Das Belcea Quartet mit Kompositionen von Dimitri Schostakowitsch

Ungeschönte Wahrheitsliebe

Stand
AUTOR/IN
Susanne Stähr
KÜNSTLER/IN
Piotr Anderszewski lBelcea Quartet

CD-Tipp vom 25.5.2018

Musik mit doppeltem Boden

Dmitri Schostakowitsch war ein Verwandlungskünstler. Bei ihm geschah das Maskenspiel allerdings nicht ganz freiwillig. 1936 geriet er mit seiner Oper "Lady Macbeth von Mzensk" ins Visier des Sowjetsystems: Seine Musik wurde als kakophon und westlich-dekadent gebrandmarkt, sie beleidige die Hörer, musste Schostakowitsch über sich lesen. Und schlimmer noch: Er musste fortan um sein Leben fürchten, denn in der Zeit der Stalinistischen Säuberungen verschwanden über Nacht immer mehr Menschen, die dem Regime gegenüber kritisch eingestellt waren. Sie wurden in Arbeitslager verschleppt, in Schauprozessen verurteilt oder auch gleich hingerichtet. Um diesem Schicksal zu entgehen, sah sich Schostakowitsch gezwungen, einen doppelten Boden in seine Musik einzuziehen: Es gibt eine äußere Schicht, die den offiziellen Erwartungen gerecht werden will, und es gibt einen Subtext, mit dem Schostakowitsch seine wahren Empfindungen ausdrückt. Diese Doppelgestalt findet sich auch in seinem Klavierquintett von 1940, das der polnische Pianist Piotr Anderszewski und das Belcea Quartet aufgenommen haben.

Einer der besten Bach-Pianisten unserer Zeit

Es fängt mit einem Präludium und einer Fuge an und scheint damit zunächst einmal Johann Sebastian Bach nachzueifern. Und deshalb ist es auch nur sinnfällig, dass sich das Belcea Quartet für seine Einspielung des Werks, die bei Alpha Records erschienen ist, einen der besten Bach-Pianisten unserer Zeit an seine Seite geholt hat: nämlich Piotr Anderszewski. Er besitzt den Vorzug, in seinem Musizieren Klarheit, Konzentration und Logik zu vereinen. Dabei agiert er wie ein Schachspieler, der Entwicklungen vorausdenken kann und sich nicht nur auf den nächsten Zug konzentriert, sondern gleich in den ersten Takten das Potential für alles Weitere anlegt. Sein Zugriff hat einerseits Dramatik und Wucht, andererseits kann er dem Klavier aber auch surreale, unheimliche Klänge entlocken – dann klingt es fast wie eine Celesta, die ja bei Schostakowitsch immer ein Symbol des Todes und der Transzendenz ist. Beide Qualitäten sind im dritten Satz gefragt, einem Scherzo, das einen brutalen, zwanghaften Frohsinn anstimmt und sich am Rande des Wahnsinns bewegt.

Bei Schostakowitsch weiß man nie, woran man ist: Hat man es mit Tragik oder Ironie, mit Pathos oder Humor zu tun? Auch im Scherzo seines Klavierquintetts, das Piotr Anderszewski und das Belcea Quartet spielen, kommt diese Doppelbödigkeit zum Ausdruck. Die volkstümlichen Elemente, die der Komponist präsentiert, wirken wie eine Zwangsjacke, die Fröhlichkeit ist verordnet, dem Individuum wird Gewalt angetan. Genau das erzählt der Subtext von Schostakowitschs Musik. Im berüchtigten „Prawda“-Artikel von 1936, mit dem er an den Pranger gestellt wurde, lautete der Schlusssatz: "Das ist ein Spiel mit ernsten Dingen, das übel ausgehen kann." Aber genau diesen Satz, der Schostakowitsch um Leib und Leben fürchten ließ – den könnte man, paradox genug, auch auf seine Musik übertragen.

Nette Harmlosigkeit und schreiende Dissonanz

Denn sie wirkt manchmal so harmlos wie ein Kinderspiel, gewinnt aber im nächsten Moment schon eine Bedrohlichkeit, die einem den Boden unter den Füßen wegzieht. So auch im Dritten Streichquartett, dessen fünf Sätze an die fünf Akte einer antiken Tragödie erinnern. Dabei beginnt es ganz unschuldig, als würde eine Spieluhr zu hören sein. Die beiden hingetupften Schlussakkorde aus dem Kopfsatz von Schostakowitschs Drittem Streichquartett klingen dann nur noch makaber …

Der schöne Schein wird als Schimäre entlarvt, die nette Harmlosigkeit mündet in schreiende Dissonanzen und am Ende in eine unbarmherzige Hetzjagd. Diese Gewaltkulisse steigert sich in den beiden nachfolgenden Sätzen sogar noch stetig, bis am Ende nur noch Trauer bleibt, und die Erkenntnis, dass eine Katastrophe geschehen ist. Das Belcea Quartet spielt diese Musik mit ungeschönter Wahrheitsliebe. Die rumänische Primaria Corina Belcea und ihre drei Kollegen erliegen nie der Versuchung, die eigene Virtuosität um ihrer selbst willen einzusetzen; sie wagen vielmehr schroffe, raue, manchmal gar geräuschhafte Klänge – eine Interpretation, die an die Nieren geht.

CD-Tipp vom 25.5.2018 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt - Neue CDs

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AUTOR/IN
Susanne Stähr
KÜNSTLER/IN
Piotr Anderszewski lBelcea Quartet