Musikstück der Woche vom 18.3.2013

Mehr Trauer geht kaum

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Mit Musik ließe sich ausdrücken, wozu die Worte fehlen und worüber Schweigen unmöglich sei, stellte Victor Hugo fest. Und Dmitrij Schostakowitschs zweites Klaviertrio ist eine solch wortlose Klage.

In einem Ettlinger Schlosskonzert am 19.Februar 2012 spielten Christine Busch (Violine), Conradin Brotbeck (Violoncello) und Cornelis Witthoefft (Klavier) Schostakowitschs 1944 entstandenes Werk.

Von Februar bis August bohrender Schmerz

Am 11. Februar 1944 verstarb der Musik- und Literaturwissenschaftler Iwan Sollertinski mit nur 41 Jahren, am Tag danach setzte sich Dmitri Schostakowitsch hin und begann, dem Freund mit seinem Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67 ein Andenken zu komponieren. Denn Sollertinskis früher Tod traf Schostakowitsch tief. Wenige Tage zuvor noch hatte Sollertinski einführende Worte zu Schostakowitschs Achter Symphonie gesprochen. Seinen Schmerz über den Tod des Freundes versuchte Schostakowitsch am 15.Februar 1944 der Witwe Sollertinskis zu beschreiben: "Liebe Olga Pantelejmonovna! Das Unglück, das mich traf, als ich vom Tode Iwan Iwanowitschs erfuhr, kann ich nicht in Worte fassen. Er war mein nächster und teuerster Freund. Meine ganze Entwicklung verdanke ich ihm. Ohne ihn zu leben wird mir unerträglich schwerfallen..."

Ein späterer Biograph schrieb über das im August 1944 vollendete Klaviertrio, es sei "wahrscheinlich das Allertragischste im Schaffen Schostakowitschs". Tatsächlich mischte sich in die Trauer um den Freund auch Not und Elend der Kriegszeit hinein. Dass Schostakowitsch im Finale ein Thema aus der jüdischen Volksmusik verwandte, deutet zweifelsohne auf seine Trauer um die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden hin. Dieses jüdische Thema aus seinem Klaviertrio griff Schostakowitsch 1960 nochmals auf, als er sein achtes Streichquartett schrieb, "den Opfern des Faschismus und des Krieges gewidmet". Im Klaviertrio ist es das Cello, das mit fahlen Flageolett-Tönen beginnt; kanonartig antwortet die Violine. Dass alles Helle in diesem dunklen Werk trügerisch ist, entpuppt sich im energiegeladenen und bedrohlich wirkenden Scherzo. Im Largo hebt Schostakowitsch eine Totenklage an: Mit schweren Klavierakkorden schreitet die Musik als Passacaglia daher. In der Art eines Totentanzes klingt das Werk aus – makaber, leise und unerbittlich.

Die Interpreten:

Christine Busch, geboren in Stuttgart, studierte als Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes und des DAAD bei Wolfgang Marschner und Rainer Kussmaul in Freiburg, in Wien bei Boris Kuschnir und in Winterthur bei Nora Chastain. Schon in dieser Zeit wirkte sie beim Concentus Musicus Wien mit (prägend: Nikolaus Harnoncourt und seine Musiker), beim Chamber Orchestra of Europe und beim Freiburger Barockorchester. Seitdem ist sie als Solistin und Kammermusikerin sowohl mit der "modernen" als auch mit der "Barock-" Geige in Konzerten auf Festivals in Europa, in den USA, Japan und Australien zu hören; als Konzertmeisterin arbeitet sie gerne mit Philippe Herreweghe, Thomas Hengelbrock und Kay Johannsen zusammen. Als Gastleiterin erhielt sie Einladungen von der Camerata Bern und der Kammerakademie Potsdam. 2004 gründete sie das Salagon-Quartett, ein Streichquartett mit zeit-adäquatem Instrumentarium, dessen Repertoire sich zwischen Haydn und Mendelssohn bewegt. Ab 1997 unterrichtete Christine Busch als Professorin an der Hochschule der Künste Berlin und folgte anschließend im Jahr 2000 einem Ruf an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. 

Der Schweizer Cellist Conradin Brotbek, 1960 in Biel geboren, studierte unter anderem bei Stanislav Apolin und Marek Jerie an der Musikhochschule Luzern, wo er 1985 das Solistendiplom erlangte und ihm der Edwin-Fischer-Gedenkpreis der Stadt Luzern verliehen wurde. Es folgten weitere Studien bei Pierre Fournier in Genf, bei Janos Starker in Wien und bei Jacqueline du Pré und Wiliam Pleeth in London. Nachhaltige Impulse durch das LaSalle Quartett, Amadeus Quartett und Franco Rossi (Quartetto Italiano). Seit 1987 unterrichtet Conradin Brotbek an der Hochschule der Künste Bern eine Konzert- und Solistenklasse für Violoncello und eine Kammermusikklasse sowie seit 2001 an der Internationale Sommer-Akademie Lenk. 2007 wurde er als Professor für Violoncello an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart berufen.

Conradin Brotbek ist Violoncellist des Aria Quartetts Basel. Als Kammermusiker und Solist konzertiert er an vielen wichtigen Festivals und Musikzentren der Welt. Konzertreisen führten ihn durch Europa, den Nahen und Fernen Osten, Australien, China und die USA. Conradin Brotbek ist auch als Komponist tätig. Er spielt das Joseph filius Andrea Guarnerius-Cello „ex Jules Delsar, André Levy“ aus dem Jahre 1700. 

Cornelis Witthoefft wurde in Hamburg geboren und studierte zunächst Evangelische Kirchenmusik an der Musikhochschule Hamburg, anschließend Orchesterdirigieren, Chorleitung und Korrepetition an der Universität der Künste Wien sowie Liedgestaltung bei Professor Dr. Erik Werba. 1989 trat er sein erstes Engagement als Solorepetitor an der Wiener Staatsoper an. In Ergänzung seiner musikalischen Ausbildung studierte er von 1991 bis 1997 an der Universität Stuttgart die Fächer Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie. 1991 wurde Cornelis Witthoefft als Solorepetitor mit Dirigierverpflichtung an die Staatsoper Stuttgart berufen. Dirigierverpflichtungen und Einstudierungen führten ihn an wichtige Opernhäuser wie die Opéra de la Bastille Paris, die Flämische Oper Antwerpen, das Teatro di San Carlo Neapel, das Teatro Massimo Palermo, die Salzburger Festspiele und an das New National Theater Tokio.

Cornelis Witthoefft pflegt eine umfangreiche Konzerttätigkeit im In- und Ausland mit den Schwerpunkten Lied und Kammermusik und einem umfangreichen, stilistisch breit gefächerten Repertoire. 2004 wurde Cornelis Witthoefft als Professor für Liedgestaltung an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart berufen.

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Kerstin Unseld