Meine kleinen Schätze — Geschichten von Migration

Hasan Özdemir: Goethe und Nâzım Hikmet

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Hasan Özdemir
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Hasan Özdemir ist Lyriker, Erzähler und Dramatiker. Er wurde 1963 in Sorgun in der Türkei geboren. Im gleichen Jahrzehnt wanderten seine Eltern nach Deutschland aus. Als Jugendlicher kamen er und seine Schwester nach. Die Dichter Johann Wolfgang von Goethe und Nâzım Hikmet versinnbildlichen für ihn innere, sowie äußere Immigration.

Hasan Özdemir (Foto: SWR, Iris Kaczmarczyk)
Hasan Özdemir mit seinen „kleinen Schätzen“: Den Gedichten von Johann Wolfgang von Goethe und Nâzım Hikmet

Seit Menschen auf der Erde leben, gibt es Ein- und Auswanderung. Kriege, Hungersnöte und schlechte politische Systeme zwangen – und zwingen noch heute — Menschen aus ihrem Land auszuwandern. So kamen auch mein Vater und kurz danach meine Mutter Ende der 60er Jahre nach Deutschland. Bis heute leben sie in Ludwigshafen. Wegen der Familienzusammenführung folgten meine Schwestern und ich gegen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre unseren Eltern.

Hasan Özdemirs Eltern Anfang der 70er Jahre in Schifferstadt (Foto: Pressestelle, Hasan Özdemir)
Hasan Özdemirs Eltern Anfang der 70er Jahre in Schifferstadt... Bild in Detailansicht öffnen
Hasan Özdemir (Foto: Pressestelle, Lea Schütz )
... und heute als Großeltern... Bild in Detailansicht öffnen
Hasan Özdemir (Foto: Pressestelle, Lea Schütz )
... mit den beiden Enkelsöhnen in Ludwigshafen. Bild in Detailansicht öffnen

Meine poetische Welt 

Ich brachte nur die türkische Sprache nach Deutschland mit. So begann ich Gedichte auf türkisch zu schreiben, die im Mai 1989 in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurden.

In den folgenden Jahren beschäftigte ich mich intensiv mit der deutschen Sprache und entschied mich aus kulturellen Gründen nur auf Deutsch zu schreiben. 1994 erschien mein zweiter Lyrikband in zwei Sprachen, den ich auf Deutsch und Türkisch geschrieben hatte. Mein erster Sohn kam in dieser Zeit auf die Welt. Danach folgten mehrere Lyrikbände, wofür ich Stipendien und Preise erhielt. Dann 1999 die Geburt meines zweiten Sohnes.

Neben Lyrik schrieb ich auch Theaterstücke, die uraufgeführt wurden. Eines davon erhielt in Ludwigshafen am Rhein den Dramenpreis.

„Schon längst wurde Deutschland meine reale Heimat und die deutsche Sprache meine poetische Welt.“

Zwei Dichter – zwei Welten – eine Gemeinsamkeit 

In diesem Sinne denke ich an zwei Dichter, die innere und äußere Immigration erlebt hatten: Johann Wolfgang von Goethe und Nâzım Hikmet, deren Gedichte ich als meine kleinen Schätze bezeichne.“

Hasan Özdemir mit den Söhnen am Rhein (Foto: Pressestelle, Hasan Özdemir)
Hasan Özdemir mit den Söhnen am Rhein

Goethe war niemals im Orient gewesen, aber in seiner Lyriksammlung „West-östlicher Divan“ ist der Dichter in seiner Imagination ein Reisender in den Orient. Der Begriff „Hegire“ in der Lyriksammlung bedeutet „Emigration“ oder „Auswanderung“. Der Dichter ist erschöpft vom kriegerischen Europa. Er will in den Orient auswandern, um sich zu verjüngen. Kaum ist er im Orient, fühlt er sich wie zu Hause.

Auch Nâzım Hikmet, der sich als Weltbürger verstand und im Exil in Moskau starb, träumte immer von einem besseren Leben, egal wo der Mensch lebt.

Yaşamak bir ağaç gibi
tek ve hür ve bir orman gibi  
kardeşçesine,
bu hasret bizim.

Leben wie ein Baum
einzeln und frei
und brüderlich wie ein Wald
das ist unsere Sehnsucht.

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