Kommentar

„Remigration“ ist Unwort des Jahres 2023 – Rechtsextreme Sprache ist längst salonfähig

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AUTOR/IN
Philine Sauvageot

Das Unwort des Jahres 2023 lautet „Remigration“. Eine naheliegende und fast tagesaktuelle Wahl, meint Philine Sauvageot in ihrem Kommentar. Schließlich haben am Sonntag Tausende Menschen gegen den bekannt gewordenen „Masterplan der Remigration“ demonstriert.

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Entscheidung dürfte Konsens sein

„Remigration“ ist eine naheliegende Wahl, keine sehr gewagte. Dass es sich hierbei um ein Unwort handelt, ist in weiten Teilen der Bevölkerung Konsens. Schließlich haben gerade erst Tausende Menschen gegen die bekannt gewordenen Pläne der „Remigration“ demonstriert. 

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Tausende Menschen bereits sensibilisiert

Anders gesagt: Das Unwort des Jahres soll uns sensibilisieren und aufmerksam machen auf einen problematischen Sprachgebrauch. Das ist beim Wort „Remigration“ aber längst der Fall: Am Sonntag standen allein am Brandenburger Tor in Berlin 25.000 Menschen. Weitere Demos sind in dieser Woche auch im Südwesten angemeldet.

Ein wissenschaftlicher Begriff wird umgedeutet

„Remigration“ – das ist eigentlich in den Sozialwissenschaften ein etablierter Begriff, zum Beispiel für die freiwillige Rückkehr von verfolgten Juden nach dem Ende des NS-Regimes nach Deutschland. „Remigration“ – das ist aber mittlerweile auch zum Euphemismus geworden. 

Der rechtsextreme Traum von der Zwangsdeportation

Seit Jahren fantasieren die Identitäre Bewegung und andere rechtsextreme Gruppierungen unter diesem Schlagwort davon, Menschen mit Migrationsgeschichte auszuweisen. Dass diesen Traum auch AfD-Funktionäre, Mitglieder der CDU und die erzkonservative Werteunion träumen, deckte am vergangenen Mittwoch das Medienhaus Correctiv auf. Bei einem Potsdamer Treffen radikaler Rechter im November hatte Martin Sellner, der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, gesprochen, unter anderem über die „Remigration“, also die massenhafte Deportation von Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. 

Gefahr der Diskursverschiebung nach rechts

Es ist wichtig, solche Versuche von rechts als das zu entlarven, was sie sind: als Diskursverschiebung, als Normalisierung rechtsextremer Positionen. Hier werden neutrale Worte ideologisch vereinnahmt und völkisches Denken verharmlost. Diese Täuschung sollte nun mit der Wahl zum Unwort des Jahres nicht mehr so leicht gelingen, meint der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der in diesem Jahr in der Jury saß. 

„Überfremdung“ oder „Flüchtlingswelle“ längst im allgemeinen Sprachgebrauch

So sehr man auch mit ihm hoffen möchte: Rechtes Gedankengut ist längst in unsere Sprache eingesickert. Das rechtsextreme Schlagwort der „Überfremdung“ zum Beispiel war schon 1993 Unwort des Jahres. Es ist trotzdem noch da – und taucht bis heute etwa als vermeintliches Argument gegen den Bau von Moscheen auf. Genauso unreflektiert ist von „Flüchtlingswellen“ oder vom „Flüchtlingsstrom“ die Rede, als handle es sich bei der Aufnahme von Geflüchteten um eine Naturkatastrophe, die einem Angst machen muss. 

Auch „Islamisierung“ und „Leitkultur“ sind bereits feste Begriffe

Der ursprünglich historische Begriff der „Islamisierung“ ist nicht mehr nur in rechtspopulistischen Kreisen verbreitet, obwohl eine solche Gefahr durch die rund sechs Prozent Muslim*innen, die hier leben, völlig unrealistisch ist. Auch die „Leitkultur“ kursiert unter Rechtsradikalen, was Friedrich Merz nicht davon abhält, seit Jahren zu bemängeln, es gebe keine deutsche Leitkultur mehr. 

„Remigration“ ist erst der Anfang

Es ist die Aufgabe der Medien, solche Umdeutungen sichtbar zu machen, ihren Kontext aufzudecken. In dem Sinne ist „Remigration“ eine richtige Wahl. Niemand wird jetzt noch gedankenlos dieses vorbelastete Wort bemühen. Das wäre allerdings nur der Anfang einer sensibleren Sprache rund um das Grundrecht auf Asyl. 

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