Musikstück der Woche mit Jonathan Nott

Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 4

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AUTOR/IN
Doris Blaich

Beethovens Vierte fristet neben den anderen Sinfonien eher ein Schattendasein. Aber sie ist beileibe kein Mauerblümchen! In dem Live-Mitschnitt vom 17. Mai 2013 im Konzerthaus Freiburg dirigiert Jonathan Nott das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.

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Eine "griechisch schlanke Maid zwischen zwei Nordlandriesen" – so hat Robert Schumann diese Sinfonie beschrieben. Beethoven hat sie im Jahr 1806 zwischen die Arbeit an der monumentalen "Eroica" (Nr. 3) und seiner Fünften, der "Schicksals-Sinfonie" eingeschoben. Neben diesen beiden sinfonischen Riesen wirkt die Vierte beinahe zurückhaltend-klassizistisch; sie ist wesentlich kleiner in ihren Dimensionen, in der Orchesterbesetzung und in der Wucht ihrer musikalischen Aussage. Aber auch die "schlanke Maid" hat durchaus maskuline und sehr kraftvolle Züge – die Musik balanciert in allen vier Sätzen verschiedene Macht- und Kräfteverhältnisse aus und erprobt dabei auch die Extreme. 

Erster Satz: Licht gegen Schatten

Düster und schattenhaft beginnt der erste Satz mit einer ausgedehnten langsamen Einleitung. Vorsichtig tastet sich die Musik voran und hält immer wieder seufzend inne. Die Haupttonart B-Dur wird bewusst vermieden, stattdessen durchschreitet die Harmonik finstere Mollbereiche: Klänge der Trauer und des Todes – sie würden, ohne fremd zu wirken, in jedes Requiem und jede Begräbnismusik passen. Dann, plötzlich und sehr überraschend, löst sich die Totenstarre und die Musik erwacht zum Leben: Beethoven notiert "Allegro vivace" in der Partitur: "schnell und lebendig" – und tatsächlich hört man hier eine pulsierende Vitalität. Alles ist prall und leuchtend: die geballte Lebenskraft. Energisch schleudern die Geigen dem Hörer rasende Melodiefetzen entgegen, die sich schnell zu einem klar konturierten Thema fügen. Gerade die starken Gegensätze geben dieser Musik eine überwältigende Wirkung: Ohne das Schattenreich des Todes ist das Lichtreich des Lebens nicht möglich. Im Lauf des Satzes ragen immer wieder mit grimmiger Miene die Gesten der Unterwelt hervor, doch sie können sich nicht durchsetzen. 

Zweiter Satz: Melodie gegen Rhythmus

Im zweiten Satz balanciert Beethoven das Verhältnis von Melodie und Rhythmus aus: er grundiert die Musik mit einem energischen Galopprhythmus, der wie ein Ostinato, beinahe die ganze Zeit, durchläuft – eigentlich ein typischer Paukenrhythmus, hier übernehmen ihn indessen hauptsächlich die Streicher. Darüber liegen weite Melodiebögen, die mit ihren schwelgenden Seufzern und ihrer Gesanglichkeit einer ganz anderen Ausdrucksebene angehören. 

Ludwig van Beethoven (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / akg-images -)
Ludwig van Beethoven

Dritter Satz: Zwei gegen Drei

Im dritten Satz streiten die beiden Grundrhythmen der westlichen Musik miteinander: Zweier- und Dreiertakt. Es ist ein Furiant, ein wild wirbelnder böhmischer Tanz (sein alpenländischer Verwandter heißt Zwiefacher). Notiert ist er im Dreivierteltakt, doch gleich zu Beginn gruppieren sich die Schwerpunkte zu Zweiergruppen, die dann vom Dreiertakt besiegt werden. Das ständige Hin und Her zwischen den Taktarten verleiht der Musik eine wilde, fast barbarische Energie. 

Vierter Satz: Instrument gegen Stimme

Auch das Finale ist von musikalischen Gegensätzen geprägt: hier stehen klare gesangliche Linien und instrumentales ‚Gewusel’ miteinander im Widerstreit. Kaum hat die Musik melodische Stabilität erreicht, wird sie mit Herrschergesten aus dissonanten Akkordblöcken schroff niedergeschlagen und muss sich wieder mühsam aufrappeln. 

Obgleich die Sinfonie inmitten der beiden Nordlandriesen zu ihrer Zeit – und auch heute – ein wenig im Schatten steht: die Komponisten der Romantik haben ihren Ideenreichtum und ihre Sprengkraft erkannt und sie besonders geschätzt. Mendelssohn etwa wählte die Vierte für sein Debüt als Dirigent in Leipzig – mit durchschlagendem Erfolg.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Die Geschichte des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg reicht in das Jahr 1946 zurück. Sie ist geprägt von unroutiniertem Umgang mit der Tradition, Aufgeschlossenheit für das Neue und Ungewöhnliche: Tugenden, über die auch Chefdirigent Sylvain Cambreling in ungewöhnlichem Maße verfügt, der seit 1999 viele Jahre lang mit dem Orchester arbeitete. 2011 hat Francois-Xavier Roth seine Nachfolge angetreten.

Dass man mit hohen Ansprüchen Erfolg haben kann, beweist das Orchester bis heute. Mehr als 300 von ihm eingespielte Kompositionen sind auf CD erschienen, und es reist seit 1949 als musikalischer Botschafter durch die Welt. Zahlreiche Gastspiele verzeichnet die Orchesterchronik, darunter regelmäßig zum Festival d'Automne Paris, den Salzburger Festspielen, nach Wien, Berlin und Edinburgh, Brüssel, Luzern, Strasbourg und Frankfurt. 

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Doris Blaich