Musikstück der Woche mit Amandine Beyer

Johann Heinrich Schmelzer: Violinsonate Nr. 4 D-Dur aus den Sonatae unarum fidium

Stand
AUTOR/IN
Doris Blaich

Das 17. Jahrhundert ist die Zauberküche der Musikgeschichte. Nie zuvor (und auch danach lange nicht!) haben Komponisten so lustvoll mit Formen und musikalischen Farben experimentiert. Unser Musikstück der Woche gibt einen kleinen Einblick in dieses klingende Kuriositätenkabinett. Amandine Beyer ist die Geigerin, der Mitschnitt entstand bei einem Bruchsaler Schlosskonzert des SWR vom 9.12.2012.

Der Geiger des Kaisers

Als Kaiser Leopold I. im Jahr 1658 von Wien aus zu seiner Krönung nach Frankfurt reiste – natürlich mit großem Gefolge, war auch Johann Heinrich Schmelzer dabei. „Der berühmte und fast vornemste (!) Violist in ganz Europa“, so priesen ihn die Zeitgenossen. In Wien stieg Schmelzer in rasantem Tempo die Karriereleiter hinauf: Zu fast allen Festveranstaltungen des Hofes lieferte er die Musik, darunter auch für ein Rossballett, das in ganz Europa für Furore sorgte. Zum Dank beschenkte ihn der Kaiser mehrfach mit Goldketten; damals eines der Zeichen außergewöhnlicher Gunstbezeugung. 1673 wurde Schmelzer in den Adelsstand erhoben, sechs Jahre später zum Kaiserlichen Hofkapellmeister ernannt – als erster Nicht-Italiener seit Beginn des 17. Jahrhunderts. Wenig später erlag er der Pest.

Play it again, Joe!

Seine Sonatae unarum fidium – eine Sammlung von 6 Violinsonaten – ließ Schmelzer 1664 drucken. Die vierte Sonate daraus beginnt mit einem großen Variationsabschnitt über einem ostinaten Bass aus vier absteigenden Tönen. Das Besondere daran: Das Ostinato durchwandert zwei höfische Tänze: eine Sarabande in getragenem Tempo und eine schnelle Gigue. Nach 180 Takten lässt der Bass das immer gleiche Schema hinter sich und bildet den Untergrund für eine höchst virtuose geigerische Tour de force aus schnellen Läufen, Dreiklangsbrechungen und nochmals einer kleinen Tanzeinlage.

Gli Incogniti

„Gli Incogniti“ heißt „Die Unbekannten“ – für das Ensemble, das die Geigerin Amandine Beyer im Jahr 2006 gegründet hat, eine glatte Untertreibung! „Die Unbekannten“ sind nämlich längst dem Geheimtipp-Stadium entwachsen. Sie sind gern gesehener Gast bei den wichtigen Festivals für Kammermusik und Alte Musik und ihre CDs ernten regelmäßig begeisterte Rezensionen von der internationalen Fachpresse. Dennoch verrät der Name etwas vom Geist dieses Ensembles: Er bezieht sich auf die „Accademia degli Incogniti“, einem Zirkel von Gelehrten, Musikern und Kunstfreunden im barocken Venedig, die gemeinsam musizierten, diskutierten, dichteten – und jeder Art von Kultur aufgeschlossen waren. Das Ensemble möchte zudem musikalisch den Geschmack des Unbekannten ergründen: mit der Wiederentdeckung von Stücken, die lange im Archiv geschlummert haben, mit einer Aufgeschlossenheit für die klanglichen Möglichkeiten der alten Instrumente, mit Experimentierlust und Schwung.

Die Ensembleleiterin Amandine Beyer spielt Geige, seit sie vier Jahre alt ist. Mit 15 begann sie ihr Studium am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris. Dort machte sie mit einer Arbeit über den zeitgenössischen Komponisten Karlheinz Stockhausen auch ihren Master in Musikwissenschaft. Das Studium der Barockvioline führte sie zu Chiara Banchini an die Schola Cantorum Basiliensis. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen würdigten ihre künstlerische Arbeit – unter anderem der erste Preis beim Antonio Vivaldi Wettbewerb für Barockvioline in Turin 2001. Seit 2010 lehrt Amandine Beyer Barockvioline in Basel.

Im Ensemble „Gli Incogniti“ hat sie sich mit befreundeten Musikern zusammengetan, die sich musikalisch auf einer ähnlichen Wellenlänge bewegen. Die Größe des Ensembles ist flexibel – je nach Besetzung der Werke. In diesem Bruchsaler Schlosskonzert spielen neben Amandine Beyer die Cembalistin Anna Fontana, der Gambist Baldomero Barciela und der Lautenist Francesco Romano.

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Doris Blaich