Das Foto vom 8.9.2003 zeigt einen Blick in ein Archivregal beim Generallandesarchiv Karlsruhe. Das am meisten genutzte Archiv Baden-Württembergs, das mit Quellen seit dem frühen Mittelalter zu den bedeutendsten in Deutschland zählt, feiert am 17. September 2003 sein 200-jähriges Bestehen. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / dpa | Uli Deck)

Tag der Archive

Motto statt No-Go: „Essen und Trinken“ im Archiv

Stand
AUTOR/IN
Tobias Ignee

Eigentlich ist Essen und Trinken in Archiven ein No-Go und oft streng verboten. Beim Tag der Archive am 2. und 3. März steht „Essen und Trinken“ allerdings als Motto im Mittelpunkt. Mit dem bundesweiten Tag der Archive will der Fachverband deutscher Archivarinnen und Archivare der Öffentlichkeit die Arbeit der Archive und die Bedeutung von kulturellem Erbe näherbringen. Wir stellen drei Archive aus dem Südwesten vor, die Kurioses zum Thema zutage gefördert haben.

Stadtarchiv Konstanz: Felchen und Bürgertröpfle
Stadtarchiv Montabaur: Brauhaus und Bierprivileg
Stadtarchiv Bruchsal: Spargel als Luxusprodukt

Felchen und Bürgertröpfle im Stadtarchiv Konstanz

Das Bodenseefelchen oder auch Blaufelchen ist ein Süßwasserfisch und stand am Bodensee immer schon auf dem Speiseplan. Besonders gut schmeckt er zubereitet nach Müllerin-Art mit Kartoffeln.

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Rezepte, wie das Felchen Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Teller kam, zeigt das Stadtarchiv Konstanz in einer Ausstellung unter anderem anhand eines historischen Kochbuches von 1845.

Felchen Deckblatt zu einer Fischeramtsrechnung von 1600  (Foto: Pressestelle, Stadtarchiv Konstanz)
Felchen-Deckblatt zu einer Fischeramtsrechnung von 1600.

„Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken“ – da möchte Goethe niemand widersprechen. Der Wein, der am Bodensee zu einem guten Fischgericht serviert werden kann, ist das sogenannte „Bürgertröpfle“.

Dabei handelt es sich um einen Gebrauchswein aus der Spitalkellerei Konstanz. Allerdings, so erfährt der Besucher bei Führungen, war dieser Weißwein früher nicht immer von optimaler Qualität – weshalb man sich über das „Bürgertröpfle“ in der alljährlichen Konzilsfastnacht gerne lustig macht.

Felchenrezept aus dem Constanzer Kochbuch von 1845  (Foto: Pressestelle, Stadtarchiv Konstanz)
Felchenrezept aus dem Constanzer Kochbuch von 1845.

Lebensmittelkarten für Selbstversorger

Weniger zum Feiern zumute war den Menschen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 und in den ersten Jahren nach Kriegsende.

Lebensmittel wurden mit Lebensmittelkarten in verschiedene Gruppen eingeteilt und dann an Selbstversorger ausgegeben. Ein Beispiel dafür ist die „Brotkarte“, die man beim Bäcker vorlegen musste, denn ohne Marke durfte kein Brot verkauft werden.

Brotkarte (Foto: Pressestelle, Stadtarchiv Konstanz)
Eine Brotkarte musste während des Zweiten Weltkriegs beim Bäcker vorgelegt werden.

Die Bierbrauer in Montabaur

Montabaur im Westerwald verbindet man in erster Linie mit dem Weinanbau. Dass es dort aber auch eine Bierbrautradition gab, werden wohl die wenigsten wissen. Diese hat der Leiter des Stadtarchivs Dennis Röhrig recherchiert und fand jahrhundertealte Spuren.

Das Brauhaus und das Bierprivileg

Ab dem 15. Jahrhundert gab es in Montabaur ein städtisches Brauhaus. Das Recht, Bier zu brauen, hat sich die Stadt immer wieder vorbehalten, denn damit ließ sich gutes Geld verdienen.

