Musikstück der Woche vom 6. bis 12. April 2009

Im Dienst des Wortes

Stand
AUTOR/IN
Barbara Paul
Doris Blaich

Heinrich Schütz: Motetten aus der "Geistlichen Chormusik" op. 11

Am Ende des Dreißigjährigen Krieges veröffentlichte Heinrich Schütz seine „Geistliche Chormusik“. Das SWR Vokalensemble singt daraus Motetten unter Leitung von Marcus Creed. Ein Livemitschnitt vom März 2006 aus der Gaisburger Kirche in Stuttgart.

Wer B sagt, muss schon gelernt haben, A zu sagen – so sah es zumindest der Komponist Heinrich Schütz. Stirnrunzelnd stellte er fest, dass sich die jungen Komponisten um 1640 voll Elan auf die neuen, ausdrucksstarken Möglichkeiten des konzertierenden Satzes stürzten. Dabei dient eine instrumentale Bass-Stimme (der Generalbass) als Fundament, über dem sich die restlichen Stimmen recht frei entfalten können. Schütz befürchtete, die nächste Generation würde das traditionelle Handwerk verlernen: jene mehrstimmige Setzweise, bei der jede einzelne Stimme in ein dichtes Geflecht eingebunden ist und die sehr viel strengeren Regeln unterworfen ist. Für Schütz war die Beherrschung dieser alten kontrapunktischen Kompositionstechniken das A und O in der Ausbildung eines Komponisten. Und so forderte er von jedem „angehenden Deutschen Componisten (...) das / ehe Sie zu dem concertierenden Stylo schreiten / Sie vorher das rechte Fundament eines guten Contrapunkts zusuchen und darin eine erste Probe ablegen möchten.“

Schütz war ein Mann der Tat, und er wusste: Alles Lamentieren hilft nichts, man muss selbst die Welt verändern! Mit seiner „Geistlichen Chormusik“ (1648) schuf er ein Musterbeispiel dafür, dass sich expressive Textausdeutung und das traditionelle kompositorische Handwerk des mehrstimmigen Satzes nicht widersprechen. Ganz bewusst, so formulierte er in der Vorrede zu seinem Druck, schrieb er deshalb „ein Wercklein ohne Bassuum Continuum“.

Freiheit in einem strengen System

In den Motetten der "Geistlichen Chormusik" nimmt sich Schütz immer wieder satztechnische Freiheiten heraus und variiert das Verhältnis von Text und Musik. In der Motette „Ich bin ein rechter Weinstock“ lässt er viele Phrasen virtuos verzieren, die veranschaulichen, wie sich die Weinreben ausbreiten und verzweigen. In "Verleih uns Frieden genädiglich" gelingt es ihm, durch verschiedene Deklamationstempi das musikalische Bild eines Kampfgetümmels heraufzubeschwören. Philipp Spitta, der Vater der modernen Schütz-Forschung, brachte die Besonderheiten dieser Kompositionsweise bereits 1885 auf den Punkt: „An Hand des Textes sucht Schütz zur Vorstellung einer Begebenheit, einer Situation, einer Persönlichkeit zu gelangen. Dann erst beflügelt sich seine Phantasie, und nun entströmen ihm Weisen von so plastischer Kraft, dass man einen Vorgang bis in all seine Nebenbewegungen hin zu schauen glaubt, Wendungen und Akzente so tiefer persönlicher Empfindung voll, dass sie überzeugender und ergreifender nicht gedacht werden können“.

SWR Vokalensemble Stuttgart, Marcus Creed

Mitglieder des SWR Vokalensembles Stuttgart  stehen einzeln oder in Grüppchen vor einer hellen Wand (Foto: SWR, SWR -)
SWR Vokalensemble Stuttgart

Die Geschichte des SWR Vokalensembles Stuttgart spiegelt in einzigartiger Weise die Kompositionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder. Auf Beschluss der Alliierten und im Zuge von Demokratisierungsmaßnahmen wurden 1946 Rundfunkanstalten und Ensembles gegründet, darunter auch der damalige Südfunkchor. Ihm kam die Aufgabe zu, das Schallarchiv mit Musik aller Arten und für jegliche Anlässe zu versorgen. Mit dem Dirigenten Hermann Joseph Dahmen, der den Chor von 1951 bis 1975 leitete, begann die Zeit der allmählichen Spezialisierung auf Neue Musik. Von 1953 an vergab der Chor regelmäßig Kompositionsaufträge.

Zu internationaler Reputation als Ensemble für Neue Musik gelangte das SWR Vokalensemble mit seinen späteren Chefdirigenten Marinus Voorberg, Klaus-Martin Ziegler und mit Rupert Huber. Schon Voorberg, insbesondere aber Huber formte den typischen Klang des SWR Vokalensembles, geprägt von schlanker, gerader Stimmgebung. Viele der mehr als 200 Uraufführungen, die in der Chronik des SWR Vokalensembles verzeichnet sind, hat er dirigiert. Auf diesem Niveau konnte Marcus Creed aufbauen, als er 2003 die Position des Chefdirigenten übernahm. Dem Ensemble ging zu diesem Zeitpunkt bei Fachpresse und Publikum längst der Ruf voraus, in konstruktiver Offenheit mit den Schwierigkeiten zeitgenössischer Partituren umzugehen.

In seinen ersten Stuttgarter Jahren legte Creed, der als einer der profiliertesten Dirigenten internationaler Profichöre gilt, seine Arbeitsschwerpunkte deshalb auf das Vokalwerk von György Ligeti, Luigi Dallapiccola und Luigi Nono. Darüber hinaus setzte er die Reihe der Uraufführungen fort. Intensiviert wurde vor allem die Zusammenarbeit mit Georges Aperghis, Heinz Holliger und György Kurtág. Die Studioproduktion des SWR Vokalensembles Stuttgart erscheinen zu einem großen Teil auf CD und werden regelmäßig mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der Grand Prix du Disque und der Midem Classical Award.

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Barbara Paul
Doris Blaich