Musikstück der Woche mit Miriam Feuersinger

Christoph Graupner: Kantate „Furcht und Zagen“

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Immer wieder für Überraschungen gut: Graupner gehört zu den interessantesten Wiederentdeckungen der Barockmusik. Zu Lebzeiten war er immerhin höher geschätzt als Johann Sebastian Bach. In unserem Musikstück der Woche singt die Sopranistin Miriam Feuersinger, begleitet vom Capricornus Consort Basel, aufgenommen bei einem Ettlinger Schlosskonzert am 18.10.2015.

Erste Wahl: Graupner, zweite Wahl: Bach

Graupner oder Bach? In Leipzig war man sich einig: Graupner war der Wunschkandidat für die Neubesetzung des Thomaskantorats im Jahr 1722. Aber Graupners Dienstherr, Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, ließ seinen Hofkapellmeister nicht ziehen. Also gab man in Leipzig (zunächst durchaus zähneknirschend) das Amt an Johann Sebastian Bach. Und Graupner blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1760 am Darmstädter Hof. Die riesige Fülle seiner Werke (darunter über 1400 Kirchenkantaten, etliche Opern, 86 Orchestersuiten und mehr als 40 Instrumentalkonzerte!) ist zum größten Teil erhalten. Die Hessische Landesbibliothek bewahrt diesen Schatz auf; in den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde er eifrig von Musikern und Musikforschern durchforstet.

(K)eine Zitterpartie

Die Zeitgenossen schätzen an Graupners Musik die glückliche Verbindung von „Kunst mit Natur, Pracht mit Einfalt, Reitz mit Schönheit“. Das gilt auch für seine Kantate „Furcht und Zagen“, komponiert für den 2. Advent 1711. Der Text stammt von dem Darmstädter Hofbibliothekar Georg Christian Lehms und formuliert die gemischten Gefühle angesichts der Ankunft Gottes: bange Erwartung, Zögern, Aufruf zur Ruhe und Umkehr, Sehnsucht nach Ewigkeit. Graupner vertont all das in knapp angelegten, affektreichen Sätzen – indem er den Einleitungssatz „Furcht und Zagen“ in der Mitte nochmals aufgreift, verleiht er der Kantate eine kompakte Form. Darauf folgt ein Choral, bei dem die Choralmelodie in der Singstimme kunstvoll mit Violinfiguren umrankt ist. Der letzte Satz „Verstoße doch dein Erbteil nicht“ ist der gewichtigste und gleichzeitig in seiner Architektur eigenwilligste: Eine Da Capo-Arie in der Schmerzenstonart c-Moll, immer wieder ist das schnelle Tempo durch einige rezitativisch-freie Adagio-Takte aufgebrochen. Der Mittelteil, nach Dur gewendet, lässt mit seinen langen Haltetönen im Bass und seiner terzenseligen Violinbegleitung die Vorfreude auf Weihnachten anklingen.

Text der Kantate

1. Arie
Furcht und Zagen
will anitzt die Seele nagen
da des Herren Tag erscheint.

2. Rezitativ
Die Zeit ist da, bereitet euch, ihr harte Sinnen,
ihr könnt anitzt das Leben oder auch den Tod gewinnen,
denn euch ist beides nah.
Gott stellt sich plötzlich ein
und will der ganzen Welt ein höchst gerechter Richter sein.

3. Arioso
Ach, bereue deine Sünden
so kannst du das Leben finden
und Gott bleibt dein wahrer Freund. 

4. Rezitativ
Durch Reu’ und Glauben kannst du für Gott bestehn
und mit dem selbigen in seinen Himmel gehn.
Doch wo du diese Zeit verachst
und seinen heissen Zorn verlachst
musst du noch ferner klagen
und also sagen:

5. Arie da capo
Furcht und Zagen
will anitzt die Seele nagen
da des Herren Tag erscheint. 

6. Rezitativ
Ich will mich auch deswegen
zu deinen Füssen legen;
nimm mich in Demut an
und gönne, dass ich doch dein Antlitz sehen kann.

7. Choral
O Jesu hilf zur selben Zeit
von wegen deiner Wunden,
dass ich im Buch der Seeligkeit
werd eingezeichnet funden.
Daran ich denn auch zweifle nicht,
denn du hast ja den Feind gerich’t
und meine Schuld bezahlet. 

