Liebe, Kraft, Empowerment

„Queere Kunst“: Sexuelle Diversität von Antike bis Moderne

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AUTOR/IN
Mareike Gries
Marerike Gries, Autorin und Moderatorin bei SWR Kultur (Foto: SWR)

Bildende Kunst bot schon immer Raum für Sehnsüchte und Fantasien. Homosexualität oder Transidentität sind dabei keine Ausnahme, Künstler*innen konnten dies aber lange nicht offen thematisieren. Die Mainzer Kunsthalle setzt sich nun mit Bildern und Geschichte(n) queeren Lebens auseinander.

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Queere Lebensgeschichten für die künstlerische Arbeit

So viel ist klar: Nur weil ein Künstler oder eine Künstlerin sich selbst als queer bezeichnet – ein Begriff, den es ohnehin erst seit wenigen Jahren gibt – macht er oder sie natürlich nicht zwingend queere Kunst.

Maler Philipp Gufler sagt, dass ihn queere Lebensgeschichten für seine künstlerische Arbeit allerdings interessieren, vor allem unter aktivistischen Gesichtspunkten: „Meine Arbeiten entstehen meist aus einem persönlichen Interesse. Ich möchte die Geschichte nicht nur aus der Position der Mächtigen erzählen, sondern ich möchte Widersprüche zulassen.“

Philipp Gufler (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Norbert Miguletz)
Künstler Philipp Gufler wurde 1989 geboren, queere Vorbilder gab es in seiner Jugend nur vereinzelt. Mit seiner Kunst möchte er unter anderem den Mut queerer Personen würdigen.

Daniel Küblböck als eine der ersten offen queeren Personen in Deutschland

So hat sich Philipp Gufler in einer filmischen Arbeit etwa mit Lana Kaiser beschäftigt. Im Rahmen der ersten Staffel der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ wurde sie, damals als Daniel Küblböck, berühmt und war eine der ersten offen queeren Personen im deutschen Fernsehen.

„Sie war einer der wenigen Menschen, mit denen ich mich identifizieren konnte“, sagt Philipp Gufler. Die Mainzer Kunsthalle zeigt seine Werke nun gemeinsam mit Arbeiten von melanie bonajo, die sich mit Liebe und Intimität abseits des medialen Mainstreams beschäftigt.

Denn nur weil die verschiedenen Formen der Liebe in der Vergangenheit nicht gleichberechtigt gezeigt wurden, heißt es nicht, dass es sie nicht gab.

Queerness in Antike und Moderne

Die Historie zeigt: In Sachen Aufklärung, Akzeptanz und Offenheit sind auch Rückschritte möglich. Antike Skulpturen von Hermaphroditen – also Menschen mit männlichen wie weiblichen Geschlechtsorganen – zeugen davon, dass es Intergeschlechtlichkeit schon immer gab.

Hermaphroditen-Skulptur (Foto: picture-alliance / Reportdienste, akg-images)
Diese Skulptur eines schlafenden Hermaphroditen ist im zweiten Jahrhundert vor Christus in Griechenland entstanden. Jahrhunderte später wäre der Künstler für solch ein Werk womöglich bestraft worden.

Auch der Geschlechtswechsel – mittlerweile mit Transidentität bezeichnet – ist keine heutige Modeerscheinung, wie manch einer behauptet. Zum Beispiel gibt es Abbildungen des Sehers Teiresias, der laut griechischer Mythologie munter zwischen den Geschlechtern wechselte.

Warhol griff Queerness in den 60ern in seiner Kunst auf

So offen wie im antiken Griechenland war es in der bildenden Kunst etwa in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts längst nicht. Homosexualität galt in der Kirche als Sünde und wurde von der Justiz lange verfolgt.

Ausnahmekünstler wie Andy Warhol waren es, die sich davon nicht abschrecken ließen. Warhol hat ab den 1960er-Jahren unter anderem Dragqueens in seiner Kunst geehrt und seine Liebhaber verewigt.

Andy Warhol (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa)
In Andy Warhols Jugend war Sex zwischen Männern noch verboten. In seinen künstlerischen Arbeiten hat er seine Liebe zu Männern trotzdem immer wieder aufgegriffen.

Selbstverständlich war dies nicht, wie auch die Netflix-Doku „The Andy Warhol Diaries“ zeigt. Darin erzählt einer seiner Vertrauten, dass Warhol oft davon ausging, dass eine Hochzeit vor allem gefeiert wurde, um die Homosexualität des Bräutigams zu verschleiern.

Queere Künstler*innen ≠ queere Kunst

Dank der LGBTIQ-Bewegung sehen sich heute nicht mehr so viele Menschen gezwungen, sich zu verstecken, darunter auch offen queere Künstler*innen wie etwa die preisgekrönte Anne Imhof.

Anne Imhof (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Presse- und Wirtschaftsdienst)
Die Künstlerin Anne Imhof (rechts) und ihre Partnerin Eliza Douglas erarbeiten gemeinsam künstlerische Performances. Ihre Arbeit „Faust“ hat 2017 den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig gewonnen.

Ihre Performances, Installationen oder Malereien als „queere Kunst“ zu bezeichnen – darauf kommt kaum jemand. Glücklicherweise, sagt Künstler Philipp Gufler, der sich auch wissenschaftlich mit queeren Persönlichkeiten der Kunstgeschichte auseinandersetzt: „Wie man sein Leben führt, das hat immer Einfluss auf die künstlerische Praxis. Aber ein Label wie queere Kunst würde die Arbeit reduzieren auf nur eine Identitätskategorie.“

Gufler setzt sich für Rehabilitierung ein

Dennoch sei Aufarbeitung des queeren Aspekts innerhalb der Kunstgeschichte wichtig, sagt Philipp Gufler. „Viele queere Künstler*innen, aber auch viele Frauen, haben es auf Grund von Diskriminierung nicht in den so genannten Kunstkanon geschafft.“

Deshalb setzt Philipp Gufler sich für Rehabilitierung ein, unter anderem von Paul Hoecker, Gründungsmitglied der Münchner Secession. Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts seine Homosexualität bekannt wurde, musste er sich aus dem Kunstbetrieb zurückziehen und geriet in Vergessenheit.

„Jünglingsakt mit Fisch am Meeresstrand“ (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance/ dpa)
Bilder wie dieser „Jünglingsakt mit Fisch am Meeresstrand“ machten Paul Hoecker Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Ein Skandal wegen seiner Homosexualität zwang ihn dazu, seine Lehrtätigkeit an der angesehenen Münchner Akademie aufzugeben.

(Künstlerische) Freiheit ist nicht selbstverständlich

Lebensgeschichten wie die von Paul Hoecker zeigen, dass die Freiheit in der Lebensweise und des künstlerischen Ausdrucks keine Selbstverständlichkeit sind. Um dies anzuerkennen, braucht es kein Label wie „queere Kunst“, aber ein Bewusstsein dafür, dass wir den freiheitlichen Status Quo in Kunst und Gesellschaft vor allem frühen Vorkämpfer*innen zu verdanken haben.

Mainz

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