Meine kleinen Schätze – Geschichten von Migration

Muhterem Aras: Vollkornbrot und Honig

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Muhterem Aras
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Muhterem Aras, wurde 1966 in der Türkei geboren und kam mit ihren Eltern und Geschwistern 1978 nach Deutschland. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und hat in Stuttgart ein Steuerberatungsbüro. In die Politik ging sie 1999, zunächst als Gemeinderätin, seit 2011 als Landtagsabgeordnete (Bündnis90/Die Grünen). Seit 2016 ist Muhterem Aras Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, als erste Frau in dessen Geschichte und als erste mit Migrationshintergrund bundesweit.

Außergewöhnlicher Wabenhonig aus Ost-Anatolien

Mit der Türkei verbinde ich den Honig. Nicht irgendeinen, sondern einen ganz außergewöhnlichen Wabenhonig. Er kommt aus der Region, wo ich geboren wurde in Ost-Anatolien, aus der Kreisstadt Kiğı, „geimkert“ von meiner Cousine und ihrem Mann. Ihr Honig ist ein reines Naturprodukt, Genuss pur. Es gibt in dieser Gegend weder Düngemittel noch Industrie oder viel Autoverkehr. Das schmeckt man. Diesen Honig kann ich ein Jahr lang in meiner Küche haben und er wird nicht zuckrig. Jeden Herbst schickt mir meine Cousine ein Paket.

„Wenn ich den Wabenhonig auf dem Tisch habe, kommt ein Stück Ost-Anatolien ins Haus.“

Honig war in meiner Kindheit etwas Besonderes, Wertvolles. Wir sind eine sehr große Familie, mit vielen Cousins und Cousinen. Honig gab es selten.  Und wenn, dann bekamen ihn nicht wir – die eigenen Kinder – sondern er ging an Freunde, Bekannte, Besucher. So sind die Ost-Kurden: das Beste verschenken sie, ihrer Familie hingegen geben sie die Reste. 

In den ersten Jahren in Deutschland brachten meine Eltern keinen Honig aus dem Türkeiurlaub mit, weil er zu teuer war. Erst als sie es sich leisten konnten, nahmen sie welchen mit.

Muhterem Aras mit Familie (Foto: Pressestelle, Muhterem Aras)
Muhterem Aras mit Familie

Faszination für die Brotvielfalt in Deutschland

Zum Frühstück gibt es bei mir zwei Brote: das erste wird mit Käse belegt; das zweite muss süß sein — und das ist mit dem Honig. Natürlich auf Vollkornbrot. Auch da achte ich auf die Qualität: Es ist von einem Bäcker, der noch alles selber macht; man muss Schlange stehen, um ein Brot zu ergattern. Zum Glück macht das mein Mann.

„Für mich ist Brot etwas ganz Wichtiges: mich fasziniert, welche Vielfalt an Brot es in Deutschland gibt.“

Früher haben wir nur Weißbrot gegessen. In meiner Kindheit in Ost-Anatolien war Schwarzbrot nicht angesagt: Da man es selbst herstellte, war es nichts Besonderes und deswegen verpönt. Wenn man in die Stadt fuhr, gab es Fladenbrot, weiß und lecker. Doch solche Gelegenheiten kamen nicht oft vor.

Schwarzbrot und Vollkornmehl auch im Urlaub

Erst in Deutschland entdeckte ich den wahren Geschmack von Schwarzbrot. Inzwischen gehe ich sogar so weit, dass ich im Urlaub mindestens drei Laib Vollkornbrot von meinem liebsten Bäcker mitnehme: ob es in die USA geht, nach Südkreta, in die Türkei. Meine Familie lacht mich zwar immer aus, aber wenn wir dann vor Ort sind, finden es alle schön, das gute Vollkornbrot dabei zu haben.

Außerdem habe ich eine elektrische Mühle und mahle das Korn selbst. Selbst in die Türkei, ins Ferienhaus meiner Eltern, nehme ich mein Vollkornmehl mit. Ich muss mir von meiner Familie zwar immer anhören, wie altbacken und konservativ ich sei, aber wenn ich aus diesem Vollkornmehl Pfannkuchen mache, heißt es: „Mama, gibt es noch mehr? Kannst du noch nachbacken?“.

„Sollten wir jemals ins Ausland ziehen, wir würden vorher eine Bäckerlehre machen und im Ausland eine Bäckerei mit deutschem Vollkornbrot aufmachen.“

In meiner Küche sind aber nicht nur Deutschland und Türkei präsent, sondern auch Italien, Spanien, Griechenland. Alles ist miteinander verwoben: Ich esse spanische Oliven, wunderbaren Käse aus Italien, das Olivenöl kommt aus Südkreta. Das kaufe ich über Freunde oder wenn ich selbst dort bin. Das ist gelebte Vielfalt.  

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