Black Pencil spielt Werke aus Renaissance und Gegenwart

Eine Entdeckung

Stand
AUTOR/IN
Burkhard Egdorf

CD-Tipp vom 10.4.2018

Poetisch, meditativ, virtuos, gelegentlich auch verstörend

Um es vorwegzunehmen: Die Musik dieser CD kann ich Ihnen wirklich empfehlen. Sie ist poetisch, meditativ, virtuos und gelegentlich auch verstörend. Schon beim Anblick des Covers hätte ich mir denken können, das wird spannend, doch wie spannend, das hatte ich unterschätzt! Auf schwarzem Grund gruppieren sich fünf Musiker in streng gemessenem, gleichem Abstand um ein Musikinstrument: ein lichtbeschienenes Becken aus Bronze. Ernst blickende Gesichter. Bis zum nackten Schulteransatz sind diese Menschen zu sehen. In bordeauxroten, sehr feinen Großbuchstaben steht der Name des Ensembles darüber und der CD-Titel darunter: Black Pencil – La Volta.

Ungewohnt samtiger Klangeindruck

John Dowlands Lautenlied „Come again“ ist ein „Hit“ des Elisabethanischen Zeitalters. Instrumental eingerichtet und arrangiert, ist diese Komposition in unzähligen Aufnahmen verfügbar. In der Mischung von Flöte und Panflöte mit Bratsche und Akkordeon entsteht bei „La Volta“ allerdings ein ungewohnt samtiger Klangeindruck. Das freundliche Entree des Quartetts erweitert sich im nächsten Stück, einer Galliarde von Dowland, um ein Glockenspiel bzw. Vibraphon. Im dritten Track dieser immer aufregender werdenden CD von Black Pencil ist ein ebenfalls recht bekanntes Stück – Joyne Hands – von Thomas Morley zu hören, in einer von Black Pencil pointierten Interpretation; sie geht über stilistische Arrangements hinaus, und so folgt dann logisch Neue Musik: „From Far … Broken“ von Klaas de Vries, vom niederländischen Ensemble extra für diese CD in Auftrag gegeben: ein Blick zurück auf die Renaissance bzw. stilistische Bruchstücke der Alten Zeit in der Gegenwart.

Allusionen und Zitate der Renaissance-Zeit

Die Ohren sind beim Anhören der CD längst offen geworden für diese subtilen oder auch offenen Klänge, für diese Musik mit Allusionen und Zitaten der Renaissance-Zeit. Danach geht es dann übrigens wieder zurück zu John Dowland. Die Lachrymae Pavane von 1596 wurde jedoch arrangiert und kompositorisch teils neu übermalt von Roderik de Man.

Hervorragende Künstler

Die Gruppe Black Pencil gründete sich 2010 anlässlich eines Kulturen überschreitenden Festivals in Istanbul. Die Stadt am Bosporus war damals europäische Kulturhauptstadt. „Black Pencil“ ist eine recht bunt gemischte Truppe hervorragender Künstler aus unterschiedlichen Gegenden der Welt. Für das erstaunlich besetzte Ensemble haben inzwischen 70 Komponisten geschrieben. Leiter ist der ecuadorianische Blockflötist Jorge Isaac. Er musiziert zusammen mit dem Niederländer Matthijs Koene, Panflöte, der türkischen Bratscherin Esra Pehlivanli, dem österreichischen Akkordeonisten Marko Kassl und dem spanischen Percussionisten Enric Monfort. Das heterogene Ensemble steht durchaus in der Tradition der elisabethanischen Consort-Music, spezieller des sogenannten „broken consort“, bei dem sich, im Gegensatz zum „whole consort“, Instrumente unterschiedlicher Familien zusammenfinden, etwa Saiteninstrumente und Blasinstrumente.

Als Zeitkunst erfahrbare Musik

Aus der Provence des 16. Jahrhunderts stammt einer jener Vorläufer des Walzers, dessen lebhafter Charakter im 17. Jahrhundert halb Europa entzückte: „La Volta“. „La Volta“ heißen auch zwei der Stücke, die auf der CD „La Volta“ zu entdecken sind. Die eine Komposition stammt von Roderik de Man (Jahrgang 1941), die andere von Thomas Morley (geboren 1557 oder 58), arrangiert vom zuvor genannten Komponisten. – Oene van Geel, Jahrgang 1973, kombiniert Renaissance-Musik mit indigener Musik. Mit drei Stücken des Titels „Bayachrimae“ ist er vertreten. – „Sorry“ heißt das Stück des 1961 in Illinois geborenen David Dramm, das ungefähr in der Mitte dieser Neuerscheinung zu finden ist – eine Musik, die Zeit hat, Zeit bewusst werden lässt, die Musik als Zeitkunst erfahrbar macht. – Die CD „La Volta“ der Gruppe „Black Pencil“ ist eine Entdeckung, zumal sie Musik enthält, die sich hier neu entdecken lässt.

CD-Tipp vom 10.4.2018 aus der Sendung „SWR2 Cluster“

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Burkhard Egdorf