Ehemaliger Neckarsulmer Top-Turner Jürgen Bischof ist tot (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-aliance / DB)

Turnen | Nachruf

Jürgen Bischof - ehemaliger Neckarsulmer Bundesliga-Turner ist tot

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Holger Kühner

Er war einer der elegantesten Turner seiner Zeit, Deutscher Meister, Olympiateilnehmer 1968. Nach einer Verletzung 1969 wachte der damals 28-Jährige erst drei Monate nach der OP aus dem Koma auf - schwerstbehindert. Nach 54 Jahren im Pflegeheim starb Jürgen Bischof Anfang Juni.

Ich kannte Jürgen Bischof nicht. Und doch begleitete mich der Name, seit ich als junger Turner ins Leistungszentrum Heilbronn kam. Meine Trainer waren die ehemaligen Turner Alfred Grünefeldt und Werner Steinmetz.

Mit Bischof, Steinmetz und Jugendturner Gienger in die Bundesliga

Alfred Grünefeldt (82) wohnt noch in Heilbronn, kommt gerade vom Tennisspielen in Neckarsulm. „Oh, ehrlich?“, fragt er, als er hört, dass Jürgen Bischof gestorben ist. Grünefeldt und Bischof turnten Mitte der 1960er Jahre zusammen in der Nationalmannschaft - Bischof für seinen Heimatverein ETSV Gut Heil Itzehoe, Grünefeldt für den VfL Neckargartach in Heilbronn. Sie turnten gegen Mexiko, Spanien, gegen die UdSSR. Von 1964 bis 1966 gewann Bischof den deutschen Meistertitel beim Bodenturnen, 1968 hieß der Sieger Alfred Grünefeldt. Die Jugendmeisterschaften einbezogen, gewann Bischof 18 Deutsche Meistertitel, turnte für Deutschland bei den Weltmeisterschaften 1966 in Dortmund. Als es in der Qualifikation für die Olympischen Spiele 1968 in Mexico City um den letzten Platz in der Mannschaft ging, hieß es Bischof oder Grünefeldt. Bischof nahm als Ersatzturner an den Spielen teil, Grünefeldt musste zuhause bleiben.

Für die 1969 gegründete Bundesliga wechselten Bischof und Grünefeldt zur Sportvereinigung Neckarsulm. Beim Qualifikationswettkampf für die Bundesliga am 01. Dezember 1968 in Göppingen turnte neben Bischof und Grünefeldt  zum ersten Mal auch der neue Deutsche Jugendmeister Eberhard Gienger aus Künzelsau für Neckarsulm. Die Sportvereinigung Neckarsulm - ein Top-Team und Mitfavorit um die Deutsche Meisterschaft.

Am 15. März 1969 startet das Bundesligaprojekt für die SV Neckarsulm mit dem Wettkampf beim USC München. Es ist der Tag, an dem das Leben von Jürgen Bischof eine dramatische Kehrtwende macht. Erster Turner im ersten Durchgang. Alfred Grünefeldt, der sich auch 54 Jahre danach noch erinnert, dass Jürgen Bischof direkt nach ihm geturnt hat,  „ich weiß noch, wie das war“. Nach der ersten akrobatischen Bahn bleibt Bischof schmerzverzerrt am Boden liegen. Die Achillessehne. Wieder die Achillessehne, die 1961 schon einmal gerissen war. „Jürgen wollte nach dem Unfall zurück nach Neckarsulm und sich dort behandeln lassen“, erinnert sich Werner Steinmetz, Abteilungsleiter Turnen bei der Sport Union Neckarsulm, dem Nachfolgeverein der SV.

Auch Steinmetz, Olympiateilnehmer 1976 ist überrascht von der Todesnachricht, hatte Bischof noch kennengelernt, als er selbst 1970 nach Neckarsulm kam. Viele hätten direkt nach dem Unfall gesagt, „Jürgen laß‘ Dich hier in München operieren“. Eine fatale Entscheidung. Es kommt zu Komplikationen bei der OP, Sauerstoffmangel. Herzstillstand. Schon wenige Tage nach dem Unfall fährt Alfred Grünefeldt mit seiner damaligen Frau nach München. „Wir waren ja beste Freunde, waren verheiratet, hatten beide zwei Söhne im gleichen Alter und trafen uns oft, auch privat.“ Bischof liegt im Koma. „Ich bin erschrocken, total erschrocken“. Der heute 82-jährige Grünefeldt beschreibt, dass es ihn beim Anblick seines Freundes den Boden unter den Füßen weggezogen hat, „ich bin umgekippt, musste selbst behandelt werden.“ Vor ihm im Bett liegt nicht mehr der junge, durchtrainierte, athletische Turner - auch heute fehlen Grünefeldt die Worte. Sein Freund Jürgen wird erst drei Monate später aus dem Koma aufwachen.

