Album-Tipp

Alexander Melnikov: Fantasie – Seven Composers Seven Keyboards

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AUTOR/IN
Eleonore Büning

„Fantasie“ heißt das neue Album des Pianisten Alexander Melnikov. Der Titel bezieht sich auf Maßstab und Modell seines Recitals: Die „Chromatische Fantasie und Fuge“, d-moll BWV 903 von Johann Sebastian Bach. Sie steht an erster Stelle des Programms, alle folgenden Werke – von Carl Philipp Emanuel Bach über Mozart, Mendelssohn, Chopin, Busoni bis zu Alfred Schnittke – berufen sich direkt oder indirekt darauf.

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Klaviere sammeln als Hobby

Alexander Melnikov, der Philosoph unter den angesagten russischen Pianisten, hat einen Spleen. Er gibt gerne Nachhilfe-Unterricht in „epocheübergreifendem Originalklang“. Er spielt also jedes Klavierstück auf dem perfekt dazu passenden Instrument.

Melnikovs erstes Album dieser Art hieß „Vier Stücke – vier Klaviere“, die Reise ging von Schubert über Liszt bis Strawinsky. Jetzt kam die Fortsetzung heraus, diesmal heißt das Album: „Seven Composers, Seven Keyboards“. Drei dieser historischen Klaviere gehören zu Melnikovs Privatsammlung, die anderen vier hat er sich dazu ausgeliehen.

Alexander Melnikov über seine Klaviersammlung (in englischer Sprache)

Original-Bach statt Transkription

Das Album beginnt mit der Chromatischen Fantasie und Fuge von Johann Sebastian Bach (BWV 903) auf einem zweimanualigen Ruckers-Cembalo von 1720. Sie ist ein Long- und Bestseller, was die Verwendung eines so prächtig rauschenden, farbsprühenden Cembalos anbelangt. Und es gibt mehrere Dutzend satifaktionsfähige Vergleichsaufnahmen.

Aber Bach wird heutzutage auch auf Steinway gespielt, auf der Orgel, auf dem Akkordeon oder in Transkriptionen z.B. für Bratsche und Klavier. So etwas kann einem schon die Ohren vernageln.

Freiheit der Fantasie

Von „Zeitmaschinen“ dagegen spricht Alexander Melnikov in Bezug auf seine Sammlung von historischen Tasteninstumenten. Und er hat dabei – neben dem Klangzauber alter Klaviere – noch etwas ganz anderes im Sinn. Bach, sagt Melnikov, sei für alle Komponisten, bis heute, ein „Bezugspunkt“ in puncto Freiheit der Harmonik.

Deshalb hat er für sein neues Album lauter freie „Fantasien“ eingespielt, sie sind sämtlich inspiriert von Bach, stehen meist in Moll und agieren, wie die „Chromatische Fantasie“, an der Grenze zur Improvisation. Für die fis-Moll-Fantasie vom Bach-Sohn, Carl Philipp Emanuel, ein spätes, stachliges Werk, tauscht Melnikov das Cembalo aus gegen einen empfindsamen Tangentenflügel.

Wiener Flügel statt Schnitzel

Mozarts Fantasia d-Moll spielt Melnikov auf der Kopie eines glockengesanglich klaren Wiener Hammerflügels von Anton Walter, Jahrgang 1795.

Für die fis-Moll Fantasie op. 28 von Felix Mendelssohn-Bartholdy verwendet er den klanglich muskulösen, bereits in den Konzertsaal vorausweisenden Graff-Hammerflügel, den er schon für seine Aufnahme der Beethoventrios verwendet hat.

Zukunftsweisende Musik

Ein Herzstück des Albums ist Chopins späte f-Moll Fantasia op. 49, gespielt auf einem schimmernden Erardflügel. Der wurde zwar erst drei Jahrzehnte nach Chopins Tod gebaut, doch der sich in Improvisationen auflösende Trauermarsch ist seiner Zeit weit voraus.              

Ein weiteres Highlight ist die „Fantasia in modo antico“, die Ferruccio Busoni kurz vor dem Fin de Siécle schrieb, in Gedenken an Bach, von Melnikov gespielt auf einem Bechstein der Jahrhundertwende.

Album, das einen staunen lässt

Alexander Melnikov ist alles andere als ein Dogmatiker. Unter seinen Händen blüht und glüht jede Komposition charakteristisch auf. Ausgeschlossen, dass aus dieser Abenteuer-Tour quer durchs Jahrhundert des Klaviers auch nur für den Schatten einer Sekunde eine fußlahme Volkshochschul-Lektion werden könnte. Es ist des Staunens kein Ende!

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Eleonore Büning