Die Steuern, die sogenannte Bierakzise, konnten die Stadtväter auch für den Erhalt und die Befestigung der Stadtmauer gebrauchen. Denn Montabaur erlebte im 15. und 16. Jahrhundert große Stadtbrände. Versuche einzelner Bürger, das Bierprivileg zu kippen, scheiterten immer wieder.

Biergsteuerordnung Montabaur 1927 (Foto: Pressestelle, Stadtarchiv Montabaur)
Die Biersteuerordnung Montabaur aus dem Jahr 1927.

Brauhaus muss Kloster weichen

Im Zuge des 30-jährigen Krieges wurde in Montabaur der Franziskanerorden angesiedelt. An der Stelle des Brauhauses durften die Mönche ein Kloster errichten, mit der Auflage, ein neues Brauhaus nahe der Stadtmauer zu errichten.

Kloster Montabaur 1930  (Foto: Pressestelle, Stadtarchiv Montabaur)
Das Kloster Montabaur im Jahr 1930.

Sowohl ein Kloster als auch ein Brauhaus sucht man heute vergeblich in Montabaur. Wegen des milden Klimas hat sich mit der Zeit dann doch der Weinbau durchgesetzt und das Kloster wurde Ende der 1970er-Jahre abgerissen. Nur die Straßenbezeichnung „Biergasse“ erinnert noch an die Biertradition Montabaurs – das Privileg, Bier zu brauen, hat die Stadt immer noch.

Biergasse Montabaur (Foto: Pressestelle, Stadtarchiv Montabaur)
Nur noch der Straßenname „Biergasse“ erinnert heute an die Biertradition Montabaurs.

Spargel als Luxusprodukt im Stadtarchiv Bruchsal

Heute ist der Verbraucher gewohnt – und er erwartet es auch – die Lebensmittel im Supermarkt immer verfügbar und schön präsentiert zu bekommen. Vom Schweiß und der Arbeit, die hinter der Produktion stecken, bekommt er nichts mit. Mit einer Fotoausstellung will das Stadtarchiv Bruchsal zeigen, dass dieser Luxus früher alles andere als selbstverständlich war.

In knapp zwei Monaten ist es wieder so weit, da beginnt die Erntezeit des feinen Stangengemüses. Dann wird der Spargel aus Bruchsal wieder in Supermarktregalen, auf Wochenmärkten und in Spargelhäuschen feilgeboten werden – fein säuberlich nach Größe und Dicke sortiert.

Ernte in Heidelsheim  (Foto: Pressestelle, Otto Härdle)
Ernte in Heidelsheim.

Spargel war einst nicht jedermanns Sache

Das Stadtarchiv Bruchsal zeigt zum Tag der Archive eindrucksvolle Szenen des bäuerlichen Lebens der Region und auch Fotos, wie beispielsweise das Küchenpersonal des Direktionskasinos der Vereinigten Eisenbahn-Signalwerke um das Jahr 1900 Spargel putzt. Die Delikatesse wurde eingeweckt und kam nur für prominente Firmenbesucher auf den Mittagstisch.

Spargelputzen um 1910  (Foto: Pressestelle, Stadtarchiv Bruchsal)
Spargelputzen um 1910.

Spargel putzen ist ein mühsames Geschäft, ebenso wie der Anbau, der einiges an Vorbereitung und Bodenkenntnis erfordert. Deshalb war der Spargel früher ein Lebensmittel für Wohlhabende. Dem Rest blieb nur die Schwarzwurzel – auch „Arme Leute Spargel“ genannt.

Lieferservice hoch zu Ross

Essen bestellen per Lieferservice ist keine Erfindung unserer Konsumgesellschaft. Bereits in den 1920er-Jahren war es üblich, sich Essen anliefern zu lassen. Sogar im ganz großen Stil, wie ein Foto in der Ausstellung im Bruchsaler Stadtarchiv belegt.

Pferdefuhrwerk 1924  (Foto: Pressestelle, Ernst Habermann)
Pferdefuhrwerk 1924.

Mit einem großen Pferdefuhrwerk lieferte August Schlindwein mit seiner Mutter täglich das Essen für die Arbeiter der Vereinigten Eisenbahn-Signalwerke in Karlsdorf bei Karlsruhe. Eine Werksküche gab es damals in den 1920er-Jahren noch nicht in der Fabrik.

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