Turnen Jürgen Bischof Deutscher Hochschulmeister 1964 (Foto: SWR, SWR)
Turnen Jürgen Bischof Deutscher Hochschulmeister 1964

In der Bibliothek des Deutschen Turner-Bundes stehen fein säuberlich gebunden die Zeitschriften „Deutsches Turnen“. Wilhelm Pappert geht zielstrebig zum Regal, nimmt die gebundenen Ausgaben von 1969 heraus. In Heft 7 steht der Wettkampfbericht, Jürgen Bischof wird als „der größte Pechvogel des Tages“ genannt. Eine Randnotiz. Die Übermittlung von Nachrichten hat noch eine andere Geschwindigkeit als heute. In Heft 14 vom 3. Juli 1969 steht: „Nunmehr kann endlich von einem durchgreifenden und erfolgversprechenden Fortschritt in der Genesung von Jürgen Bischof gesprochen werden, der viele Wochen in tiefer Bewusstlosigkeit lag.“

Doch es kommt alles ganz anders. Bischof ist schwerstbehindert, kommt in eine Reha-Einrichtung in Bayern. Für ein halbes Jahr kehrt er danach nochmal zurück nach Neckarsulm, zu seinen Turnern. „Wir haben ihn zum Fußballspielen mitgenommen“, erinnert sich Alfred Grünefeldt, „Jürgen wollte mitmachen, aber er lief wie ein Roboter“. Bischof kehrte nach Norddeutschland zurück, in seine Heimat, der Kontakt zum SV Neckarsulm reißt langsam ab, manchmal hört man neue Informationen aus Bischofs Umfeld, nie waren sie gut.

Als Besucher noch bei den Olympischen Spielen in München 1972

Als die SV Neckarsulm 1972 zum ersten Mal Deutscher Meister in der Bundesliga wird, hat Jürgen Bischof schon drei Jahre seines beschwerlichen Leidenswegs hinter sich. Das Bewegungstalent von einst will sich nicht mit seiner Behinderung abfinden, Pflegeheime lehnt er ab. Es scheint, als sei der Widerstand auch ein Hilfeschrei. Gehen und Sprechen fallen ihm immer schwerer, die sowieso eingeschränkte Mobilität läßt immer mehr nach. An seiner Seite noch einige Jahre Vater Georg Bischof, die wichtigste Bezugsperson. Und Herwig Matthes, der Turnfreund aus Großburgwedel, der unter anderem mit Jürgen Bischof bei den Studenten-Weltmeisterschaften im brasilianischen Porto Allegre 1963 Bronze mit der Mannschaft gewann.

Der Jurist Matthes hatte für die Familie nach einem nervenaufreibenden, fast vierjährigen Rechtsstreit gegen den Freistaat Bayern als Träger der Klinik in München einen Vergleich erreicht. Die finanzielle Entschädigung half Jürgen, das körperliche und seelische Leiden linderte sie nicht. Seit 2010 ist Herwig Matthes gesetzlicher Betreuer, kümmerte sich um alle Angelegenheiten, besuchte Jürgen Bischof regelmäßig. 1972 hatte Matthes noch dafür gesorgt, dass Jürgen Bischof zu den Olympischen Spielen nach München kam. Matthes, war verantwortlich für den Ticketverkauf.

Jürgen und Bärbel Bischof - Hochzeit, Scheidung, Hochzeit

40 Jahre nach dem Unfall berichtet der Schleswig-Holsteinische  Zeitungsverlag (SHZ) 2009 von einem Besuch bei Bischof im Kremper Pflegeheim Ahsbasstift. „Babba“, Papa sei das einzige Wort, das Bischof noch sagen könne. Seine Söhne Sven und Dirk waren vier und ein Jahr alt, kennen ihren Vater, den ehemaligen Weltklasseturner und Modellathleten, nur schwerstbehindert. Der SHZ zitiert den älteren Sohn Sven: „An den gesunden Vater gibt es keine Erinnerung mehr, […] Unsere Mutter hatte plötzlich drei Kinder im Haus. Acht Jahre hat sie ihn versorgt, am Ende reichte die Kraft nicht mehr. Die Belastung war zu groß geworden. Die Ehe wurde geschieden.“ 2016 heirateten die beiden wieder.

Der junge Turner, der mühelos auf den Händen stehen konnte, am Barren, an den Ringen auf dem Boden hatte längst keine Kraft mehr, auf den Beinen zu stehen. Der Kontakt zu den meisten Turnern ist irgendwann abgerissen. Am 3. Juni starb Jürgen Bischof im Alter von 81 Jahren.

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Holger Kühner

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