James Baillieu mit Kompositionen von Reynaldo Hahn

Elegant und faltenfrei

Stand
AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
James Baillieu (Klavier), Benjamin Baker (Violine), Tim Lowe (Cello), Adam Newman (Viola), Bartosz Woroch (Violine)

CD-Tipp vom 15.6.2018

Sollten Sie das Klavierquartett Nr. 3 G-Dur von Reynaldo Hahn noch nie gehört haben, so würde das nicht allzu sehr wundern. Mir ist momentan tatsächlich keine andere verfügbare Aufnahme eines Klavierquartetts von Reynaldo Hahn bekannt, die man einfach im Handel als CD kaufen könnte, wie diese hier. Klavierquartette hat Reynaldo Hahn dennoch offenbar mehrere geschrieben. Es hat bislang eben nur wenige Musiker gekümmert, aber momentan gibt es ja eine kleine Hahn Renaissance. Immerhin das dritte Hahn Klavierquartett, eines seiner letzten Werke, hat ein umtriebiges Ensemble um den Pianisten James Baillieu jetzt aufgenommen.

Liebling der Salons

Reynaldo Hahn wurde 1874 in Caracas, Venezuela, als Sohn eines Hamburger Kaufmanns und einer venezolanischen Mutter geboren. Aber schon mit 3 Jahren zog er mit der Familie nach Paris. Da entwickelte sich der kleine Reynaldo denn bald auch zum musikalischen Wunderkind. Zum Liebling der Salons wurde der gutaussehende junge Mann dann später, weil er sich bei seinen populären Liedern selbst am Klavier begleitete. Wenn er nicht sang, baumelte beim Spielen eine Zigarette im Mundwinkel. Unwiderstehlich waren also schon die Dandy Allüren. Literat Marcel Proust verliebte sich heftig in den 20 jährigen Reynaldo Hahn. Und hierzulande ist die Affäre von Marcel Proust und Reynaldo Hahn wohl das bekannteste Detail aus dem Leben des als Komponist häufig unterschätzten Mannes. Französisches Parfum atmet Hahns Musik zweifelsohne genug, französische Revolution eher weniger. Es ist gefällige Musik, von der man das Etikett der Salonmusik tatsächlich nie ganz abgerubbelt kriegt. Auch das Klavierquintett fis-Moll von 1921 hat am Jahrhundert der Verwerfungen und Kriegskatastrophen scheinbar nicht einmal geschnuppert, es klingt, als wäre alles wie immer, ein wehmütiger Blick zurück ins 19. Jhd, der Rauch und Trümmer der jüngsten Vergangenheit etwas verständnislos weglächelt.

Instrumental auf feinstem Niveau

Elegant und faltenfrei steuert das tonschön und luftig musizierende Ensemble um den südafrikanischen Pianisten James Baillieu den Finalsatz von Reynaldo Hahns Fis-Moll Klavierquintett durch musikalische Untiefen. Hier rumpelt nichts, und wo alles andere als grob gehobelt wird, fliegen natürlich auch keine größeren Späne. Das passt zur Musik von Reynaldo Hahn, die in der Tat auch kompositorisch knitterfrei daherkommt. Ein Salonlöwe will keine Bedrohung sein. Reynaldo Hahns hier eingespielte Kammermusik ist nett und adrett, aber eben auch nicht unbedingt immer mehr. Das ist also eine geschmackvolle Aufnahme geschmackvoller Musik, instrumental auf feinstem Niveau. Um im häufig zitierten Bild zu bleiben: Dandy Reynaldo Hahn wackelt die Zigarette kaum im Mundwinkel, die Pomade hält, die Fliege sitzt. Das liegt vor allem daran, dass seine Musik hier auch nicht mehr will. Kann man mit Fug und Recht goutieren, kann man aber auf die Dauer auch etwas harmlos finden. Hervorragend gespielt ist es trotzdem.

CD-Tipp vom 15.6.2018 aus der Sendung Treffpunkt Klassik - Neue CDs

Stand
AUTOR/IN
Jörg Lengersdorf
KÜNSTLER/IN
James Baillieu (Klavier), Benjamin Baker (Violine), Tim Lowe (Cello), Adam Newman (Viola), Bartosz Woroch (Violine)