8. Rezitativ
Ich hoff’ es wird geschehn,
dich ewig anzusehn. 

9. Arie
Verstosse doch dein Erbteil nicht
und lass mich deine Gnade finden.
Du bleibst mein Gott, dem ganz allein
Herz, Geist und Mund gewidmet sein.
Ich habe meine Zuversicht
ganz sehnsuchtsvoll auf dich gerich’t.
Lass doch mein Hoffen nicht vergehen!

(Georg Christian Lehms, 1684-1717)

Miriam Feuersinger, Sopran

Miriam Feuersinger: Das ist kein Künstlername, sondern ein schönes Geschenk ihres Vaters. Die Sopranistin entdeckte schon als Kind ihre Liebe zum Gesang. Nach umfassender musikalischer Bildung an der Musikschule ihrer Heimatstadt Bregenz setzte Miriam Feuersinger ihre professionelle Gesangausbildung am Landeskonservatorium Feldkirch fort und wechselte anschließend an die Musikhochschule Basel in die Klasse von Prof. Kurt Widmer, wo sie ihr Studium mit Auszeichnung abschloss.

Ihre große Liebe gilt musikalisch und inhaltlich dem Kantaten- und Passionswerk von Johann Sebastian Bach, worauf auch eine rege internationale Konzerttätigkeit schließen lässt. Seit 2014 initiiert sie zusammen mit dem Cellisten Thomas Platzgummer die Reihe „Bachkantaten in Vorarlberg“ (www.bachkantaten.at). Weitere schöne Schwerpunkte ihres musikalischen Schaffens liegen in dem breiten Spektrum der geistlichen Musik vom Barock bis hin zur Spätromantik sowie im Lied.

Miriam Feuersinger musiziert mit renommierten Musikern wie Rudolf Lutz, Ton Koopman, Václav Luks, Peter Kooij, Jörg-Andreas Bötticher und Laurent Gendre, sowie dem Freiburger Barockorchester, den Ensembles La Cetra, Les Cornets Noirs, Capricornus Consort Basel, L‘Arpa Festante, Il Concerto Viennese, Concerto Stella matutina und Capriccio Basel.

Für ihre Solo-CD mit Sopran-Kantaten von Christoph Graupner wurde sie mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik 2/2014“, dem „Echo Klassik 2014“ und dem „Prix plus 2015“ ausgezeichnet und für den „European Classic Music Award 2015“ nominiert.

Capricornus Consort Basel

Der Stuttgarter Hofkapellmeiser Samuel Capricornus (1628-1665) ist der Namensgeber dieses Ensembles, und er markiert den Anfangspunkt jener Epoche, der sich das Capricornus Consort Basel widmet. Im Zentrum des Repertoires stehen selten aufgeführte (oder auch seit 300 Jahren nicht mehr gespielte), solistisch besetzte Werke des 17. und 18. Jahrhunderts – Musik, die etliche der wesentlichen Interpretationsangaben (noch) nicht notiert, und darum für die Musiker viel Freiraum bietet für eigene Interpretationsideen und besonderen Ausdruckswillen – immer gekoppelt mit dem Wissen um historische Spieltechniken und die aufführungspraktischen Gepflogenheiten der Zeit.

Der Geiger Peter Barczi gründete das Ensemble 2006. Als künstlerischer Leiter schart er eine Gruppe von Musikerinnen und Musikern um sich, deren gegenseitige künstlerische Verbundenheit meist schon auf Freundschaften aus der Studienzeit an der Schola Cantorum Basiliensis zurückgeht, der renommierten Hochschule für Erforschung und Vermittlung historischer Musik.

Das Capricornus Consort Basel kann auf Einladungen namhafter Festivals zurückblicken und hat insbesondere mit seinen CD-Einspielungen die Aufmerksamkeit der internationalen Presse erregt. Die Aufnahmen mit Musik des deutschen Frühbarock (2011 mit dem Countertenor Franz Vitzthum), von Philipp Heinrich Erlebach (2012) und mit den Sinfonie da Chiesa von Francesco Onofrio Manfredini (2014) ernteten von der Fachkritik großes Lob.

Die Einspielung mit Kantaten von und Christoph Graupner, 2014 mit der Sopranistin Miriam Feuersinger aufgenommen, wurde unter anderem mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik mit einem Eintrag in die Bestenliste 2/2014 ausgezeichnet und erhielt einen Echo-Klassik-Preis.

In unserem Ettlinger Schlosskonzert spielte das Capricornus Consort in dieser Besetzung: Peter Barczi und Eva Borhi (Barockvioline), Daniel Rosin (Barockcello), David Blunden (Orgel) und Julian Behr (Theorbe).

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Doris Blaich