Mit Solidarität können Frauen diskriminierende Strukturen überwinden und mehr Gleichberechtigung etablieren.   (Foto: IMAGO, IMAGO/SuperStock/Leanna Rathkelly)

Frauen unter sich

Toxische Weiblichkeit – Eine unbewusste Gefahr für Frauen im Patriarchat

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Carolin Baumgart
Carolin Baumgart (Foto: SWR)

Seit der MeToo-Debatte ist der Begriff toxische Männlichkeit den meisten geläufig: Männer mit dominantem, starkem, aggressivem Auftreten, die sich über andere stellen, um an ihr Ziel zu kommen. Das Pendant dazu ist toxische Weiblichkeit. Ein Gift, das anders schädlich ist.  

Toxizität: Mehr als nur ein Trendwort 

Personen, Beziehungen, Arbeitsverhältnisse, Männlichkeit und auch Weiblichkeit können toxisch, also gefährlich und vernichtend sein.  

 

Die Schriftstellerin Sophia Fritz hat ihr Buch „Toxische Weiblichkeit“ veröffentlicht.  (Foto: IMAGO, IMAGO/Horst Galuschka)
Die Schriftstellerin Sophia Fritz hat das Buch „Toxische Weiblichkeit“ veröffentlicht. Darin geht es unter anderem darum, wie Frauen sich mit ihrem Verhalten gegenseitig schaden.

Der Schriftstellerin Sophia Fritz zufolge sind „Beziehungen, die sich eben nicht auf Augenhöhe abspielen, sondern wo sich jemand tendenziell über einer anderen Person oder unter einer anderen Person verortet“ toxisch. Letzteres treffe tendenziell eher auf Frauen zu.  

In ihrem Buch „Toxische Weiblichkeit“ schreibt sie über verschiedene Ausprägungen toxischer Weiblichkeit: Das gute Mädchen, das allen gefallen möchte und nie Nein sagt. Die Powerfrau, die alles kontrollieren, und bei der alles perfekt sein muss. Die Mutti, die sich immer um alle anderen kümmert und sich selbst dabei vergisst. Die Bitch, die über andere lästert, weil sie nie das direkte Gespräch sucht. 

 

Alles seien Verhaltensmuster, die manipulative Absichten haben und die eine berechnende Unterordnung mit sich bringen, um so die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Eine Art indirekter Weg, Macht und Kontrolle zu bekommen, so Fritz. Wie gefährlich ist die toxische Weiblichkeit und wie kommen wir von ihr weg?  

Girl Hate: Warum wir in anderen Frauen eine Gefahr sehen 

 

Zwei Frauen sitzen nebeneinander auf einer Bank, eine schaut auf ihr Handy, die andere scheint genervt zu sein (Foto: IMAGO, IMAGO/Pond5 Images/xarucikx)
Frauen vergleichen sich zu gerne untereinander, was zu negativen Gefühlen führt und für die Beziehung schädlich sein kann.

Dass toxische Weiblichkeit kein Modewort ist, zeigt die US-amerikanische Bloggerin Tavi Gevinson, die bereits 2011 den Begriff „Girl Hate“ einführte. Dabei geht es um einen ständigen Wettbewerb und Vergleich, in denen sich Frauen befinden.

Erfüllt eine andere Frau die Erwartungen besser als wir, werten wir uns ab, empfinden Missgunst und Neid – am liebsten würden wir die andere Person stoppen wollen, damit wir uns nicht so schlecht fühlen. 

Das liege daran, dass es für uns nur eine einzige „coole Frau“, eine einzige „erfolgreiche Frau“ oder eine einzige „attraktive Frau“ in einer Gruppe von Menschen geben dürfe, so die US-amerikanische Bloggerin. Und das hat einen Namen … 

Das Schlumpfine-Prinzip  

Schlumpfine läuft durch einen Wald  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Sony Pictures/dpa | Sony Pictures)
Das Schlumpfine-Prinzip hat die Schriftstellerin Katha Pollitt 1991 eingeführt, nachdem ihr aufgefallen ist, dass in vielen Serien, Filmen und Büchern eine große Anzahl von männlichen Charakteren vorkommt, neben denen nur eine einzige weibliche Rolle existiert.

Harry Potter, Emil und die Detektive, die Schlümpfe, The Big Bang Theory, New Girl, Star Wars – sie alle haben eins gemeinsam. Kommen Sie drauf, was es ist?  

Eine „Schlumpfine“ und viele ausdifferenzierte männliche Kompagnons.  

Wir werden also von klein auf mit Serien, Filmen und Büchern konfrontiert, in denen es nur eine Frau in einer männerdominierten Welt gibt. Das führt dazu, dass sich erfolgreiche Frauen bekämpfen, anstatt sich gemeinsam für ein neues System, das mehrere aufstrebende Frauen zulässt, einzusetzen, schreibt Gevinson weiter.  

