Musikstück der Woche vom 31.8. – 6.9.2009

Mit dem Paukenwirbel

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 103 Es-Dur

Von dem Paukenwirbel, der diese Sinfonie eröffnet, erhielt sie ihren Beinamen. In unserem Live-Mitschnitt vom September 2009 spielt das RSO Stuttgart unter Leitung von Sir Roger Norrington.

„Haydns Quartette und Sinfonien“ – so schreibt ein Zeitgenosse – „gefallen an der Donau wie an der Themse, an der Seine wie an der Newa, sie sind jenseits der Meere wie in unserem Welttheile geschätzt und bewundert“.
An der Themse erfuhr Haydn vielleicht die größte Bewunderung und Wertschätzung. Seine beiden London-Reisen und die Konzerte, die er dort veranstaltete, waren ein großartiger Erfolg. Das verwöhnte Londoner Publikum vergötterte ihn, die Presse – berüchtigt für ihre mitunter bissigen Kritiken – hofierte ihn regelrecht, und der englische König bot ihm sogar eine Wohnung auf Schloss Windsor an, um ihn an England zu binden.

Die Geburt der Musik aus dem Geist eines Paukenwirbels

Der österreichische Komponist Joseph Haydn (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Joseph Haydn

1795 komponierte Haydn in London die Sinfonie mit dem Paukenwirbel; es ist seine vorletzte Sinfonie. Sie beginnt – höchst ungewöhnlich – mit einem Paukenwirbel. Darunter steht in den Noten „Intrada“, was soviel bedeutet wie ‚Einzugsmusik für eine hochrangige Person’. In Haydns Sinfonie betritt die Musik selbst die Bühne und erobert nach und nach das Terrain. Zunächst erklingt mit dem Paukenwirbel ein einziger Ton, noch ohne klaren Rhythmus und Struktur. Aus den Bassinstrumenten steigt dann wie aus der Dämmerung eine Melodie auf, Takt und Rhythmus werden allmählich klarer. Zuletzt kommen Harmonie und Mehrstimmigkeit hinzu, schließlich immer mehr Instrumente und Klangfarben. Haydn präsentiert also nach und nach die Zutaten, aus denen Musik besteht. Aus ihnen baut er in strengster Ökonomie einen Sonatensatz. Als besondere Überraschung greift er gegen Ende des Satzes auf den Beginn zurück: In der Musik braut sich eine Katastrophe zusammen, alles bricht auseinander. Wie eine Intarsie baut Haydn den Paukenwirbel und die Anfangstakte noch einmal ein – ein überaus wirkungsvoller Kunstgriff, der das Londoner Publikum verblüffte und begeisterte.
Wie auch die übrigen Sätze der Sinfonie: Im langsamen Satz zeichnet Haydn ein ländliches Idyll, in dem er Themen aus der Volksmusik Kroatiens und Ungarns einfließen lässt. Der dritte Satz tarnt sich als Menuett – als derjenige Tanz, mit dem sich der Adel des 18. Jahrhunderts am meisten identifizierte. Haydn schmuggelt an mehreren Stellen überflüssige Takte ein, Stolpersteine, die dieses Menuett untanzbar machen – vielleicht ein dezenter musikalischer Hinweis darauf, dass die Position des Adels 1795 (ein paar Jahre nach dem Sturm auf die Bastille) gefährlich ins Wanken geraten ist. Das Finale ist ein Musterbeispiel für Haydns Kunst, aus dem Nichts – mit nur ganz wenigen unspektakulären musikalischen Gedanken – einen großen sinfonischen Satz zu formen.

Alles am rechten Platz

„Alles scheint einfach bei Haydn, weil seine Kunst unendlich ist“ resümierte der zeitgenössische Musiktheoretiker Jérôme-Joseph de Momigny im Hinblick auf diese Sinfonie. „Es gibt nicht eine Note, die sich in dem riesigen Orchester verliert, weil es keine gibt, die nicht an ihrem richtigen Platz ist, sei es eine Haupt-, Neben- oder Begleitstimme. Ein Instrument zerstört dabei nie die Wirkung eines anderen und alle, die sich auf einmal hören lassen, tragen gemäß ihrer Natur zum gleichen Ziel bei.“

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR und Sir Roger Norrington

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt jährlich rund 90 Konzerte im Sendegebiet des Südwestrundfunks, in den nationalen und internationalen Musikzentren und bei bedeutenden Musikfestspielen. Ein herausragender Höhepunkt in der Geschichte des RSO Stuttgart war das Konzert zum 80. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. im Vatikan, das im April 2007 weltweit live übertragen wurde.

Das Orchester pflegt das klassisch-romantische Repertoire in exemplarischen Interpretationen und setzt sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten aufgeführte Komponisten und Werke ein. Bis heute hat es mehr als 500 Werke uraufgeführt.

Viele namhafte Dirigentenpersönlichkeiten haben das RSO in den letzten 60 Jahren geprägt, unter Ihnen Sergiu Celibidache, Carl Schuricht, Sir Georg Solti, Giuseppe Sinopoli, Carlos Kleiber, Sir Neville Marriner, Georges Prêtre und Herbert Blomstedt. Ebenso konzertieren regelmäßig hochkarätige Solisten aller Generationen beim RSO.

Seit 1998 ist Sir Roger Norrington Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart. Er verleiht "seinem" Orchester ein unverwechselbares klangliches Profil durch die Verbindung von historisch informierter Aufführungspraxis mit den Mitteln eines modernen Sinfonieorchesters. Ergebnis dieser Synthese ist ein "reiner Klang", der von der Presse gerne als "Stuttgart Sound" bezeichnet wird.

Beim Europäischen Musikfest 2006 führten Sir Roger und das RSO Stuttgart unter großem Beifall eine Auswahl aus Mozarts Sinfonien auf - darunter auch etliche der weniger bekannten. Die Konzertmitschnitte sind bei SWR music / hänssler classic auf CD erschienen und wurden jüngst mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich