Zum 60. Todestag von Theodor Heuss

Juristin Angelika Nussberger: „Menschenrechte dürfen auf keinen Fall eine Ideologie des Westens sein“

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INTERVIEW
Doris Maull

Menschenrechte dürften auf keinen Fall eine Ideologie des Westens sein und auch nicht als solche verstanden werden, sagt die Juristin Prof. Angelika Nussberger, die bis 2020 Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte war. Sie wird am 12. Dezember 2023 im Rahmen der Theodor-Heuss-Gedächtnisvorlesung an der Universität Stuttgart einen Vortrag zum Thema „Universelle Geltung der Menschenrechte – eine Ideologie des Westens?“ halten.

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Dem ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss sei es immer darum gegangen, als liberaler Denker die Menschenrechte hochzuhalten, sagt Nussberger im Gespräch mit SWR2. Zudem sei er als Zeitzeuge bei der Ausarbeitung der Menschenrechte dabei gewesen, „auch wenn er natürlich als deutscher Politiker zu dieser Zeit nicht mit in Paris am Verhandlungstisch sitzen durfte“, so Nussberger.

Vorwürfe gegen den Westen

Aus der Richtung des globalen Südens gebe es Vorwürfe: Der Westen würde mit seiner Menschenrechtspolitik eine Politik der Kolonialisierung fortführen, indem er eben Werte, die für Europa charakteristisch sind, nun auf ganz andere Kulturen übertragen wolle. Gleichzeitig, betont Angelika Nussberger, seien die Menschenrechte bedroht durch unterschiedliche Auffassungen, die sie zu relativieren versuchten.

Zum Beispiel ginge es laut der chinesischen Doktrin um das Glück des chinesischen Volkes „und um den Wohlstand und eben nicht um diese Freiheitsrechte, die wir darunter verstehen“, so Nussberger. Sie fordert, man müsse sich auf bestimmte Standards einigen, auf einen Grundkonsens, an dem man nicht rütteln wolle.

Es gebe viele neue Fragen mit Blick auf digitale Rechte und Biomedizin: „Vielleicht müssen wir da irgendwann eine neue Erklärung ausarbeiten, aber zu diesem Kern, der 1948 festgehalten worden ist.“

Vor 75 Jahren, am 10. Dezember 1948, wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet.

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