sei das Leben am besten. Die Botschaft des Songs ist eindringlich, die instrumentale Einleitung aber ist es nicht.

Howard will eine musikalische Figur, die immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkommt, die insistiert – wie ein Ausrufezeichen. Alan versteht ihn und schreibt ein Motiv, das sich ins popkulturelle Gedächtnis einhämmert.

Disney-Remake unten im Meer „Arielle, die Meerjungfrau“: Story altbekannt, Halle Bailey fulminant

Ein regelrechter Aufschrei ging durchs Internet, als Disney im Juli 2019 die Besetzung der Hauptrolle für das Realfilm-Remake von „Arielle, die Meerjungfrau“ bekanntgab. Der Stein des Anstoßes: Halle Bailey ist Schwarz. Disney opfere eine seiner beliebtesten Figuren dem „woken Zeitgeist“, lautete der Vorwurf. Entgegen aller Aufregung bleibt der Film in seinen Aktualisierungsversuchen dann doch ziemlich brav.

Neues Leben für „Show-Tunes“

An der großen durchchoreografierten Ensemble-Nummer werden Ashman und Menken noch weiterarbeiten und sie zwei Jahre später in „Beauty and the Beast“ perfektionieren. Durch die Adern des angestaubten Hollywood-Filmmusicals der 30er und 40er Jahre pumpen sie frischen Treibstoff.

Die üppigen „Show-Tunes“ und die symmetrischen Wasserballette eines Busby Berkeley leben von nun an im Trickfilmmusical weiter.

„Wenn man an einem Märchen-Stoff arbeitet, verliert man das Gefühl für eine bestimmte Zeit und hat daher den Spielraum, viele Musikstile für die Geschichte zu finden. Das erlaubt einem, auf verschiedene Weise zu träumen.“

Reggae statt Dänen-Märchen

Nichts in „The Little Mermaid“ weist auf den dänischen Ursprung des Märchens hin – vom Undine-Mythos abgesehen.

Ashman und Menken lassen Seemannslieder, Kalypso und Reggae aufeinanderprallen und verschmelzen den moll-trüben Brecht-und-Weill-Sound der Weimarer Zeit mit ihrem eigenen Broadway-Vokabular.  

Drag-Szene im Trickfilm

Ein träge hüpfender Rhythmus, wie vollgesogen mit Wasser, und darüber wummert Pat Carrolls knarzige Alt-Stimme. Ausgesungene Manipulationsfertigkeiten einer zynischen Meerhexe. Gestaltet ist die nach einem prominenten Vorbild, denn Divine ist eine der schrillsten Figuren der amerikanischen Drag-Szene.

Mit queeren Einfällen wie diesen durchbohrt Howard Ashman die verkrusteten Moral-Wände, die das Disney-Studio ein halbes Jahrhundert lang hochgezogen hat. Die Animationsabteilung, die Ende der 1980er Jahre vor dem Aus steht, bekommt Aufwind.  

AIDS-Diagnose

Während drinnen, im Studio, an einem Märchen gearbeitet wird, wütet draußen ein Alptraum. In den 80er Jahren steuert die AIDS-Krise ihrem Höhepunkt entgegen.

Komponist Alan Menken schreibt im Booklet zum „Little Mermaid“-Soundtrack, dass eine AIDS-Diganose das Karriere-Ende bedeute, weit vor dem Todesurteil.

Oscar für „Under the Sea“

Howard Ashman hat sich infiziert, verliert Gewicht, leidet an Übelkeit. Seine Krankheit hält er geheim – aus Angst davor, dass der mächtige Familienunterhaltungskonzern weder Schwule noch HIV-Kranke in den eigenen Reihen dulden würde.

Ashman und Menken arbeiten weiter und „The Little Mermaid“ wird ein Erfolg. 1990 nehmen beide den Oscar für den besten Song entgegen. „Under the Sea“ – einer von sieben Songs in „The Little Mermaid“, die Howard Ashman fest im Handlungsmotor verschraubt hat. Ein Vers ist ein Katalysator: Verwandlungen passieren, Sehnsüchte und Wünsche konkretisieren sich. So wie in „Part of your World“.

Musik als Ventil

Die „Jungfrau in Nöten“ wartet auf ihren Retter. Auch Arielle soll sich in diese Tradition einreihen und ein Liebeslied an ihren Prinzen singen, den sie nicht einmal kennt. So wollen es die Produzenten.

Howard Ashman findet die Idee zu schwach, als dass sie für eine sinfonische Ballade taugt. Mit seinem Text drückt Arielle die Faszination für eine ganz neue Welt aus – und nicht nur für eine Einzelperson. Im Meer kann Arielle nicht das sein, was sie will. Ihr Traum, Teil einer anderen Gemeinschaft zu sein, ist ein Coming-Out.

Und vielleicht hat auch der todkranke Howard Ashman mit seinen Versen ein Ventil gefunden, gegen die Ängste vor Stigmatisierung und Ausschluss anzukämpfen.

Die kleine Meerjungfrau als Kinderkonzert

Ashman gibt der Meerjungfrau ihre Stimme

All die verworfenen Verse ziehen mit dem Zigarettenqualm durchs offene Fenster nach draußen. Alan Menken und Howard Ashman haben für ihre Songs zu „The Little Mermaid“ die finale Form gefunden und nehmen ein Demo-Band auf – im Beisein von Co-Autor und Produzent John Musker.

„Wenn Howard sang, konnte er in eine Welt sehen, die für andere unsichtbar war. In seiner gemütlichen Wohnung in Manhattan ließ er uns an eine Meerjungfrau und ihre Sehnsucht glauben: Es war bewegend. Unsere Meerjungfrau hatte eine Stimme bekommen.“

Film Größer, bunter, diverser: die Realverfilmung des Disney-Klassikers „Arielle, die Meerjungfrau“

Mit der Realverfilmung von „Arielle, die Meerjungfrau“ betritt die erste Schwarze Disney-Prinzessin die Kinoleinwand. Das hat im Vorfeld für großen Wirbel gesorgt: die einen freuten sich über mehr Diversität, andere sahen darin einen weiteren Beleg für einen vermeintlich „woken Aktivismus“ des Disney-Konzerns.

SWR2 am Morgen SWR2

CD: Die kleine Meerjungfrau mit dem SWR Vokalensemble

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