Hebamme läuft in einen Kreißsaal (Foto: dpa Bildfunk, Britta Pedersen)

Gewalt auf der Geburtsstation

"Stellen Sie sich nicht so an. Geburten tun halt weh."

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Sabine Hub

Laut Schätzungen ist jede zweite bis dritte Gebärende von Gewalt unter der Geburt betroffen. Das Thema ist noch nicht weit bekannt. Doch viele Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen.

"Es war unmenschlich. Ich habe mich ausgeliefert gefühlt. Ich wollte nur noch, dass es vorbei ist." So beschreibt Viktoria die Geburt ihres zweiten Kindes. Von Anfang an sei sie unter Druck gesetzt worden, dass sie gegen ihren Willen einen Kaiserschnitt bekomme, wenn es mit der Geburt nicht vorwärtsgehe. Der zuständige Arzt und die Hebammen seien genervt gewesen, hätten die Augen verdreht, sie angeschrien, sie eingeschüchtert und ihr auf Fragen nicht geantwortet.

"Ich war zum Schluss so klein und verängstigt. Ich habe alles mit mir machen lassen und mich nicht mehr getraut, etwas zu sagen, aus Angst, sonst aufgeschnitten zu werden".

Jede zweite bis dritte Gebärende betroffen

Was Viktoria im Kreißsaal erlebt hat, ist kein Einzelfall. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber geschätzt ist jede zweite bis dritte Gebärende laut Mother Hood e.V. betroffen. Der Elternverein setzt sich für eine bessere Geburtshilfe ein. Die Erfahrungen der Frauen gehen demnach von Auslachen, Beleidigungen bis hin zu unnötigen Untersuchungen oder Handgreiflichkeiten. Mal werden den Frauen Medikamente ohne Einwilligung verabreicht, mal werden diese verweigert – genauso wie die freie Wahl der Geburtsposition. Zu Gewalt unter der Geburt zählen auch medizinische Eingriffe, die den werdenden Müttern nicht erklärt werden oder denen sie gar nicht zugestimmt haben, wie zum Beispiel ein Dammschnitt oder ein Kaiserschnitt.

Katharina Desery von Mother Hood e.V. (Foto: Studio Una Berlin)
Katharina Desery gehört zum Vorstand von von Mother Hood e.V.. Der Elternverein setzt sich für eine bessere Geburtshilfe ein.

Das verstößt klar gegen das Patientenrechtegesetz. Das gibt rechtlich verbindlich vor, dass Eingriffe ohne Aufklärung und Zustimmung verboten sind.

Auch eine weitere betroffene Frau, Martina – ihr Name ist geändert –hat im Kreißsaal solche Erfahrungen gemacht. Sie habe ohne ihr Wissen ein Schmerzmittel verabreicht bekommen und sich danach so betäubt gefühlt, dass sie keine Kontrolle mehr über ihren Körper gehabt habe, erzählt sie. Eine Hebamme sagte zu ihr: "Stellen Sie sich nicht so an, Geburten tun halt weh, Sie sind hier nichts Besonderes."

Ein Arzt habe sie ständig so grob vaginal untersucht, dass sie vor Schmerzen geschrien habe. Obwohl sie klar gesagt habe, er solle damit aufhören, habe er einfach weiter gemacht. "Es hat sich angefühlt wie eine Vergewaltigung", beschreibt sie das Erlebte.

Hebammen, Ärzte und Ärztinnen melden sich zu Wort

Auch Hebammen und Ärzte und Ärztinnen fangen an, über Gewalt unter der Geburt zu sprechen. Chefärztin Dr. med. Anette Voigt leitet die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe im Krankenhaus Herdecke. Sie legt großen Wert darauf, dass in ihrer Abteilung Frauen ihr Kind sanft zur Welt bringen können.

Trotzdem sagt sie: "Geburten sind nicht immer gewaltfrei. Man kann das nicht steuern, der Wehenschmerz ist häufig überwältigend und manchmal erleben Frauen das, was da mit ihnen passiert, per se als Gewalt." Dazu kommt laut der Ärztin die Tatsache, dass das Fachpersonal bei Gefahr für Mutter und Kind operativ eingreifen muss. "Das wird häufig als Gewalt erlebt, auch wenn wir das nicht beabsichtigen", sagt Voigt.

Manche Eingriffe ließen sich nicht verhindern

Wenn ein Kind zum Beispiel mit der Saugglocke schnell geboren werden müsse, weil Sauerstoffmangel drohe, müsse man Dinge tun, die der Mutter Schmerzen bereite oder sie überforderten, weil sie sich so etwas emotional gar nicht vorgestellt habe.

Deshalb legt die Ärztin großen Wert darauf, viel mit Müttern und Vätern zu sprechen. Schon im Vorfeld erklären sie und ihr Team den Schwangeren ausführlich, was im Notfall passieren kann. Die Kommunikation während der Geburt sei enorm wichtig. Die Frauen müssten genau Bescheid wissen, was gerade passiere und in die Entscheidungen miteinbezogen werden. Außerdem bieten Anette Voigt und ihr Team Eltern nach einer schwierigen Geburt an, das Erlebte nachzubesprechen und gemeinsam aufzuarbeiten.

