Musikstück der Woche vom 13.07.2015

Vier Saiten Neuland

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AUTOR/IN
Katharina Höhne

Johann Sebastian Bach: Cellosuite Nr. 6 D-Dur BWV 1012

Still und heimlich kam es, das neue Instrument – direkt über die Alpen, aus der norditalienischen Stadt Cremona, in der sich die Werkstatt des berühmten Geigenbauers Amati befand. Doch anders als die Violine, die fast zeitgleich die gesamte Musikwelt auf den Kopf stellte, löste das Violoncello Skepsis aus. Das Streichinstrument war größer und tiefer als alles, was man bisher kannte, hatte mal fünf und mal sechs Saiten und einen ungewöhnlichen Klang. Johann Sebastian Bach störte das nicht. Im Gegenteil. Der Trendsetter des 18. Jahrhunderts schrieb als einer der ersten mit seinen sechs Suiten BWV 1007–1012 Solo-Literatur dafür. Der französische Cellist Charles-Antoine Duflot hat die Suite Nr. 6 in D-Dur im Rahmen des Festivals "Heidelberger Frühling" im März 2014 gespielt.

Trendsetter: Johann Sebastian Bach

Johann Sebastian Bach war seiner Zeit oft voraus. Während viele seiner Zeitgenossen an Altem festhielten – weil etwas verändern bedeutete, die eigene Komfortzone verlassen, und weil es immer bequemer war, alles so zu belassen, wie es war – suchte er nach neuen Wegen. Bach wollte Einzigartiges schaffen, sich abgrenzen und experimentieren, aber nicht nur in der Musik, sondern auch im Instrumentalbereich. Er war maßgeblich an der Entwicklung vieler Instrumente beteiligt. Denn mit denen, die es gab, konnte er nicht alles umsetzen, was er wollte. Schon lange war Bach auf der Suche nach einem Instrument, das tiefer klang als die Bratsche. Das einen warmen und vollen Ton hatte und mit dem sich Melodien schwindelerregend schnell spielen ließen, sowohl hoch als auch tief. Als das Violoncello nach Deutschland kam, wurde er neugierig. Er wusste, dass es längst nicht vollkommen war, trotzdem, genau das reizte Bach. Es bedeutete Neuland. 

Neuland: Violoncello

In den ersten Jahren fungierte das Cello in Europa lediglich als Begleitinstrument, sozusagen als Generalbassstimme. Bis ins 19. Jahrhundert blitzte es zwar immer mal in größeren Werken solistisch auf, doch so erfolgreich wie die Violine war es nie. 

Die sechs Suiten für Violoncello schrieb Bach wahrscheinlich zwischen 1717 und 1723, in seiner Zeit als Hofkappellmeister in Köthen. In ihnen versuchte er die Grenzen des neuen Streichinstruments auszuloten, probierte und experimentierte und schuf damit eine Musik, die zu seiner Zeit regelrecht verschrien war. Die Suiten seien unspielbar, hieß es, weil sie jeden Cellisten – bis heute – an die Grenzen seines Könnens treiben. Deshalb gerieten sie nach Bachs Tod auch erst einmal in Vergessenheit und wurden erst 1890 von dem berühmten katalanischen Cellisten Pablo Casals in einer alten Musikalienhandlung in Barcelona wiederentdeckt. 

Wiederentdecker: Pablo Casals

Pablo Casals hieß damals noch Pau, war 13 Jahre alt und hatte vor wenigen Tagen ein Cello von seinem Vater geschenkt bekommen. In einem kleinen Laden sollte er sich Noten für das neue Instrument aussuchen. Pau zog aus einem dicken Stapel ein Heft. Darauf stand in großen Druckbuchstaben "Johann Sebastian Bach. Sechs Suiten für Violoncello solo". Casals war der erste, der das Gesamtwerk nach zwölf Jahren täglichen Übens öffentlich aufführte. Er war auch der erste, der sie nach - noch einmal 35 Jahre später - einspielte weltweit bekannt machte. Heute gehören sie zu den berühmtesten Werken der gesamten Cello-Literatur. "Sie sind die Quintessenz von Bachs Schaffen und Bach selbst die Quintessenz aller Musik", sagte Casals. 

Die Suite Nr. 6 bildet den Höhepunkt der sechs Suiten. Sie klingt freier und experimentierfreudiger als die anderen. In ihr bringt Bach das komplette Spiel- und Klangspektrum des Cellos auf den Punkt. Der russische Virtuose Mstislav Rostropovich sagte einmal, dass die Suite Nr. 6 "eine Sinfonie für das Violoncello" sei, die durch ihre Tonart D-Dur unglaubliche Freude und Triumph ausstrahle. 

Charles-Antoine Duflot (Violoncello)

Charles-Antoine Duflot wurde 1986 in St. Quentin geboren, im Norden von Frankreich. Bereits mit sechs Jahren fing er an Cello zu spielen. Heute studiert er in der Solistenklasse an der Musikhochschule Lübeck. Er hat sich in den letzten Jahren zahlreiche Preise erspielt, u.a. den 1. Preis beim nationalen Wettbewerb "Ton & Erklärung", bei dem Musiker nicht nur musikalisch überzeugen müssen sondern auch sprechend: Sie bringen dem Publikum als Musikvermittler ihre Werke näher. Der Wettbewerb ist einer der wichtigsten Nachwuchspreise für junge Musiker. Als Solist spielte Duflot bereits mit verschiedenen Orchestern, wie der NDR Radiophilharmonie und gastierte als Kammermusiker u.a. beim Heidelberger Frühling. Duflot spielt ein Cello von Jean Baptiste Vuillaume aus dem Jahr 1865 und ein italienisches Barockcello aus dem 18. Jahrhundert.

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Katharina Höhne