José van Dam singt französische Chansons

Vereinzelt schöne Momente

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AUTOR/IN
Katharina Eickhoff

CD-Tipp vom 13.4.2018

Der große alte Mann des Bassbaritonfachs

Pünktlich zum Frühling erscheint eine CD mit Titel „Chansons d’Automnes“ – wobei man nicht sagen kann, dass es bei der Auswahl der Stücke gar so herbstlich-melancholisch zugegangen wäre. Das mit dem Herbst bezieht sich ja womöglich vor allem auf die Lebensphase des Protagonisten, denn José van Dam, der große alte Mann des Bassbaritonfachs, geht jetzt immerhin stramm auf die 80 zu, und ja, das hört man, im guten wie im schlechten Sinne – etwa bei „La Bohème“, einem der Signaturstücke von Charles Aznavour. Ich muss in diesem Fall, im Fall von José van Dam, zugeben, dass ich ein bisschen befangen bin – dieser elegante Belgier ist immer einer meiner Lieblingssänger gewesen.

Wunderbar minimalistische Arrangements

Mit seiner im Vergleich zu den russischen Kollegen eher verhaltenen Art der Dramatik und seiner nicht großen, aber perfekt zentrierten Stimme hat van Dam es länger als die meisten Kollegen mit Würde auf der Bühne ausgehalten: Van Dam war großartig bei Verdi und Puccini, Messiaen, Gluck oder Mussorgsky, ein fabelhafter Mephisto bei Berlioz und Gounod, ein grandioser Figaro bei Mozart, und sein Leporello ist ja zum Glück in Joseph Loseys kongenialer „Don Giovanni“-Verfilmung verewigt – van Dam macht da aus dem sonst eher dumpftapsigen Ausputzer Leporello die gefährlichste Figur der ganzen Oper, das war großes Kino! Und nun bringt dieser van Dam also eine Platte mit Chansons raus, die in wunderbar minimalistischen Arrangements daherkommen, nur mit Klavier und Kontrabass begleitet, und deren Auswahl allen Chanson-Liebhabern das Herz aufgehen lassen muss: Sachen von Aznavour, Trenet oder Brassens, Brels „Plat Pays“ und Gainsbourgs „Javanaise“ und natürlich Kosmas „Les Feuilles Mortes“. Lieder aus dem Herzland des französischen Chansons.

Immer mal wieder haarscharf daneben

Und da beginnt für mich der Zwiespalt – ein Loyalitätsproblem, wenn man so will: Ich möchte gern alles wunderbar finden, was José van Dam, dieser ewig neugierige, kluge Lieblingssänger in seinem Leben noch veröffentlicht, und allein schon, wie er da auf dem Coverbild der CD sitzt, ist er irgendwie großartig: der alte Herr auf der Bank am Bahnsteig, mit schlabbrigem Jackett und ausgebleichter Cordhose, ganz würdevolles Understatement. Aber ich liebe und kenne eben auch diese alten Chansons, und da, das muss man leider konstatieren, liegt van Dam immer mal wieder haarscharf daneben ... Was er auf der Opernbühne nie getan hat, nämlich: opernhaft überzeichnen, das unterläuft ihm jetzt hier, wo es nun wirklich so gar nicht ins Bild passt ...

Anrührend altersweise

Man muss zum Beispiel „Et maintenant“ nicht zwingend genau wie Gilbert Becaud singen, aber so wie Jose van Dam es macht, sollte man es womöglich lieber lassen. Davon abgesehen, dass er den Charakter des Stücks irgendwie nicht erfasst und vor allem grantig klingt, ist es eben einfach so, dass die Stimme jetzt, mit knapp 80, nicht mehr so ganz mitzieht – was ja normal ist, aber dann muss man doch nicht noch extra Gas geben, das man nicht mehr hat. Natürlich klingt van Dam für einen Sänger seines Alters immer noch ganz erstaunlich. Und manchmal gerade wegen dieses Alters auch ziemlich anrührend, dann nämlich, wenn seine vermutlich hart erarbeitete Lebensweisheit mitschwingt, wie etwa in Jean Ferrats „Mon Vieux“. So anrührend altersweise von Dam manche Stellen geraten sind: Es bröckelt doch immer wieder hörbar bei José van Dam in diesen Chansons. Auch mit der Intonation stimmt es oft nicht mehr so ganz, und dem tritt er, der als Opernsänger früher niemals forciert hat, dann mit zusätzlichem Druck entgegen. Was die Sache natürlich nicht besser macht. Zumal es in diesen Liedern ja nicht um mehr oder weniger prachtvolle Töne, sondern vor allem um die Worte geht: Ein Chanson, das ist gesungene Poesie – wenn man sich die großen Chansonniers von vor 50 Jahren anhört, ist es ja gerade das, was sie so unwiderstehlich macht: der direkte Draht zur Sprache.

Entspannte musikalische Chemie

Die Mühelosigkeit, mit der ein Jacques Brel seine Stimme von schneidender Ironie zu streichelnder Zärtlichkeit wechseln lässt, die nur scheinbar unbeteiligte Knitzheit eines Brassens, das charmante Trällern eines Charles Trenet – das alles liegt José van Dam eigentlich nicht so sehr, und sowieso ist seine Stimme nicht mehr flexibel genug dafür. Er und seine zwei Begleiter sind übrigens Wiederholungstäter: Vor drei Jahren haben sie eine wirklich sehr schöne Platte mit argentinischen Tango-Liedern von Gardel, Piazzolla und Co herausgebracht, was mich damals ins Schwärmen brachte, nicht zuletzt wegen der beiden Instrumentalisten: Jean-Louis Rassinfosse, einst mit Chet Baker unterwegs, ist ein echter Poet am Bass, ein Erzähler der gezupften Saiten, und der um ein halbes Leben jüngere Jean-Philippe Collard-Neven, von dem die minimalistischen Arrangements stammen, ist am Klavier eine Art Wiedergänger von Michel Legrand. Zwischen den beiden und José van Dam wirkt eine hörbar entspannte musikalische Chemie, sie sind sozusagen das Trio der ausgebeulten Cordhosen, und vereinzelt gelingen da ein paar schöne Momente, wobei die zwei Jazzer eindeutig zu selten solistisch vorkommen – ein paar Alleingänge mehr von den beiden hätten der Platte gutgetan, Alleingänge wie etwa Serge Gainsbourgs „La Javanaise“, in der Fassung für Klavier und Kontrabass. Lean-Louis Rassinfosse mit seinem Kontrabass und Jean-Philippe Collard-Neven am Klavier sind auf jeden Fall hörenswert, die Auswahl der Stücke lässt jedes Chansonliebhaber-Herz hüpfen, nur José van Dam, der große alte Mann der Oper, erwischt nicht immer den richtigen Ton und manchmal auch nicht mehr die Töne.

CD-Tipp vom 13.4.2018 aus der Sendung „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“

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AUTOR/IN
Katharina Eickhoff