Wasserbetriebene Klangerzeugung von der Antike bis zur Gegenwart

Staunenswerte Publikation

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AUTOR/IN
Susanne Kaufmann

Buchkritik vom 4.4.2017

Es gibt Themen, die einen Autor anfangs zweifeln lassen, ob sie wirklich groß genug für eine umfangreiche Untersuchung sind. So ging es dem Kunsthistoriker Alexander Ditsche, als er begann, sich mit der Gattung der wasserbetriebenen Klangautomaten zu befassen. Spätestens ab dem 17. Jahrhundert zählten sie zu den beliebten Repräsentationsobjekten an Europas Höfen. Die sogenannten „Musikmaschinen“ waren teuer in der Anschaffung und in der Wartung – so etwas konnte sich nicht jeder leisten! –, und wie sie funktionierten, grenzte nahezu an Magie. Aber nur wenige große Erfindungen der Menschheitsgeschichte sind in einem ähnlichen Maße vergessen worden. Doch nun hat der Deutsche Kunstbuchverlag ein umfangreiches Buch zu den Musik- und Geräuschautomaten herausgebracht – nicht nur mit Text, sondern auch mit einer eingelegten CD, auf der die Wasserspiele erklingen.

Der Fama-Brunnen in Sevilla steht in den Gärten des mittelalterlichen Königspalastes Alcázar und zählt zu den wenigen Klangautomaten, die heute noch betrieben werden. Sechs dieser Musik- und Geräuschautomaten hat Alexander Ditsche in europäischen Gärten noch gefunden. In Sevilla treibt die Wasserkraft unter anderem eine Orgel an – eine Wasserorgel. Auch sie zählt zu jenen Musikinstrumenten, die durch einen mechanischen Antrieb zum Klingen gebracht werden. Der Fachbegriff hierfür heißt Automatophon.

Zu den klingenden Musikautomaten zählt auch der „Favoritin-Brunnen“ in St. Petersburg, den die russische Zarin Katharina I. in Auftrag gab. Innerhalb des Brunnens bewegen sich fünf Figuren – vier Enten und eine Hündin – und mit Hilfe von wasserbetriebenen Bälgen und verschiedenen Pfeifen werden in einer Kammer unterhalb des Brunnens die Geräusche dieser Szene imitiert: das Quaken der Enten und das Bellen der Hündin, die sie jagt.

Der Bonner Autor Alexander Ditsche stellt in seiner kunsthistorischen Dissertation alle wasserbetriebenen Musikautomaten vor, deren Existenz gesichert ist. Es gab auch welche im deutschen Südwesten, sie entwarf der französische Physiker und Ingenieur Salomon de Caus. Er gilt als einer der Erfinder der Dampfmaschine. In Heidelberg erweiterte er den Lustgarten des Kurfürstlichen Schlosses und plante 1620 eine große Gartenanlage hoch über dem Neckar, in die er auch Grotten mit Wasserspielen integrierte.

Auch am Bau der Grotte für den Lustgarten in Stuttgart war de Caus beteiligt. Darin standen nach einem Bericht von 1616 eine Wasserorgel sowie Figuren, die musizierten und Wasser spritzten. Doch kein Ton ohne Wasser, darum wurden im Obergeschoss der Stuttgarter Grotte zehn steinerne Wasserbehälter installiert. Jeder Einzelne fasste über 3.000 Liter, so dass die Musikmaschinen auch längere Zeit laufen konnten. Das Wasser hoch zu pumpen, war eine Meisterleistung der beteiligten Künstler. Sie waren Generalisten wie Leonardo da Vinci. Salomon de Caus erläutert in seinem Buch „Von Gewaltsamen Bewegungen“ genau, wie man ein Musikstück auf eine Stiftwalze überträgt. Er wählte für seine Wasserorgeln auch einige Werke des Organisten Peter Philips, der um 1600 lebte. Die Männer kannten sich, weil beide am Hof des Erzherzogs in Brüssel tätig waren.

Alexander Ditsche hat für seine Untersuchung Unmengen an Quellenmaterial gewälzt, angefangen mit den Texten antiker Autoren, die die ersten wasserbetriebenen Automaten schildern. Bereits im 18. Jahrhundert gerieten die „Klingenden Wasser“ aber in Vergessenheit, vor allem weil die Adelshäuser vermehrt auf aufwändige Fontänen setzten, um ihre Macht und ihren Reichtum auszudrücken. Bei den Musikmaschinen, die nicht mehr gewartet wurden, streikte bald schon die Mechanik. Darum wurden viele auch einfach abgerissen.

Das eindrucksvollste Beispiel, das sich heute noch in voller Pracht bewundern lässt, steht in Salzburg. Es ist das Mechanische Theater im Garten von Schloss Hellbrunn mit beweglichen Figuren und einer Wasserorgel, für die der Salzburger Dom- und Hoforganist Johann Ernst Eberlin um 1752 Unterhaltungsmusik des Rokoko komponierte, und die Alexander Ditsche selber an der Orgel eingespielt hat – für eine CD, die Teil seines Buches ist. „Klingende Wasser“ ist eine staunenswerte Publikation, reich an Details, mit einem hohen wissenschaftlichen Standard und beigefügtem Notenmaterial. Eine herausragende Dissertation, die Ende letzten Jahres mit dem Kölner Lempertz-Preis gewürdigt wurde. Der Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort hat den Druck des großen Bandes unterstützt.

Buchkritik vom 4.4.2017 aus der Sendung „SWR2 Cluster“

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Susanne Kaufmann