Musikstück der Woche vom 22.2.2016

Seismograph eines erschütterten Herzens

Stand
AUTOR/IN
Carolin Krahn

Joseph Haydn: Arianna a Naxos. Kantate für Mezzosopran, 2 Violinen, Viola und Violoncello, Hob.XXVIb:2

Duselige Liebesblödigkeit, hoffnungsvolles Bangen, fassungsloses Entsetzen, niederschmetternde Trauer, zügellose Wut. Wer mal bis über beide Ohren verliebt war und dann wie aus dem Nichts verlassen wurde, der weiß, was ein erschüttertes Herz leidet. So wie Ariadne, eine der am furchtbarsten verletzten Frauen der griechischen Mythologie.

Joseph Haydn komponierte Ende 1789 mit seiner Solokantate "Arianna a Naxos" für Gesang und Tasteninstrument einen musikalischen Seismographen zum Seelenpanorama der verlassenen Königstochter, der kaum Eindringlicheres zeichnen könnte. Die Mezzosopranistin Stefanie Irányi hat dies bei einem Konzert in Schloss Waldthausen am 14.12.2011 vorgeführt: im Arrangement für Gesang und Streicher, begleitet vom Ensemble Lyriarte.

Mythen für Wiener Wohnzimmer

Der Komponist Joseph Haydn (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - dpa)
Der Komponist Joseph Haydn

Als der schon fast 60-jährige Joseph Haydn sich die italienische Solokantate rund um Ariadnes dramatische Geschichte ausdachte, widmete er sich einem Sujet, das am Beginn vieler Opern von Monteverdi bis Birtwistle steht: Nachdem sie ihrem Geliebten, dem Königssohn Theseus, gerade erst geholfen hat Minotaurus zu besiegen, wacht die frisch verliebte Ariadne am Strand der Insel Naxos auf. Verträumt und allein. Am Horizont erblickt sie ein griechisches Schiff, während ihr allmählich dämmert, dass darin ihr Geliebter – auf zu neuen Taten! – davonschippert. Ariadnes verzweifeltes Lamento verhallt nur noch jämmerlich im eigenen Echo. Inmitten dieser brutalen Verlassenheit muss sie bitterlich erkennen, dass die Liebe ein Ende hat.

Mit diesem Stoff in der Partitur zog Joseph Haydn Anfang 1790 durch die Wohnzimmer der Wiener Liebhaberkreise, wo er seine Kantate Hob.XXVIb:2 mit Begleitung des "Clavicembalo o Forte-Piano" praktisch einfach vortragen konnte. Der Einbruch in Ariadnes Geschichte markiert in Haydns Musikerleben zugleich einen Moment des Aufbruchs: Der Komponist stand kurz vor dem Ende seines langjährigen Engagements in Diensten des feinsinnigen Fürsten Nikolaus I. Esterházy in Eisenstadt, und nur eine Weile vor seinem folgenreichen Aufbruch nach London.

Eine Viertelstunde Gefühlskarussell

Oft wurde über die Dame spekuliert, für die Haydns "Arianna a Naxos" entstand. Wahrscheinlich war es die junge venezianische Sängerin Bianchetta, "für welche Haydn ausdrücklich seine Ariadne schrieb", wie es am 5. Februar 1800 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung heißt. Diese Komposition war unter den knapp zwei Dutzend unterschiedlichen Kantaten Haydns jedenfalls eine der erfolgreichsten. Sie wurde nach der Wiener Erstausgabe bei Artaria 1790 noch mehrfach durch Verlage im In- und Ausland gedruckt, und Haydn plante sogar eine (nie realisierte) Instrumentation für Orchester – passend zur Bühnentauglichkeit des Stoffes?

Opernhaft ist nicht nur die dramatische Anlage der Partitur mit Rezitativ und Arie, sondern vor allem auch das Gefühlskarussell, das Ariadne hier auf engstem Raum durchlebt: anfangs scheint sie noch lyrisch sehnend, bald rückhaltlos getroffen und schließlich zutiefst gebrochen bis zur Todessehnsucht. Haydn komprimierte all dies in wenig mehr als einer Viertelstunde Musik. Das Resultat ist eine Abfolge vier dramatisch aneinandergereihter, zusehends heftig modulierender Tableaus mit einem verstörend blanken F-Dur am Ende: Adagio: Teseo mio ben – Aria: Dove sei, mio bel tesoro –  Recitativo: Ma, a chi parlo? – Aria: Ah! Che morir vorrei.

Stefanie Irányi (Mezzosopran)

Die Mezzosopranistin Stefanie Irányi beschäftigt sich mit Musik quer durch die Epochen, von Barock bis Spätromantik. Schon als Studentin an der Hochschule für Musik und Theater München debütierte sie am Teatro Regio di Turino und wurde später auch an den Opernhäusern von Palermo, Florenz, Neapel, Parma und Venedig engagiert.

Seither führte ihr Weg über internationale Konzertpodien wie das Wiener Konzerthaus und den Musikverein, den Herkulessaal und die Philharmonie in München, die Suntory Hall Tokio und das Théâtre des Champs-Elysées. Begleitet von Helmut Deutsch gestaltete Stefanie Irányi Liederabende bei Festivals in Deutschland und Österreich sowie bei den "Schubertiaden" in Barcelona und Vilabertran. Daneben arbeitet sie mit Orchestern wie dem Russian State Symphony Orchestra, dem West Australian Symphony Orchestra, dem L'Orfeo Barockorchester oder dem Sinfonieorchester des Bayrischen Rundfunks. Stefanie Irányi ist Preisträgerin des Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerbs in Zwickau und des Bundeswettbewerbs Gesang in Berlin.

Ensemble Lyriarte

Das Münchner Ensemble Lyriarte hat sich auf barocke Kammermusik spezialisiert. Mit dem Ziel musikalischer Stiltreue bietet Lyriarte unkonventionelle Konzertprogramme rund um Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts in wechselnder Besetzung – je nach Repertoire. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Musik des deutschsprachigen und italienischen Raums.

Lyriarte formierte sich im Jahr 2000 um den Violinisten Rüdiger Lotter sowie die Cembalistin Olga Watts und gewann ein Jahr später den 2. Preis beim 6. Internationalen Wettbewerb "Premio Bonporti" in Rovereto (Italien). Seither gastiert das Ensemble bei renommierten Festivals und Konzertreihen. Die ersten vier CDs von Lyriarte sind beim Label Oehms Classics erschienen und reichen von englischen Lautenliedern mit dem Countertenor Valer Sabadus über Musik von Antonio und Francesco Maria Veracini bis hin zu Kompositionen für Violine von Heinrich Ignaz Franz Biber oder Luciano Berio.

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Carolin Krahn