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„Triggerpunkte“ – Soziologe Steffen Mau über die Polarisierung der Gesellschaft

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INTERVIEW
Frauke Oppenberg

In seinem neuen Band „Triggerpunkte“ geht Steffen Mau mit zwei Kollegen der Frage nach, wie polarisiert unsere Gesellschaft ist und wie stark sich Meinungen innerhalb der letzten 30 Jahre in Bezug auf kontroverse Themen wie Migrationspolitik oder Genderfragen auseinander entwickelt haben. In SWR2 wünscht sich der Soziologe, dass wir „Themen nicht zu stark emotionalisieren“ — vor allem in den sozialen Medien.

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Entstehung von Kontroversen und politischen Debatten

Wie polarisiert ist unsere Gesellschaft? Dieser Frage ist der Soziologe Steffen Mau, Professor an der Humboldt Universität Berlin, nachgegangen: „Wir haben uns die letzten 30 Jahre empirisch angeguckt, ob sich die Meinungen auseinander entwickelt haben in der Einstellung zur Migrationspolitik, zu sexueller Diversität, zur Bewältigung des menschengemachten Klimawandels“, so Mau.

Die Ergebnisse stellt er zusammen mit zwei Kollegen in dem neuen Band „Triggerpunkte“ dar: „Man sieht, dass sich da gar nicht mal so viel tut, wie man erwarten würde. Das heißt aber nicht, dass wir die Beruhigungspille verteilen und sagen, wir sind eine harmonistische Gesellschaft.“ Ihr Ziel sei es, zu zeigen, wie Streitpunkte entstehen und bestimme Kontroversen in das Zentrum der politischen Debatte hineingeraten würden.

„Triggerpunkte“ polarisieren

Dabei würden sich die Debatten an so genannten „Triggerpunkten“ entzünden: „Die Leute haben bestimme Grundvorstellungen, die werden durch gesellschaftliche Entwicklungen herausgefordert. Oder es gibt Zumutungen, die sie unerträglich finden wie das Gendersternchen oder das Gebäude-Energiegesetz.“

Werden diese Triggerpunkte politisch bespielt und ins Zentrum der politischen Debatte hineingeraten, gebe es eine Veränderung der politischen Sitzordnung. Dabei gebe es einen großen Teil der Bevölkerung, der veränderungserschöpft ist und diese Leute seien ansprechbar auch für andere politische Angebote, auch von der rechten Seite, so Steffen Mau.

Wenig Raum für stille Mitte

Diese Triggerpunkte bezeichnet Steffen Mau als „Sollbruchstellen der öffentlichen Debatte: „Wo plötzlich eine sachliche Debatte in eine emotionalisierte umschlägt, wo Leute rote Linien sehen.“ Das geschehe zum Beispiel häufig in den sozialen Medien. Dort seien die Pole in solchen Diskussionen „überlaut“, dabei gebe es eine distanzierte stille Mitte, die ihre Position nicht artikulieren könne, weil sie wenig Gehör bekomme.

Man müsse diesen moderaten Stimmen mehr Raum geben, findet Steffen Mau. Außerdem wünscht er sich, dass „wir eine mittlere Position finden, indem wir versuchen, Themen nicht zu stark zu emotionalisieren“.

Gespräch Neue Studie: Wie gespalten ist unsere Gesellschaft?

Die Gesellschaft polarisiert sich. So scheint es zumindest. Eine neue Studie der TU Dresden hält dagegen. Studienleiter Hans Vorländer erläutert im Interview mit SWR2 die Erkenntnisse.

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Gespräch Yasmine M'Barek zu den Klimastreiks von Fridays For Future: „Protest hält Demokratie in Bewegung!"

Die Klimabewegung startet in die Herbstoffensive. In einer Vielzahl von Städten haben Vereine und Organisationen rund um Fridays For Future am 15. September zum Protest aufgerufen. "Die Geschichte von Fridays For Future ist auf jeden Fall eine Erfolgsgeschichte", sagt die Journalistin und Autorin Yasmine M'Barek bei SWR2, "weil sie dieses Thema ganz oben auf die Agenda gesetzt haben."
Im deutschen Kontext könne man jedoch fragen, ob das Modell der Massenmobilisierung durch Großdemonstrationen nicht vielleicht ausgelaufen ist und ob das der richtige Weg sei, Mehrheiten zu erzeugen die politisch auch das umsetzen, was die Bewegung fordert. Durch die Großdemos würden vor allem Bilder und Kontroversen erzeugt.
Gleichzeitig sei die Personalisierung der Bewegung, etwa durch Luisa Neubauer, wichtig für den Erfolg gewesen, aber auch problematisch. "Einerseits sitzt eine Vertreterin dann immer in den wichtigen Talkshows und gibt wichtige Interviews", so M'Barek, "andererseits projiziert sich dann auch alles auf diese eine Person, es wird sehr persönlich und dadurch hängt man sich dann an anderen Themen auf, als die der Organisation."
Bei neuen Bewegungen sei es wichtig, dass sie sich mit polarisierenden Aktionen etablierten, weil es Bilder in den Köpfen erzeuge, sagt M'Barek und meint damit die Klebeaktionen mit denen die Letzte Generation zum Gesprächsthema geworden ist. "Aber das war's auch. Und wenn man wie die Letzte Generation sich weiterhin bedient an dieser Form des "Marketing" ist die Frage, ob das eigene Thema noch Platz hat. Es ist schon ein bisschen der Zwiespalt zwischen Selbstvermarktung und im Gespräch bleiben und dann irgendwann das eigene Vorhaben umzusetzen."
Fridays For Future hätten das relativ gut geschafft gegenüber der letzten Generation: weil sie am Ende eben mit am Tisch saßen mit den Grünen und gesagt hätten, was sie sich vorstellen. Und eben das stärke auch das politische System in Deutschland: "Protest hält Demokratie in Bewegung, das ist der Kern der Demokratie."

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