Musikstück der Woche vom 23.01.2017 mit dem Oberon Trio

Maurice Ravel: Klaviertrio a-Moll

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AUTOR/IN
Doris Blaich

"Ich arbeite mit der Sicherheit und Hellsicht eines Verrückten"

Unerhört - Ravel, der große Klangzauberer, beweist in seinem Klaviertrio, dass er auch mit drei Instrumenten die buntesten, zartesten, differenziertesten, exotischsten Klänge kreieren kann. Leider ist es sein einziges Trio... Unser Mitschnitt stammt von dem Ettlinger Schlosskonzerten des SWR, dort spielte am 1.12.2013 das Oberon Trio.

Dem Krieg musikalisch getrotzt

“Seit vorgestern diese Sturmglocke, diese weinenden Frauen und vor allem der grauenhafte Enthusiasmus der jungen Leute… Sie glauben, ich arbeite nicht mehr? Ich habe nie so viel mit einer verrückteren und heroischeren Wut gearbeitet”, schrieb Maurice Ravel in einem Brief, unmittelbar nach Beginn des ersten Weltkriegs. Ein emotionaler Ausnahmezustand: “Ja, ich arbeite, und mit der Sicherheit und Hellsicht eines Verrückten. Aber währenddessen arbeitet der Trübsinn auch, und plötzlich breche ich über meinen ganzen B-Vorzeichen in Tränen aus!” Das Werk, das Ravel in jenem Sommer in Saint-Jean-de-Luz im Baskenland begonnen hatte, war sein Klaviertrio a-Moll, sein einziges Werk dieser Gattung.

Die Trübsal von "B-Vorzeichen" und die Spuren der Katastrophe sucht man allerdings vergeblich in dieser Musik. Sie wirkt vielmehr "heiter und gelöst, von einem Raffinement, das an ein rätselhaftes Sonett von Stéphane Mallarmé gemahnt”, wie es Theo Hirsbrunner in seiner Ravel-Biographie formuliert.

Ravel zaubert mit Rhythmen und Klängen

Vor allem in seinen Rhythmen beschreitet Ravel Neuland: Im ersten Satz löst er den 8/8-Takt in asymmetrischen Achtelgruppen auf, bündelt die Noten mal zu Dreier-, mal zu Zweiergruppen: mehrdeutig wirken diese Rhythmen, luftig und schwerelos. Im Finale kombiniert Ravel 5/4 und 7/4-Takt (vielleicht eine Reminiszenz an die irregulären Rhythmen seiner baskischen Heimat, wo das Trio entstanden ist), im zweiten Satz schichtet er ungerade Taktarten (in den Streichern) und gerade Taktarten (im Klavier) übereinander. "Pantoum" ist der Titel dieses Satzes, er spielt auf eine Form der Dichtung an, die in Malaysia und Indonesien verbreitet war deren exotischen Reiz viele zeitgenössische Dichter faszinierte. Neben den aparten Harmonien und Klangexperimenten sind es diese unbestimmten Rhythmen, die dem Klaviertrio eine faszinierende Unbestimmtheit verleihen. Den soliden Gegenpol zu dieser hochgradig zerbrechlichen Klangwelt bildet der langsame Satz, eine Passacaglia, die sich an den strengen Formen der Barockzeit orientiert. Und im Finale ballt Ravel die Klänge der drei Instrumente zu solch wuchtigen Kaskaden auf, dass er beinahe orchestrale Wirkungen erreicht.

Schnell noch vor dem Krieg fertigkomponiert

"Ich wollte unbedingt das Trio vollenden, das ich wie ein 'opus posthumum' behandelt habe. Das soll nicht heißen, dass ich besonders viel Genie darin untergebracht hätte, sondern nur, dass mein Manuskript und die dazugehörigen Anmerkungen ordentlich genug sind, dass jeder andere die Fahnenabzüge korrigieren kann", schrieb Ravel am 8. September 1914 in einem Brief. Für ihn stand fest: er würde so bald wie möglich für Frankreich in den Krieg ziehen. Wegen seiner zarten körperlichen Konstitution hatte man ihn für militäruntauglich befunden, er legte indessen Widerspruch ein und setzte durch, dass man ihn als Lastwagenfahrer einsetzte. Die anfängliche Begeisterung sollte schon bald in Ernüchterung umschlagen.

Oberon Trio

Oberon, der Elfenkönig aus Shakespeares Sommernachtstraum, steht für den Zauber der Phantasie und die Lust an Verwandlung und Spiel. Das Oberon Trio möchte bei seinen Konzerten Kreativität und Freude an der Einzigartigkeit des Augenblicks in der Musik erlebbar machen. Stets lebendig und unmittelbar berührend sollen sich dabei die Neugierde und Begeisterung der drei Musiker für Werke aller Epochen und Stilrichtungen auf die Zuhörer übertragen. Im Oberon Trio spielen: Henja Semmler (Violine), Antoaneta Emanuilova (Violoncello) und Jonathan Aner (Klavier). 2006 legten sie den Grundstein für ihre kammermusikalische Zusammenarbeit.

Bald führten Konzertreisen das Trio nach Italien, Israel und Ägypten. Mittlerweile gastiert es z.B. in der Berliner Philharmonie, dem Konzerthaus Wien oder der Hamburger Laeiszhalle. Wertvolle Anregungen erhielten die Musiker in den Kammermusikklassen des Alban Berg Quartetts und des Artemis Quartetts sowie in der Zusammenarbeit mit Komponisten wie Benjamin Yusupov und Jörg Widmann. Gefördert werden sie u.a. durch die Stiftung Villa Musica.

Das Oberon Trio hat es sich zur Aufgabe gemacht, neben den etablierten Meisterwerken der Klaviertrioliteratur auch das unbekanntere Repertoire zur Aufführung zu bringen. Dabei sollen die frühesten Beispiele dieser Besetzung, wie etwa die Klaviertrios von Carl Philipp Emanuel Bach oder die frühen Trios Joseph Haydns, ebenso zur Geltung kommen wie Werke zeitgenössischer Komponisten. Die Mitglieder des Trios bringen hierbei ihre Erfahrung mit Original-Instrumenten und historischer Aufführungspraxis sowie verschiedenen musikalischen Stilrichtungen außerhalb der Klassik ein. Die beiden Streicherinnen spielen in einigen der führenden Orchester und Ensembles Europas – u.a. in Claudio Abbados handverlesenem Lucerne Festival Orchestra und im Gustav Mahler Chamber Orchestra.

Im Kammermusikstudio des SWR hat das Oberon Trio bereits zwei CDs aufgenommen: Werken von Haydn, Schumann und Widmann und jüngst: "Oberon meets Shakespeare" mit Musik von Beethoven, Mendelssohn und der zeitgenössischen Komponistin Charlotte Bray.

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Doris Blaich