Über die Interpretation von Klaviermusik

Etwas trocken und akademisch

Stand
AUTOR/IN
Christoph Vratz

Buchkritik vom 19.7.2017

Zwischen Zwang auf der einen und Willkür auf der anderen Seite ist es oft nur ein schmaler Grat, auch in der Musik:

Mit dieser adäquaten Wiedergabe meint Walter Fleischmann die Notwendigkeit, Musik lebendig werden zu lassen, sie als ein Spektrum breitester Ausdrucksmöglichkeiten aufzufassen. Dafür hat er sein neues Buch mit dem Titel „Aus Klavierspiel wird Musik“ in fünf zentrale Bereiche eingeteilt: Dynamik, Artikulation, Agogik, Pedal und Notation.

Im ersten grundlegenden Abschnitt beleuchtet Fleischmann die Bedeutung der Dynamik für den musikalischen Vortrag, angefangen von der Strukturierung eines einzelnen Taktes bis hin zur dramaturgisch lebendigen Gestaltung ganzer Phrasen. Zum langsamen Satz der e-Moll-Sonate von Joseph Haydn etwa, den man praktischerweise, wie die anderen Musikbeispiele, über einen angegebenen Link im Internet nachhören kann, schreibt Fleischmann:

Im Kapitel Artikulation steht die Verbindung oder Trennung einzelner Töne im Zentrum. Auch hier formuliert Fleischmann anschaulich und auch für Laien verständlich.

Mehr solcher vergleichender Beispiele wären wünschenswert, denn gerade die Markierung von Unterschieden hilft, um sich das Gemeinte besser einprägen zu können. Walter Fleischmann wahrt stets den Charakter einer Einführung, der sich oft in Verallgemeinerungen wie diesen zeigt:

Inwieweit solche Ausführungen dem Leser konkrete Hilfestellung bieten, soll an dieser Stelle offenbleiben. Gerade in einem Kapitel wie dem über das Pedal, das sich auf nur dreieinhalb Seiten erstreckt, hätte man detailliertere und substanziellere Hinweise erwarten können, nicht nur zu einem so prominenten Streitfall wie der sogenannten „Mondschein“-Sonate Beethovens, sondern auch zu Komponisten wie Claude Debussy, deren Werke, impressionistisch verklärt, leicht Gefahr laufen, im Pedal-Nebel ertränkt zu werden. Auch wären für den Leser sicher noch weitere Kapitel von Interesse gewesen, etwa zum orchestralen Charakter in der Klaviermusik: Wie bringe ich den bestimmten Charakter eines Orchesterinstruments am Klavier nachahmend zur Geltung?

So plastisch und an Beispielen reich diese Einführung auch ist, sie zeigt zugleich die grundsätzliche Problematik eines solchen Buches. Gerade im heutigen multimedialen Zeitalter ist das eine oder andere frei zugängliche Internet-Video von Meisterkursen und ähnlichen Angeboten möglicherweise intensiver, anregender und unmittelbarer. So gründlich und fundiert Walter Fleischmann einige Tücken und Herausforderungen der Klavierliteratur aufzeigt, so bleibt dieses Buch unter dem Strich doch etwas trocken und akademisch.

Buchkritik vom 19.7.2017 aus der Sendung „SWR2 Cluster“

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AUTOR/IN
Christoph Vratz