Buchkritik

Birgit E. Orths – Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes

Stand
Autor/in
Beate Krol

Jährlich werden in Deutschland mehrere Milliarden Euro Steuergeld hinterzogen. Seit vielen Jahren jagt die Steuerfahnderin Birgit Orths die größten Betrüger. Ihr Buch liest sich phasenweise wie ein Thriller und erklärt, was sich dringend ändern muss, um Steuerhinterziehung besser zu bekämpfen.

Tag für Tag verschwinden Steuergelder, um bei Kriminellen zu landen. In der Öffentlichkeit ist dieser fortlaufende Milliardenbetrug nur wenig bekannt. Weil die Steuerfahndung keine Pressestelle hat und zudem das Steuergeheimnis gilt, kommt das Thema kaum in den Nachrichten vor. Ab und zu mal eine Großrazzia, das ist es dann aber auch.

Die Düsseldorfer Steuerfahnderin Birgit Orths, die seit zwanzig Jahren Steuerbetrüger verfolgt, leidet unter diesem Informationsdefizit schon seit langem. Immer wieder überlegte sie, einen Krimi zu schreiben. Nun ist es ein Insiderbericht geworden: „Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes. Wie Kriminelle und Fehler im System uns Milliarden kosten“.

Birgit Orths ist mit diesem Buch ein echter Coup gelungen. Sie hat das sperrige Thema Umsatzsteuerbetrug in einen packenden Pageturner verwandelt, den man nur ungern aus der Hand legt. Auch Menschen, die mit Wirtschaftsthemen eher fremdeln, können das Buch daher wunderbar lesen. Und sie sollten es auch. Denn es geht um unsere Steuergelder. Und die Frage, warum man sie nicht besser vor der Organisierten Kriminalität schützt.

Man kann sagen, dass ich auf diesen Augenblick viele Jahre gewartet habe, oder besser: Ich habe dafür all diese Jahre gearbeitet. Ich bin die Ermittlerin in diesem Verfahren. Gemeinsam mit meiner Chefin, mit der zuständigen Staatsanwältin und zum Schluss auch mithilfe des Bundeskriminalamts haben wir einen Intensivtäter der Wirtschaftskriminalität geschnappt.

Das Buch funktioniert für das breite Laien-Publikum so gut, weil Birgit Orths drei starke Erzählfäden eingezogen hat. Im Erzählstrang Nummer Eins schildert sie eine fast sieben Jahre währende, nervenaufreibende Verfolgungsjagd, die sie geleitet hat. Es geht um eine Kette von Scheinfirmen, die vortäuschen mit Handys zu handeln.

Die Steuerfahnderin durchschaut das Umsatzsteuerkarussell zwar ziemlich früh, doch sie muss den Millionenbetrug gerichtsfest beweisen. Wie ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen das gelingt, ist außerordentlich spannend zu lesen. Man erlebt mit, wie Birgit Orths eine Durchsuchung an 50 Orten gleichzeitig organisiert und vom improvisierten Lagezentrum aus steuert. Man sieht sie beim Lesen von endlosen Chat-Protokollen und Geschäftsunterlagen und sitzt mit ihr neben der Staatsanwältin, als diese eine Kronzeugenregelung verhandelt. Es sind die Mühen der Ebene – aber jeder Schritt ist wichtig und ein Fehler kann alles zu Fall bringen.

Im Erzählstrang Nummer zwei schildert Birgit Orths ihre emotionalen Aufs und Abs im Lauf der Ermittlung. Hier erinnert das Buch ein wenig an einen Entwicklungsroman. Die gelernte Finanzbeamtin und Steuerfahnderin wird zur Kriminalistin. Sie lernt Polizeitechniken und -taktiken kennen und behauptet sich in schwierigen beruflichen Situationen gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und Bürokraten. Wobei letztere mit den Tätern manchmal unter einer Decke zu stecken scheinen. Zum Beispiel als es darum geht, Reparaturkosten für ihr Auto zu übernehmen, auf das nachts ein Brandanschlag verübt worden war.

Für die Beschreibung der Reaktion der Oberfinanzdirektion fehlen selbst mir die Adjektive. Der Schaden würde nicht erstattet, da er nicht während der Dienstzeit entstanden sei, wird dort entschieden.

Unfassbare Szenen wie diese und Belege für politisches Versagen bilden den dritten Erzählfaden des Buchs. Birgit Orths verknüpft die drei Ebenen sehr gekonnt. Schreiben ist ihr Hobby. Weder kippt das Buch in die reine Anklage, noch wird es zur Nabelschau oder zur True Crime-Story. Im Gegenteil: Braucht man ein bisschen Pause vom Umsatzsteuerfall, kommt verlässlich etwas Zwischenmenschliches. Fühlt es sich gerade wohlig nach einem Krimi an, holt sie einen mit gut begründeter Kritik auf den Boden der Tatsachen.

Auch die anderen handwerklichen Herausforderungen hat die Autorin bravourös gemeistert. Das will bei dem Thema was heißen. Die Ermittlungen erstreckten sich über fast sieben Jahre, von 2009 bis 2016. Damit es für die Leserinnen und Leser spannend bleibt, musste Birgit Orths die Handlung raffen und trotzdem alle wichtigen Schritte unterbringen. Dazu galt es immer wieder juristisches, behördliches und steuerfachliches Wissen einzuflechten.

Hier profitieren die Leserinnen und Leser davon, dass Birgit Orths es gewohnt ist, ihre komplexen Fälle für fachfremde Richter aufzubereiten. Sie kann einfach gut erklären. Darüber hinaus verpackt sie das Wissen geschickt in inneren und äußeren Dialogen. Manchmal schützt sie auch Unwissen vor. Dann steht sie im Gespräch mit der Sachgebietsleiterin oder der Staatsanwältin auf dem Schlauch und man wird als Leser Zeuge, wie sie sich schlau macht.

Ich denke nach. Also Emissionszertifikate haben doch irgendetwas mit dem Ausstoß von Kohlendioxid zu tun. Wie kommt eine Handyfirma an diese Zertifikate?

Zwar nimmt man Birgit Orths nicht jede Wissenslücke ab, aber der Kniff führt dazu, dass man nicht googeln muss und bei eigenen Wissenslücken sein Gesicht wahrt. Auch die Namen der vielen Verdächtigen und Scheinfirmen flechtet sie geschickt und gut dosiert in Dialoge und Beschreibungen ein. Ein Zurückblättern, nach dem Motto „Wer war das noch mal?“, ist nicht nötig. Dazu gibt es kurze Exkurse zu Banden, Geldwäsche, Korruption, CumEx und den Panama Papers, ebenfalls anhand von Birgit Orths Fällen erzählt. So bleibt man stets im Bild. Und lernt mit jeder Seite Neues.

Auch deshalb sind dem Buch der Düsseldorfer Steuerfahnderin viele Leserinnen und Leser zu wünschen. Es braucht Druck auf Politik und Behörden. Damit er entsteht, müssen sich die Menschen verstehen, was eigentlich passiert: Zig Milliarden Steuergelder fließen in die Kassen der Organisierten Kriminalität, die damit ihre wirtschaftliche und politische Macht festigt. Dieses Geld könnte auch, schreibt Birgit Orths im Epilog, Kinderbetreuung kostenlos machen, eine Grundrente finanzieren, Schultoiletten sanieren und das Bildungssystem stärken. Recht hat sie.

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