Stéphane Denève und das RSO Stuttgart

George Gershwin: Ein Amerikaner in Paris

Stand
AUTOR/IN
Philipp Backhaus

Musikstück der Woche vom 29.12.2014

Der "Amerikaner in Paris" ist Programmmusik im besten Sinne: Ein heimwehgeplagter Amerikaner schlendert durch die Weltstadt an der Seine. In unserem Konzertmitschnitt spielt das RSO Stuttgart des SWR am 16. März 2012 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle - unter Leitung seines französischen Chefdirigenten Stéphane Denève.

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Die Tondichtung "Ein Amerikaner in Paris" kann man mit Fug und Recht autobiographisch nennen: Im Frühjahr und Sommer 1928 unternahm der Amerikaner George Gershwin eine Reise nach Paris – in die "Hauptstadt des 19. Jahrhunderts", wie sie Walter Benjamin bezeichnet hat. Für viele Künstler hatte Paris eine magnetische Anziehungskraft; als Gershwin die Stadt besuchte, stand sie in der Blüte der "Années folles", der Goldenen Zwanziger. Auf Gershwins Plans stand, möglichst viele Musiker der "Alten Welt" zu treffen, darunter die Komponistengruppe der "Six" um Jean Cocteau mit Arthur Honegger und Francis Poulenc, aber auch Eminenzen wie Sergej Prokofjev und Maurice Ravel. 

Eindrücke eines amerikanischen Reisenden

Was nun im "Amerikaner" verarbeitet ist, sind weniger die Menschen, mit denen Gershwin zusammentraf, als vielmehr die Stimmung der Stadt. "Es ist meine Absicht, die Eindrücke eines amerikanischen Reisenden wiederzugeben, der durch Paris schlendert, der auf den Straßenlärm hört und die französische Atmosphäre in sich aufnimmt. Wie in meinen anderen Orchesterwerken habe ich mich dabei nicht bemüht, irgendeine bestimmte Szene in Musik zu setzen", so der Komponist. 

Der amerikanische Komponist und Pianist George Gershwin (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa - UPI)
George Gershwin

Home sweet home

Obwohl es also nicht um konkrete musikgewordene Gestalten geht, gestattete Gershwin dem amerikanischen Musikkritiker Deems Taylor, eine mögliche Ausdeutung seiner Musik für das Programmheft der Uraufführung (am 13. Dezember 1928 in New York) zu verfassen. Taylors Einfälle stellen noch heute die gängigste Deutung des Stückes dar. Lächelnd goutiert darin unser Amerikaner das aufgeregte Verkehrstreiben auf der Champs-Élysées und die, wie es bei Taylor heißt, "sounds of the city" (im Orchestersatz plastisch dargestellt durch Taxihupen, die für die Uraufführung eigens aus Paris importiert wurden). Dann spaziert er an einem Tanzhaus vorbei, kriegt später als guter Amerikaner den Heimweh-Blues, doch da trifft er einen Landsmann und beide schwingen zum Charleston das Tanzbein – glücklich, in der Fremde einen Leidensgenossen getroffen zu haben.

Jedenfalls scheint es der Amerikaner in der Alten Welt nicht allzu lange alleine auszuhalten, Hauptstadt des 19. Jahrhunderts hin oder her. Denn vom Heimweh war schon in Gershwins kurzen Anweisungen an Taylor die Rede. So ist der Titel Programm: Paris aus der "neuweltlichen" Sicht eines amerikanischen Touristen, eine augenzwinkernde Apotheose, auf deren Grund ein blues- und charlestonseliges "Daheim ist’s doch am schönsten" wartet.

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Seit seiner Gründung 1945 hat das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR eine beeindruckende Entwicklung und einen enormen künstlerischen Aufschwung vollzogen. Heute ist das Orchester einer der bedeutendsten musikalischen Botschafter des Landes. Pro Saison spielt das RSO rund 80 Konzerte in Stuttgart und im Sendegebiet des Südwestrundfunks; es gastiert in nationalen und internationalen Musikzentren und bei internationalen Festspielen, darunter seit über 50 Jahren bei den Schwetzinger SWR Festspielen. Ergänzt wird die Konzerttätigkeit durch zahlreiche Studioproduktionen für Radio und Fernsehen des SWR sowie für den Tonträgermarkt, vor allem für das SWR-eigene Label SWRmusic.

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Foto: SWR, SWR - Uwe Ditz)
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Das RSO Stuttgart pflegt einerseits das klassisch-romantische Repertoire der sinfonischen Tradition in exemplarischen Interpretationen, andererseits setzt es sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten gespielte Werke und Komponisten ein. Seit seiner Gründung hat das RSO Stuttgart weit über 500 Werke uraufgeführt. Viele bedeutende Komponisten, darunter Strawinsky, Hindemith, Boulez, Henze, Penderecki, Lachenmann, Kagel, Ruzicka und Pintscher, haben ihre eigenen Werke für Konzerte des RSO Stuttgart einstudiert. In der Konzertreihe attacca – Geistesgegenwart.Musik finden junge Komponisten der Avantgarde ein Podium, um ihre musikalischen Klangvorstellungen und Experimente zu realisieren.

Prägende Dirigentenpersönlichkeiten waren - neben zahlreichen renommierten Gastdirigenten - insbesondere die Chefdirigenten Sergiu Celibidache, Gianluigi Gelmetti, Sir Neville Marriner und Sir Roger Norrington. Seit 2011 steht Stéphane Denève als Chefdirigent an der Spitze des Orchesters.

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Philipp Backhaus