Nachruf

Zum Tod von Saxofonist Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky – „Dienstältester ostdeutsche Jazzmusiker“

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AUTOR/IN
Bert Noglik

Der Saxophonist Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky ist im Alter von 89 Jahren in Berlin gestorben. Er galt als einer der bedeutendsten deutschen Musiker des modernen Jazz. Nach dem Mauerfall machte der Mecklenburger auch in Europa und den USA Karriere.

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„Dienstältester der ostdeutschen Jazzmusiker“

Ernst-Ludwig Petrowsky war so etwas wie die Vaterfigur des freien Jazz im Osten Deutschlands, eine Institution, eine moralische Instanz und ein unbeugsamer Charakter. Über einen Zeitraum von sechs Jahrzehnten gelang es dem Saxofonisten und Klarinettisten jazzmusikalische Entwicklungen mitzugestalten und voranzutreiben.

Auf seiner Visitenkarte stand „Musiker und Mecklenburger“, im Personalausweis „geboren am 10. Dezember 1933 in Güstrow“. Dort, in tiefsten DDR-Zeiten, begann sein lebenslanges Abenteuer mit dem Jazz. Nicht ohne Stolz bezeichnete sich Ernst-Ludwig Petrowsky als Dienstältesten unter den ostdeutschen Jazzmusikern.

Leben ohne Bequemlichkeit

Petrowsky war Vorprescher, Individualist und zugleich ein Musiker mit Kollektivgeist, der den anderen immer um eine Viertelnote voraus war. Bequemlichkeit war in seinem Lebensentwurf nicht vorgesehen. „Ich habe nur immer das Ziel gesehen, und ich habe es mir wirklich schwer gemacht. Damals habe ich gedacht, das muss so sein.“

Jazz als Aufbruch in die Freiheit

Bereits Ende der 50er-Jahre hatte sich der Saxofonist für die unsichere Existenz eines Jazzmusikers entschieden, in einer Zeit, in der die SED-Funktionäre den Jazz als ideologisches Gift des Imperialismus verteufelten und nur wenige diese Musik hören wollten. Für Ernst-Ludwig Petrowsky, den seine Freunde, Fans und Kollegen „Luten“ nannten, bedeutete die Hinwendung zum Jazz von Anfang an Aufbruch in die Freiheit, Ausbruch aus der Enge der Verhältnisse.

„Wir haben so eine Begeisterung für den Jazz dort geführt, die auch die Jazzmusik, die in dieser Zeit auch eigentlich mehr als eine Musik war, das war eine Lebensform.“

„Zentralquartett“ war Initialzündung für den Free Jazz in der DDR

Anfang der 70er-Jahre begann sich der Jazz in der DDR radikal umzuwandeln. Ernst-Ludwig Petrowsky brachte die Erfahrung mit der modernen Jazztradition ein und fand im Verein mit Jüngeren, die vom Rock und vom Jazzrock kam, zu freien Improvisationen von eruptiver Kraft.

Gemeinsam mit dem Posaunisten Conny Bauer, den Pianisten Ulrich Gumpert und dem Schlagzeuger Günter Baby Sommer entstand eine Band, die für den Free Jazz in der DDR wie eine Initialzündung wirkte. Die „Viererbande“, die sich zunächst Synopsis und später in ironischer Anspielung auf das Zentralkomitee „Zentralquartett“ nannte, fand zu einer eigenen Musiksprache, die im Prozess des Spiels wie von selbst entstand.

„Bis sich das dann auf eine ganz merkwürdige, aber auch wunderbar geheimnisvolle Art zu einem Teamfeeling niedergeschlagen hat, einen Groove, auf dem wir uns heute blind verlassen können. Ein Leib und eine Seele.“

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Ohne Schubladendenken

Ernst-Ludwig Petrowsky hatte in den unterschiedlichsten Formaten und Stilistiken gearbeitet, vom Duo über das „Ensemble Studio 4“ und die „Berliner Rundfunk Band“ bis zur „George Gruntz Concert Jazz Band“ und dem „Globe Unity Orchestra“. Mit einem untrüglichen Sinn für Authentizität ließ der Freigeist auf Saxophon und Klarinetten und Flöten jegliche Art von Schubladendenken hinter sich.

Musikalische und privat an der Seite von Uschi Brüning

Über Jahrzehnte unzertrennlich war Ernst-Ludwig Petrowsky mit der Sängerin Uschi Brüning verbunden. Aus unterschiedlichen musikalischen Szenen kommend, haben Sie auch auf der Bühne zusammengefunden und etwas von ihrer Privatheit öffentlich gemacht in turbulenten Performances und mit musikalischen Liebesbriefen.

Zentrale Jazz-Figur seit den 50er Jahren

Mit Ernst-Ludwig Petrowsky hat ein Musiker die Szene verlassen, den man im deutschen Jazz seit den 50er Jahren als zentral bezeichnen darf. Ob er denn dieses Musikerleben noch einmal auf sich nehmen würde, wenn er wüsste, was da alles an Schwierigkeiten und Hindernissen auf ihn zukommt?

„Das hätte ich trotzdem, würde ich bei der nächsten Gelegenheit auch wieder so machen. Das ist ganz klar“ erklärte er ganz entschieden.

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