Musikstück der Woche vom 5.4. bis 11.4.2010

Die Einzigartige

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Als Höhepunkt und Sonderfall im Klavierwerk von Johann Sebastian Bach erfreut sich die Chromatische Fantasie und Fuge d-moll BWV 903 seit jeher größter Beliebtheit.

Bei den Ettlinger Schlosskonzerten gastierte am 14. November 2008 der russische Pianist Evgeni Koroliov, der dem Werk Bachs in besonderer Weise verbunden ist und für seine feinsinnigen und geistig durchdrungenen Bach-Interpretation international gefeiert wird, mit dieser Fantasie.

Eine Fantasie für alle Jahrhunderte

Johann Sebastian Bachs erster Biograph Johann Nikolaus Forkel wusste, nach was er suchte: "Unendliche Mühe habe ich mir gegeben, noch ein Stück dieser Art von Bach aufzufinden, aber vergeblich. Diese Fantasie ist einzig und hat nie ihres Gleichen gehabt." Und damit sollte er Recht behalten. Denn sie zählt für Spieler und Hörer gleichermaßen zu den Höhepunkten des Bach’schen Klavierwerks. Dass die Popularität der Fantasie kein Phänomen unserer Zeit ist, sondern bereits zu Bachs Lebzeiten und lange vor der Bach-Renaissance im 19. Jahrhundert einsetzte, zeigt die Wertschätzung, die ihr von den Zeitgenossen des Komponisten entgegengebracht wurde. Wilhelm Friedemann Bach prophezeite gar, die Fantasie „bleibe schön in alle saecula“ – zumindest bis zum heutigen Tag und bis in unser Jahrhundert ist es so geblieben.

Der Komponist Johann Sebastian Bach auf einem Ölgemälde von Elias Gottlob Haußmann (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Johann Sebastian Bach

Die Fantasie steht in der Tonart d-moll. Das verbindet sie mit der ebenso populären Toccata und Fuge BWV 565 für Orgel. Nicht nur die Tonart verbindet sie, sondern auch ihre freie, der Improvisationskunst Bachs Rechnung tragende Form. Unklar wann und wo komponiert existiert heute auch das Autograph nicht mehr, was eine Datierung schwierig bis unmöglich macht. Seit 1730 lies Bach seine Schüler Abschriften von der Chromatischen Fantasie fertigen, was zumindest darüber Auskunft gibt, dass sie nicht später entstanden sein kann.

Johannes Brahms pflegte als junger Virtuose mit dieser Chromatischen Fantasie seine Konzerte zu eröffnen, auch Franz Liszt setzte das Stück auf seine Programme, Max Reger fertigte gar von ihm eine Orgelbearbeitung an - seine Faszination hat dieses expressive und sicher zu den persönlichsten Werken Bachs zählende Stück über alle Jahrhunderte behalten.

Evgeni Koroliov

1949 in Moskau geboren, durchlief Evgeni Koroliov die gründliche pianistische Ausbildung, die Hochbegabten in der damaligen Sowjetrepublik zuteil wurde. Nach erstem Klavierunterricht an der Zentralen Musikschule studierte er am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau bei den charismatischen Klavierpädagogen Lew Oborin und Lew Naumow. Zu seinen frühen Lehrern zählten auch der 'Meistermacher' Heinrich Neuhaus und die legendäre Pianistin Maria Judina. Nach dem Studium unterrichtete Koroliov zunächst am Moskauer Konservatorium, übersiedelte dann jedoch zu seiner Frau nach Mazedonien, wo ihn 1978 seine Berufung als Professor an die Hamburger Musikhochschule erreichte.

Mehrere Preise wichtiger Wettbewerbe, darunter der Bach-Preis Leipzig, den er als 19-jähriger gewann, der amerikanische Van Cliburn-Preis, und der Grand Prix Clara Haskil, ebneten Evgeni Koroliov den Weg zu einer internationalen Karriere. Er gastierte in den großen Musikzentren der Welt ebenso wie bei den internationalen Musikfestivals und trat auch als Kammermusikpartner von Künstlern wie Natalia Gutman, Mischa Maisky, dem Auryn und dem Keller Quartett auf. Außerdem ist er Duopartner seiner Frau Ljupka Hadzigeorgieva.

Dem Werk Johann Sebastian Bachs fühlt der Pianist sich besonders verbunden. Bereits als 17-jähriger erregte er durch eine Aufführung des gesamten "Wohltemperierten Klaviers" in Moskau Aufsehen. Sämtliche großen Klavierwerke Bachs gehören zum Grundbestand seines Repertoires, seine h-Aufnahmen, namentlich die der "Kunst der Fuge", sichern ihm eine herausragende Stellung in der Geschichte der Bach-Rezeption.

In der internationalen Klavierszene fällt Koroliov auf durch seinen gänzlichen Mangel an Attitüden. Er überzeugt 'ganz einfach' durch sein Können: seine überragende Technik, noble Anschlagskultur und luzide Transparenz - und durch seine geistige Durchdringung der Werke. Damit nähert er sich dem Punkt, an dem „Musik sich selber spielt", wie ein Kritiker anmerkte. Ein englischer Rezensent bringt es so auf den Punkt: "He plays Schubert’s Schubert, not his..."

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Kerstin Unseld