Debussys „La Mer“ in drei Videomitschnitten

Empfehlenswerte Produktion

Stand
AUTOR/IN
Jan Ritterstaedt
KÜNSTLER/IN
Claudio Abbado
Lucerne Festival Orchestra
Daniel Barenboim
Chicago Symphony Orchestra
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra

DVD-Tipp vom 12.4.2018

Einführungsfilm mit Werkanalyse

Ein Sonnenaufgang, dann Daniel Barenboim am Pult des Chicago Symphony Orchestra, das Englischhorn in Nahaufnahme, kurz den gestopften Schalltrichter der Trompete und dann deren Noten – solche erzählenden Bilder sieht man im Englisch gesprochenen, mehrsprachig untertitelten Einführungsfilm „Discovering La Mer“ von Angelika Stiehler. Der gut 28-minütige Streifen bietet neben klassischer Werkanalyse auch das eine oder andere Zitat und biografische Hintergründe zu Claude Debussys Tondichtung. Zum Beispiel seine Vorstellung vom Meer als einem Symbol für die Ursprünge des Lebens.

Eugene Ormandy

Derart gewappnet, kann man sich an gleich drei verschiedene Aufnahmen von „La Mer“ heranwagen. Die älteste stammt aus dem Jahr 1977. Eugene Ormandy war bereits 78, als er das Werk vor über 40 Jahren aufgenommen hat. Mit ruhigen Bewegungen und abgeklärtem Gesichtsausdruck sieht man ihn auf dieser DVD dirigieren. Das Philadelphia Orchestra folgt ihm engagiert, aber auch etwas statisch. Deshalb läuft der an sich lebhafte Dialog zwischen Wind und Meer im dritten Satz eher ruhig und gesittet ab.

Daniel Barenboim

Weit mehr Dynamik in mehrerer Hinsicht bietet dagegen Daniel Barenboim am Pult des Chicago Symphony Orchestra. Seine Aufnahme entstand im Jahr 2000 in der Kölner Philharmonie. Barenboim sucht und findet den großen Bogen: Ab der ersten Note knistert seine Deutung von Debussys „La Mer“ vor Spannung. Im Gegensatz zu Eugene Ormandy anno 1977 gestikuliert Barenboim stärker, gibt dem Orchester klare Impulse und fordert entsprechende Reaktionen seiner Musiker. Mit ruhigen Handbewegungen regelt er die Lautstärkegrade seines Orchesters und erzeugt so organische und vielfältige musikalische Wellenbewegungen über die unterschiedlichen Klangfarbenmischungen und verschachtelten Rhythmen der Musik hinweg.

Claudio Abbado

Der guten Dinge sind bekanntlich drei: Und so folgt auf Barenboim noch eine Einspielung mit Claudio Abbado am Pult des Lucerne Festival Orchestra aus dem Jahr 2003. Abbado ist ganz in seinem Element: nahtlos im Fluss, aber auch klanglich klar konturiert lässt er sein Lucerne Festival Orchestra immer wieder zu kleinen Tänzchen und manchmal sogar theatralischen Gesten aufspielen. In puncto Leidenschaft hat er sicher die Nase vorne, während im Hinblick auf flexible Tempi, feinsinnig modellierte Gesten und weit geschwungene Bögen vielleicht eher Daniel Barenboim punkten kann. Eugene Ormandys ältere Interpretation dagegen wirkt im direkten Vergleich etwas blass und allzu einseitig auf die Klangeffekte von Debussys Musik ausgerichtet.

Sehr informatives Portrait über Debussy

Leider erfährt man im recht schmalen Booklet nichts darüber, warum gerade diese drei Aufnahmen von Debussys „La Mer“ für diese Doppel-DVD ausgewählt wurden. Sehr informativ ist dagegen der fast 60-minütige Film von Georges Gachot, der sich mit dem Leben und Schaffen des Komponisten beschäftigt. Mit Zitaten aus Briefen Debussys und Berichten von Zeitzeugen hat Gachot einen reich bebilderten Dokumentarfilm über den Komponisten zusammengestellt. Neben vielen Fotos enthält er auch originales Filmmaterial aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und Ausschnitte aus verschiedenen Musikaufnahmen. Abgesehen von dem aufschlussreichen Interpretationsvergleich von „La Mer“ bietet dieses Paket aus zwei DVDs also auch eine sehenswerte filmische Annäherung an den Komponisten, Pianisten und den Menschen Debussy. Und als Zugabe gibt es noch „Children‘s Corner“ mit dem Pianisten Zoltán Kocsis zu erleben. Ein gelungener und hochkarätiger musikalischer Abschluss dieser empfehlenswerten Produktion.

DVD-Tipp vom 12.4.2018 aus der Sendung „SWR2 Cluster“

Stand
AUTOR/IN
Jan Ritterstaedt
KÜNSTLER/IN
Claudio Abbado
Lucerne Festival Orchestra
Daniel Barenboim
Chicago Symphony Orchestra
Eugene Ormandy
Philadelphia Orchestra