„Girl Hate“ und toxische Weiblichkeit dienten dazu, das Patriarchat aufrecht zu erhalten. Wir kämpfen nicht für Gleichberechtigung, sondern stattdessen lieber gegeneinander, schreibt Gevinson – ein wesentlicher Unterschied zwischen toxischer Weiblichkeit und toxischer Männlichkeit. Letztere schade allen Geschlechtern, toxische Weiblichkeit dagegen nur sich selbst.  

It-Girls und ihre Schatten Das toxische Frauenbild der Nullerjahre und wie es uns heute noch prägt

Gefährliche Schönheitsideale, mediengemachter Ruhm und Oberflächlichkeit: Die It-Girls prägten in den Nullerjahren die Jugend. Das Frauenbild zu Beginn der 2000er war toxisch, bis ausgerechnet Social Media die gefährliche Ära beendete.

Die Superwoman-Nummer 

Eine Frau mit einer Maske hat ein Megafon in der Hand (Foto: IMAGO, IMAGO/Pond5 Images)
Die moderne Frau ist eine Superwoman, die weich und hart zugleich sein soll und die alles unter einen Hut kriegen soll: Job, Haushalt, Kinderbetreuung, Familienleben, Freunde, Pflege von Angehörigen, Sport ...

Die beste Mama, die tollste Freundin, die erfolgreichste Kollegin, die schönste Ehefrau, die fleißigste Hausfrau, die beste Sportlerin – unsere Ansprüche sind hoch. Muss die Frau von heute wirklich eine eierlegende Wollmilchsau sein? 

Ja und nein.

Ja, weil wir mithalten wollen und weil wir in Konkurrenzen zueinander leben (wollen). So sind wir sozialisiert und konditioniert. Es gibt täglich genug Möglichkeiten, sich zu vergleichen und zu hinterfragen – im realen Leben wie in den sozialen Medien. Die Bedürfnisse von anderen über die eigenen stellen, in allem gut sein müssen und dabei noch lächeln: Solche überzogenen Rollenerwartungen führen zu permanentem Stress und sind auf Dauer ungesund. 

Und Nein, weil jede Frau andere Voraussetzung hat, jede andere Stärken und Talente hat. Nicht jede kann und muss in allem gut sein – das wäre unmenschlich und würde zu weniger Miteinander und mehr Gegeneinander führen. Genau das, was unsere Gesellschaft nicht braucht.  

Niemand kann dich so sehr schätzen, wie eine andere Frau es kann. Denn niemand kann dich so gut verstehen.

Momfluencer: Echte Alleskönnerinnen!? 

 

Momfluencerin mit einer Tochter macht ein Selfie im Gegenlicht  (Foto: IMAGO, IMAGO/Westend61/Nina Janeckova)
Momfluencerinnen setzen ihr Leben und ihre Kinder gerne perfekt in Szene. Sie präsentieren ihre Familie auf den sozialen Netzwerken, auch um Bestätigung zu bekommen.

Manchmal glaubt man, es gibt sie doch: die übermenschlichen Frauen, deren Leben das reinste Paradies auf Erden ist. Alles läuft im Fluss, keine Schwierigkeiten, keine schlechten Zeiten, kein zerzaustes Haar, kein Zombiegefühl nach schlaflosen Nächten, weil das Kind krank ist.  

Sogenannte Momfluencer präsentieren einen perfekten Familienalltag in den sozialen Medien. Künstlerisch gestaltete Brotboxen, Babykleidung zum Verlieben, sicheres Spielzeug, das man haben sollte und „Lifehacks“, die das Leben mit Kindern einfacher machen sollen und schon sind alle Probleme in Luft aufgelöst.  

Mit über zwei Millionen Followern auf Instagram ist Anna Maria Damm eine der erfolgreichsten Momfluencerinnen in Deutschland:

Man wird fast neidisch, wie perfekt und schön ihr Familienleben aussieht und fängt an, sich zu vergleichen. Tut man selbst genug? Was könnte man noch optimieren? Wie noch schneller und besser werden und am Ende genauso gut oder noch besser dabei aussehen? Und wehe, wenn nicht! 

Natürlich gibt es auch Momfluencer, die die nicht so schönen Seiten abbilden, die Probleme offen thematisieren, die authentisch sein wollen und zeigen, wie das Leben ist – mit all seinen Höhen und Tiefen. Ein bisschen gut tut das schon. Und sind wir mal ehrlich: Niemand ist perfekt.  

Marlies Johanna ist eine deutsche Momfluencerin und Mutter von zwei Kindern, die den Alltag mit Kindern ungeschönt zeigt:

Mom Shaming nervt! 

Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm wird von vielen Zeigefingern eingerahmt  (Foto: IMAGO, IMAGO/Pond5 Images/Nicoleta Ionescu)
Das sogenannte „Mom Shaming“ erfahren Mütter, wenn andere Menschen ihre Erziehung kritisieren und ihnen damit ein schlechtes Gefühl geben. Viele Frauen fühlen sich unter Druck gesetzt und haben nicht die Kraft, die Kritik abprallen zu lassen.

Das Muttersein ist eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Aufgaben im Leben einer Frau. Alles ändert sich schlagartig mit dem ersten Kind. Die Herausforderungen des Alltags sind manchmal überwältigend.

Da braucht es nicht noch zusätzlichen Stress durch sogenanntes „Mom Shaming“: Mütter, die in ihrer Rolle kritisiert werden, von Freunden, Familienmitgliedern oder Bekannten.  

„Ach was, du stillst immer noch!? Oh ihr habt euer Kind schon mit neun Monaten in die Kita gegeben? Sie schläft immer noch in eurem Bett?! Er trägt immer noch Windeln!?“, lauten Fragen, die mehr kritisieren als weiterhelfen.

Auch unter Müttern ist das Mom Shaming hoch im Kurs. Und hier schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei der Vergleichskultur und dem Wunsch, besser zu sein.

Ein bekanntes Phänomen: Indem du andere schlecht machst, fühlst du dich selbst besser und überlegen. Manche Mütter kritisieren also, um ihre eigene Leistung zu verbessern

Und dabei sitzen doch alle Mütter im gleichen Boot und wissen, welche Herausforderungen sie jeden Tag bewältigen müssen. Ein bisschen mehr Empathie von allen Seiten hilft da gewiss.  

Was wir brauchen, ist mehr „Sisterhood“ 

 

Zwei Frauen stehen vor einer Staffelei und lachen sich an (Foto: IMAGO, IMAGO / Westend61/Joseffson )
Solidarität unter Frauen bringt Frauen nach vorne. Sie hilft dabei, Rollenbilder zu verändern und mehr Gleichberechtigung in allen Bereichen zu leben.

Wie gehen wir also mit der toxischen Weiblichkeit um? In dem wir uns zum Beispiel das Konzept „Sisterhood“ von der US-amerikanischen Autorin Bell Hooks aus dem Jahr 1984 zu Herzen nehmen.

Darin geht es um Solidarität unter Frauen. Egal welche soziale Klasse, Herkunft oder Hautfarbe: Es kommt darauf an, die unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründe gemeinsam zu nutzen, zusammen zu wachsen und gegen unterdrückende Strukturen zu kämpfen.

Diese Verbundenheit mit anderen Frauen kann sich sowohl auf den beruflichen, gesellschaftlichen oder auch privaten Kontext beziehen und einen Kulturwandel fördern, so Hooks.  

Mehr Feminismus in der Literatur

Gespräch „Toxische Weiblichkeit“ – Eine persönliche Reflektion von Sophia Fritz

Mann hat keine Schwächen, macht keine Fehler, ist „allzeit bereit“ – Alphamännchen wie Harvey Weinstein und Donald Trump demonstrieren geradezu idealtypisch, was „toxische“ Männlichkeit ist. Aber: Toxizität ist kein männliches Privileg, sagt Autorin Sophia Fritz, die ein Buch über „Toxische Weiblichkeit“ geschrieben hat.

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Buchkritik Kollektivroman „Wir kommen” – 18 Autor*innen schreiben anonym über Lust und Alter

„Wir waren überwältigt, was für intime Dinge uns in diesem Text anvertraut wurden“, sagt Julia Wolf, die den Kollektivroman „Wir kommen” mit initiiert hat.

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Buchkritik Noch lange nicht gleichberechtigt – Emilia Roig setzt die Buch-Reihe „Unlearn Patriarchy“ fort

Warum ist eigentlich noch immer Patriarchat? Und vor allem: (Wie) können wir es verlernen? Antworten auf diese Fragen gibt der Essayband „Unlearn Patriarchy 2“.

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Buchkritik bell hooks – Männer, Männlichkeit und Liebe. Der Wille zur Veränderung.

Endlich ist dieses Buch aus dem Jahr 2004 übersetzt: Die Amerikanerin bell hooks untersucht, wie das Patriarchat Männer beschädigt, weil sie von frühauf lernen müssen, ihre Gefühle abzuspalten. Nur, wenn Männer ganzheitliche Persönlichkeiten werden, wird sich das Patriarchat wirklich abschaffen lassen. Ein Buch, das nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Rezension von Pascal Fischer.
Elisabeth Sandmann Verlag, 200 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-945543-97-9

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