Ursachen: Kosten, Zeitdruck und Personalmangel in Kliniken

Was selbstverständlich klingt, bleibt oft anderswo im Klinikalltag auf der Strecke. Eine der Ursachen für mangelnde Kommunikation und Gewalt unter der Geburt sei der Personalmangel, sagt Katharina Desery. Wenn eine Hebamme sich um vier oder fünf Gebärende gleichzeitig kümmern muss, steht sie selbst enorm unter Stress und kann der Einzelnen nicht mehr gerecht werden. "Frauen werden über weite Strecken während der Geburt allein gelassen. Auch das sehen wir als Gewalt an." Mother Hood e.V. fordert deshalb eine Eins-zu-eins-Betreuung im Kreißsaal.

Kosten spielten dabei natürlich eine große Rolle, so Katharina Desery: "Viele Geburten brauchen Zeit. Und die wird im Klinikalltag häufig nicht gegeben. Eine Geburt, die länger als sechs Stunden dauert, rechnet sich nicht mehr für Kliniken. Solche Vorgaben machen natürlich etwas mit Geburtshelferinnen." Deshalb fordert Mother Hood e.V. mehr Personal und Geld für die Geburtshilfe. "Auch natürliche Geburten ohne Eingriffe müssen sich finanziell für Kliniken deutlich mehr lohnen. Die Feuerwehr wird auch nicht danach bezahlt, wie viele Einsätze sie gefahren ist, sondern weil sie zur Daseinsfürsorge gehört. Und so sollte es auch mit der Geburtshilfe sein."

Empathie ist nicht zeitabhängig, das ist eine Haltungsfrage.

Kosten, Zeitdruck und Personalmangel seien überall in der Geburtshilfe ein großes Thema, sagt Chefärztin Dr. med. Anette Voigt. "Aber Empathie ist nicht zeitabhängig, das ist eine Haltungsfrage. Man muss eben die Haltung haben, dass, auch wenn man es gut gemeint hat, es sich nicht gut angefühlt hat, trotzdem, dass es im Ergebnis vielleicht gut und richtig war." Wenn man die Haltung habe, das musste halt sein und die Frau solle doch froh sein, dass sie und das Kind gesund seien – das führe dazu, dass Frauen sich überfahren fühlten.

Eltern halten Händchen, währen sie mit ihrem Baby im Kidnerwagen über einen Markt gehen. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Annette Riedl)
Problematiken nach der Geburt können beide Elternteile betreffen.

Traumatische Erfahrungen wirken jahrelang nach

Tatsächlich wirken Erfahrungen, wie sie Viktoria und Martina gemacht haben, oft jahrelang nach. Laut der Psychologin und Traumatherapeutin Britta Wilke kann es danach zu einer Bindungsstörung zum eigenen Kind kommen. Auch Wochenbettdepressionen, akute Belastungsreaktionen und Traumafolgestörungen können die Folgen sein – übrigens auch für Väter, die bei einer als gewaltsam erlebten Geburt dabei waren. Sie fühlen sich oft hilflos und passiv in dieser Situation. Dabei können gerade Väter oder andere Vertraute, die bei der Geburt dabei sind, viel tun, sagt Wilke. "Sie können dort, wo Gebärende keine Kraft mehr haben, nein sagen, das Geburtspersonal auffordern, empathischer zu sein und vor allem wirklich an der Seite der Frau sein und das gemeinsam mit ihr durchstehen."

Späte Erkenntnis über das, was passiert ist

Aber warum ist Gewalt unter der Geburt immer noch so ein unbekanntes Thema? Die Hauptgründe sind Scham und mangelndes Wissen. Viele Frauen realisieren erst Jahre später, dass es zwischen üblichen Geburtsschmerzen und Gewalt einen Unterschied gibt. Sie bekommen oft von ihrem Umfeld zurückgemeldet, sie seien überempfindlich, Geburten seien eben schlimm und schmerzhaft. "Eine solche Haltung verhindert völlig, dass betroffene Frauen sich öffnen und ernst genommen fühlen", sagt Britta Wilke. Wichtig sei ein verständnisvolles Umfeld, das die Frau nicht bewerte, sondern ihr zuhöre, sie unterstütze und entlaste. Auch eine Therapie kann notwendig sein.

Martina hat sich bei einer Therapeutin Hilfe gesucht, um das Erlebte zu verarbeiten. Sie hatte nach der Geburt mit starken psychischen Problemen zu kämpfen.

Auch Viktoria fühlt sich nach wie vor sehr belastet – einige Jahre nach der Geburt ihres zweiten Kindes. Sie ist aber auch wütend. Deshalb hat sie sich entschieden, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen – um anderen Frauen Mut zu machen, sich gegen Gewalt zu wehren. "Ich habe jetzt selbst eine Tochter und möchte nicht, dass sie so etwas erlebt. Und wenn mir andere Frauen erzählen, dass sie auch solche Erfahrungen gemacht haben, da könnte ich schreien."

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